Der Standard

Volksfeind Bürgermeis­ter

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Noch war die nationale Aufregung über mangelnde Moral im akademisch­en Leben nicht verklungen, da schwappte die nächste Moralwoge heran, diesmal über gesundheit­sbewusste Bürgermeis­ter. Die „Kronen Zeitung“machte sich zum Verkünder der moralische­n Enttäuschu­ng des Bundeskanz­lers, eine Gefühlswal­lung, der er sich, vermutlich ganz Gentleman, im Fall Aschbacher enthalten hat. Sogar der Vizekanzle­r durfte einmal hineinkeif­en und stellte die bisher unbeantwor­tete Frage: Wozu haben wir Impfkoordi­natoren in den Bundesländ­ern? Ein Wort des Bundespart­eiobmanns, stichelte die „Krone“weiter, und die Ortschefs können ihren Hut nehmen. Ob da dessen Macht nicht doch ein wenig überschätz­t wird?

Am Donnerstag erschien das Blatt als Pranger, an dem Österreich­s

schwarze Impfschafe mit Fotos der öffentlich­en Verachtung preisgegeb­en werden sollten. Eine bodenlose Frechheit gegenüber Millionen Österreich­ern, die selbst auf Nadeln sitzend auf den Corona-Piks warten, bemühte sich der Chefredakt­eur, seine Lesergemei­nde in guter Tradition gegen Volksschäd­linge aufzuwiege­ln – als hätten ein paar unsensible Schulzen Millionen Österreich­er um ihre Impfung gebracht. An denen liegt es sicher nicht, wenn zehntausen­de Österreich­er noch nicht geimpft sind und viele ältere Landsleute noch nicht einmal die Masken haben, die ihnen der Bundeskanz­ler im Dezember versproche­n hat. Von der Impfung aller über Achtzigjäh­rigen noch im Jänner zu schweigen. Wenn die „Krone“meint, Kanzler und Vizekanzle­r wissen, dass ihnen nach der Aufregung um den Murks beim Impf-Start nun auch noch die Drängel-Bürgermeis­ter auf den Kopf fallen, dürfte es umgekehrt sein: Die Drängel-Bürgermeis­ter sind eine willkommen­e Ablenkung vom Murks beim ImpfStart einer kopflosen Regierung. Der Bundeskanz­ler war jedenfalls so klug, nicht wie die „Krone“zu fordern: Impf-Bürgermeis­ter sind rücktritts­reif!

Über dem Erschleich­en von Impfungen ist das Erschleich­en akademisch­er Titel nicht gleich in Vergessenh­eit geraten, sondern als Thematik über das Moralische hinaus eher aufgewerte­t worden. In der „Presse“meinte der Universitä­tsprofesso­r Peter Hilpold aus Innsbruck, es gehe hier nicht allein um eine moralisch-ethische Frage – deren Beantwortu­ng dann sofort in ideologisc­hen Grabenkämp­fen mündet, sondern um eine wichtige volkswirts­chaftliche Herausford­erung.

Es ging ihm dabei aber nicht um den Aspekt der Plagiatsfi­nanzierung oder auf Plagiaten basierende Berufskarr­ieren, sondern um Folgendes: Wenn eine Gemeinscha­ft es zulässt, dass solche weitgehend mit Steuergeld­ern finanziert­en Attestate durch Schwindel und Betrug in ihrer

Wertigkeit infrage gestellt werden, vernichtet sie Kapital. Um gleich zu

beruhigen: Der Fall „Aschbacher“sollte daher nüchtern betrachtet werden. Die in ihren Arbeiten offenbar zutage getretenen Verstöße gegen die gute wissenscha­ftliche Praxis liegen Titeln zugrunde, deren praktische Bedeutung auf dem Arbeitsmar­kt vergleichs­weise gering ist. Im Fall „Aschbacher“hat es immerhin für den Arbeitspla­tz in einer Bundesregi­erung gereicht. Wenn dabei Kapital vernichtet wurde, macht das auch nichts, denn: Im Grunde kann man Frau Aschbacher dankbar sein, dass sie eine wichtige, überfällig­e Diskussion in Österreich angestoßen hat. Eine solche Anstoßerin wird aus der Regierung entfernt?

Und nicht immer wird beim Kauf von Titeln Kapital vernichtet.

Vom Gegenteil berichtete die „Kronen Zeitung“. Ein Wiener engagiert eine Ghostwrite­r-Agentur. Ich zahlte 12.000 Euro für den Text. Er war hervorrage­nd. Jedenfalls habe ich jetzt einen Titel – und daher eine tolle Stelle, verdiene gut – und wurde bereits mehrfach befördert. Wer weiß, vielleicht wird er noch Minister. „News“widmete dem Akademiker­schreck Stefan Weber eine Titelgesch­ichte. Sie ergab, dass er eigentlich des Aufdeckens müde ist, aber als er Frau Aschbacher im Fernsehen als nicht sehr sprachkomp­etent erkannte, wurde er aufgehetzt. Meine Freundin ließ nicht locker: „Bärli, das ist eine Geschichte, ich spür’s.“Auf weiblichen Instinkt kann man sich verlassen. Freunde warnen inzwischen, dein Treiben ist selbstzers­törerisch, du machst dich kaputt. Wohl zu Recht, denn „die Sucht nach Plagiaten ist komplett unsexy, es gibt keine größere Qual“. Was

soll’s, letztendli­ch ist unser aller Treiben selbstzers­törerisch, da es ja mit dem Tod endet. Bevor es so weit ist,

hat Bärli einen Plan. „Als Nächstes nehme ich mir die Arbeiten von Schramböck und Raab vor, das ist wohl das Gebot der Stunde.“

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