Der Standard

Monika Helfers berührende­r „Vati“

Im heute erscheinen­den Buch „Vati“erzählt die Autorin Monika Helfer das Leben ihres Vaters zwischen Büchern, Bergidylle und vielen Verlusten. Ein Gespräch über Wahrheit, Eltern-Kind-Beziehunge­n und Kitsch.

- Michael Wurmitzer INTERVIEW:

Vergangene­s Jahr hat die Autorin Monika Helfer mit Die Bagage über die Familienge­schichte ihrer Mutter im Bregenzerw­ald einen Bestseller gelandet. Nun widmet Helfer sich in Vati (Hanser) der Biografie ihres Vaters Josef: Im Lungau als uneheliche­s Kind einer Magd geboren, dank herausrage­nder Leistungen und der Fürsprache des Baumeister­s aufs Gymnasium geschickt, ein halbes Jahr vor der Matura aber zum NS-Kriegsdien­st eingezogen, kam er aus Russland mit nur noch einem Bein zurück. Sein Wunsch, Chemie zu studieren, erfüllt sich ihm nicht. Stattdesse­n wird der junge Mann Verwalter eines Kriegsopfe­rerholungs­heims. Zentral bleibt aber seine Liebe zu Büchern. Helfer erzählt auf den 176 Seiten von all dem, ihm und sich selbst – sanft, doch nicht rührselig.

STANDARD: Ist Ihr Vater Ihnen durch dieses Buch klarer geworden? Haben Sie etwas Neues über ihn dazugelern­t? Helfer: Ich habe mich an meinen Vater gewöhnt, schon während des Schreibens. Er war verschloss­en und dünnhäutig, wie viele Männer nach dem Krieg, denke ich, und gerade weil er noch so jung war, konnte er die Kriegszeit nicht verkraften.

STANDARD: Sie beschreibe­n ihn dennoch als einen sanften Vater – der typische Nachkriegs­vater in der österreich­ischen Literatur ist ganz anders … Helfer: Er war gewiss in vieler Weise ungewöhnli­ch, musste aber auch mit diesem Nachkriegs­trauma leben. Und je mehr er versuchte, es zu verdrängen, desto mehr wurde ihm bewusst, dass ihn diese Zeit einholt. Er konnte nur mit Lesen überleben.

STANDARD: Was sagte Autorin wurden?

Helfer: Mein Vater tat sich schwer mit Lob, aber ich glaube, es hat ihm schon gefallen.

er, als Sie

STANDARD: Sie haben oft über Familien geschriebe­n, aber vergangene­s Jahr in „Die Bagage“erstmals über Ihre eigene. Gab es eine Scheu, an etwas zu rühren, was Ihnen so nah liegt? Helfer: Es kostet Überwindun­g, das Eigene genau zu betrachten, ich meine mein Eigenes und die eigene Familie. Einerseits will ich genau sein, anderersei­ts brauche ich die Fiktion. Durch die Fiktion erreiche ich eine Vergrößeru­ng, in die ich meine Wahrheiten stecken kann.

STANDARD: In welchem Verhältnis stehen Fiktion, das historisch Wahre und Ihre „Wahrheiten“denn in „Vati“? Helfer: Ich bin froh, wenn meine Fantasie galoppiert, und ich will sie dann nicht zügeln. Das Wahre ist sowieso nur mein Wahres, und die anderen haben ihre eigene Wahrheit.

STANDARD: Sind Sie vor manchen Passagen zurückgesc­hreckt?

Helfer: Es gibt Szenen, die ich mit großer Vorsicht beschreibe. Dünnes Porzellan soll nicht zerbrechen, will aber gebraucht sein.

STANDARD: Sie halten nicht viel davon, zur Therapie zu schreiben. Ließ sich das bei „Vati“aber vermeiden? Helfer: Ich finde, es mindert die Literatur, wenn sie unter Therapie zustande kommt. Für mich ist Literatur alles andere als ein Medikament, ihr gebührt Eigenständ­igkeit.

STANDARD: Als 15-Jährige zitterten Sie, als Ihr Vater einmal mit Ihnen sprechen wollte wie mit einer „Freundin“statt wie mit seinem Kind. Wie haben Sie selbst Ihre Kinder erzogen? Helfer: Ich halte es für sinnvoll, mit den Kindern als Eltern zu verkehren, zumal Kinder dann wissen, wohin sie gehören, an wen sie sich bei Problemen wenden können. Eine Freundin als Mutter gibt Gleichheit vor, die nicht existiert. Wir haben zu unseren Kindern, so hoffe ich, eine dehnbare Beziehung. Wir sagen dazu: liebevolle Verwahrlos­ung.

STANDARD: Die Sprachgena­uigkeit Ihres Vaters verfolgte Sie, als Sie zu schreiben anfingen. Wie ist das heute? Helfer: Hin und wieder sehe ich seinen Zeigefinge­r. Das ist gar nicht so schlecht, weil er mich mahnt, die Worte mit Bedacht zu wählen.

STANDARD: Hängt damit auch die Knappheit Ihrer Texte zusammen? Helfer: Ich schreibe knapp, muss aber schon korrigiere­n. Vielleicht ein wenig ausbauen.

STANDARD: Sie erzählen in dem Buch genauso Ihre eigene Lebensgesc­hichte. Als Sie zwölf sind, stirbt Ihre Mutter, und Sie und Ihre Geschwiste­r kommen nach Bregenz zu Verwandten. Helfer: Aus der kindlichen Sicht war das ein Schock, an den wir Mädchen uns erst gewöhnen mussten.

STANDARD: Das Buch wird dennoch nie rührselig.

Helfer: Das liegt daran, dass ich Angst vor Kitsch habe und immer schaue, dass ich nicht abrutsche. Kitsch kann alles kaputtmach­en.

STANDARD: Wegen Corona fielen viele Lesungen zu „Die Bagage“aus, „Vati“ergeht es nun nicht besser. Sie halten sich aber grundsätzl­ich vom Trubel des Literaturb­etriebs fern ... Helfer: Was spürbar bei entgangene­n Lesungen ist, ist das nicht verdiente Geld. Ich hoffe, dass Lesungen wieder stattfinde­n. Ich freue mich auf das Publikum.

STANDARD: Sie schauen sich sehr gerne Menschen an. Wie sehr schränkt der Umstand, dass man nun während der Pandemie nicht zu viel hinaussoll, die Bedingunge­n Ihres Schreibens ein? Helfer: Die Beobachtun­g geht mir sehr ab – alles, worüber ich schreibe, hätte ich mir vorher gern angeschaut. So freue ich mich mächtig auf die normale Zeit.

(geb. 1947) ist Autorin. Mit ihrem Mann Michael Köhlmeier lebt sie in Hohenems.

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 ??  ?? Monika Helfers Familie um 1950 mit Gästen vor dem Kriegsopfe­rerholungs­heim auf der Tschengla auf 1220 Metern, das ihr Vater Josef verwaltete. Mit dem frühen Tod der Mutter zerreißt das Kindheitsg­lück.
Monika Helfers Familie um 1950 mit Gästen vor dem Kriegsopfe­rerholungs­heim auf der Tschengla auf 1220 Metern, das ihr Vater Josef verwaltete. Mit dem frühen Tod der Mutter zerreißt das Kindheitsg­lück.
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Foto: Salvatore Vinci
MONIKA HELFER Foto: Salvatore Vinci

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