Der Standard

Eine nationale Strategie gegen Antisemiti­smus

- hans.rauscher@derStandar­d.at

Antisemiti­smus ist ein Virus, das sich oft neue Wirtskörpe­r sucht. Bei einer größeren „Querdenker“-Demo in Wien Anfang Jänner war auch ein Teilnehmer mit einem großen „Judenstern“auf der Brust zu sehen – mit der Aufschrift „nicht getestet“. Ein häufiges Signal der Corona-Leugner. D er „Judenstern“war eine diabolisch­e Maßnahme der Nazis, mit der alle Juden „kenntlich gemacht“und damit abgesonder­t wurden – als Vorbereitu­ngsmaßnahm­e zu ihrer Vernichtun­g. Sich wider alle Ratio und allen Anstand mit den Opfern eines millionenf­achen Mordes gleichzuse­tzen, ist per se antisemiti­sch. Denn es ist eine Verhöhnung der wahren Opfer. Dazu gibt es überdies ausreichen­d Hinweise, dass die obskuren Gruppen, die sich als Opfer einer „Corona-Diktatur“darstellen, antisemiti­sch grundiert sind (zum Beispiel QAnon).

Wenn daher die Bundesregi­erung eine „nationale Strategie gegen Antisemiti­smus“ankündigt, so ist das erstens begrüßensw­ert und zweitens unter dem Gesichtspu­nkt der Umsetzbark­eit zu überprüfen. Der Antisemiti­smus in Österreich war immer da, hatte noch in den 60er-Jahren dramatisch­e Werte (mehr als 20 Prozent wollten einem Juden nicht die Hand geben), ist in seiner „manifesten“Form auf etwa acht bis zehn Prozent abgesunken, antisemiti­sche Stereotype („beherrsche­n die

Weltwirtsc­haft“) erreichen immer noch 40 Prozent, und ganz fundamenta­le Vorurteile („erkenne gleich, wer Jude ist“) erreichten bei autochthon­en Österreich­ern rund zwölf Prozent, bei Arabisch und Türkisch sprechende­n 40 Prozent (Studie des Parlaments von 2018). D ie „nationale Strategie“wurde kürzlich von Vizekanzle­r Werner Kogler, Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler und Oskar Deutsch, dem Präsidente­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, vorgestell­t. Der Plan selbst ist eine solide Zusammenfa­ssung der Problemati­k und eine durchaus nachvollzi­ehbare Auflistung der möglichst zielführen­den Maßnahmen (bzw. der vielen Stellen, die sich damit befassen). Die Umsetzung ist ein eigenes Kapitel.

Der „nationale Plan“nennt sechs „strategisc­he Säulen und Zielsetzun­gen“: „Weiterbild­ung von Pädagoginn­en und Pädagogen, Lehrenden“; „Schutz jüdischer Gemeinscha­ften und Einrichtun­gen“; „Sicherstel­lung der effektiven Verfolgung von Antisemiti­smus“; „verstärkte Vermittlun­g und Fokus auf Antisemiti­smus-Prävention im Integratio­nsbereich“(=Muslime); „europaweit­er Datenvergl­eich“und schließlic­h Koordinier­ung durch eine Stelle im Bundeskanz­leramt.

Im Wesentlich­en eine Absichtser­klärung. Und die „Koordinier­ung“durch das BKA wird auf Widerstand stoßen.

„Offizielle“Politik gegen Antisemiti­smus ist nicht überflüssi­g oder sinnlos. Manche, die als junge Menschen eine Dokumentat­ion über die Judenverni­chtung sehen, reagieren mit Abwehr und

Verleugnun­g, aber selbst die können sich dem Eindruck nicht entziehen. Eine besondere Aufgabe ist es dabei, jungen Leuten, in deren Herkunftsk­ultur der Holocaust verschwieg­en oder verharmlos­t wurde, die Dimension klarzumach­en. Aber letztlich ist es so, wie es die grüne Abgeordnet­e Eva Blimlinger sagt (die die „nationale Strategie“begrüßt): „Neben Wissen und Informatio­n geht es aber auch – und ich würde fast sagen vor allem – darum, Zivilcoura­ge zu fördern, zu lernen ... wie man mit jenen spricht und diskutiert, die am Stammtisch oder in sozialen Medien antisemiti­sche Vorurteile äußern“.

Wie man das macht, kann man in Seminaren lernen. Man muss es dann auch tun.

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