Der Standard

EU droht säumigen Impfstoffh­erstellern mit Klagen

Anschober: Startphase der Impfungen trotz Verzögerun­g bei Astrazenec­a nicht gefährdet

- FRAGE & ANTWORT: Oona Kroisleitn­er, Michael Möseneder, Gabriele Scherndl

Wien – Um die Einhaltung der Liefervert­räge über die Covid-Schutzimpf­ung zu gewährleis­ten, könne die EU auch zu „juristisch­en Mitteln“greifen, betonte EU-Ratspräsid­ent Charles Michel am Sonntag. Er erwarte, dass „die von den Pharmaunte­rnehmen bestätigte­n Verträge eingehalte­n werden“. Damit reagierte Michel auf die kürzlich bekanntgeg­ebenen Lieferprob­leme beim Pharmakonz­ern Astrazenec­a. Das Unternehme­n, das aktuell noch um die Zulassung in der EU ringt, wird zu Beginn erheblich weniger Dosen liefern als ursprüngli­ch geplant.

Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) sieht durch die Lieferredu­ktion zu Beginn die Startphase

der österreich­ischen Impfaktion allerdings nicht gefährdet. Bis Ende Februar sollen impfwillig­e Bewohner und Mitarbeite­r in Altenund Pflegeheim­en durchgeimp­ft sein. Das geschehe mit rund 1,2 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer und Moderna.

Heute, Montag, tritt zudem die FFP2-Masken-Pflicht ab 14 Jahren im gesamten Handel, bei Dienstleis­tern und in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln in Kraft. Die Masken gibt es in den meisten Supermärkt­en gratis. Im Freien ist ein erhöhter Abstand von zwei Metern einzuhalte­n. (red)

Dass es länger dauern wird als gedacht, bis alle, die das wollen, auch die erste Impfdosis erhalten, scheint sicher. Besonders für die Zeit ab März ist noch unklar, wie viele Vakzine von welchem Hersteller verfügbar sind. Die Politik versucht zu beruhigen.

Frage: Astrazenec­a hat bekanntgeg­eben, dass es Lieferprob­leme gibt. Wie viele Dosen weniger kommen nach Österreich?

Antwort: Astrazenec­a versichert­e zwar, dass der Start der Auslieferu­ng nicht gefährdet sei, allerdings werde der Lieferumfa­ng zu Beginn weitaus kleiner ausfallen. Für Österreich bedeutet das konkret, dass es bei den ersten Tranchen im Februar statt 650.000 Vakzinen lediglich rund 340.000 Dosen von Astrazenec­a geliefert werden. Noch größer dürfte der Lieferengp­ass im März werden: Laut einer Informatio­n, die die Impfkoordi­natoren der Länder am Wochenende erhalten haben, kommen statt der geplanten rund zwei Millionen Dosen bis April nur etwa 509.000.

Frage: Was ist der Hintergrun­d der Schwierigk­eiten?

Antwort: Offenbar gibt es Probleme in einer der beiden belgischen Fabriken der französisc­hen Firma Novasep, die den Impfstoff im Auftrag von Astrazenec­a produziert.

Frage: Wie reagiert die Politik?

Antwort: EU-Ratspräsid­ent Charles Michel hat am Sonntag von möglichen Konsequenz­en gesprochen. Er erwarte, „dass die von den Pharmaunte­rnehmen bestätigte­n Verträge eingehalte­n werden“, sagte er dem französisc­hen Sender Europe 1. Und: Die EU könne auch „juristisch­e Mittel“

nutzen. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) erklärte, Österreich werde die Lieferredu­ktion jedenfalls „nicht einfach hinnehmen“.

Frage: Wann rechnet man mit einer Zulassung des Impfstoffs des britisch-schwedisch­en Pharmaunte­rnehmens in der EU – und für wen?

Antwort: Die europäisch­e Zulassungs­behörde EMA begutachte­t den Impfstoff derzeit, eine Stellungna­hme ist für 29. Jänner angekündig­t. Gesundheit­sminister Anschober rechnete am Wochenende mit einer „breiten Zulassung“des Vakzins – auch wenn in den vergangene­n Tagen immer wieder die Rede davon war, Astrazenec­a könnte nur die beschränkt­e Zulassung für Personen bis 55 Jahre erhalten.

Frage: Könnten noch weitere Impfstoffe in der EU zugelassen werden?

Antwort: Laut EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides will der US-Pharmakonz­ern Johnson & Johnson noch im Februar den Zulassungs­antrag für ein neues Vakzin, das auf der gleichen Technologi­e wie jener von Astrazenec­a beruht, einreichen. Von der Möglichkei­t einer Notfallzul­assung, die nur ein einzelnes Land betrifft, hat bisher Ungarn Gebrauch gemacht. Das Land hat dem russischen Impfstoff Sputnik V diese Genehmigun­g erteilt.

Frage: Wie sieht der Impfplan der Bundesregi­erung eigentlich aus?

Antwort: Das Ende Dezember veröffentl­ichte Dokument sieht drei Phasen vor. Im Jänner und Februar sollten zunächst Bewohner und Personal von Alten- und Pflegeheim­en die erste Spritze bekommen. Weiters alle Menschen über 80, Perso

nal im Gesundheit­sbereich mit hohem Risiko, sich anzustecke­n, sowie Hochrisiko­patienten. In der zweiten Phase im Februar, März und April sollten weitere Ältere sowie Beschäftig­te in – vage definierte­r – kritischer Infrastruk­tur dazukommen. Ab April schließlic­h sollte sich jeder, der will, immunisier­en lassen können.

Frage: Hält dieser Plan nun?

Antwort: Gesundheit­sminister Anschober betonte, dass die Impfungen in der Startphase nicht gefährdet sind. Es sei noch zu früh, um sagen zu können, welche Gruppen um wie viel später eine Impfung erhalten als geplant. In Wien hält man am lokalen Impfplan jedenfalls fest. Die Lieferschw­ierigkeite­n hätten vorerst keine Auswirkung, heißt es aus dem Büro von Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Man hätte bis Anfang April ohnehin nur mit den Dosen von Biontech/Pfizer und Moderna kalkuliert.

Frage: Wo steht die Impfaktion in Österreich aktuell? Wann sind die Altenund Pflegeheim­e durchgeimp­ft?

Antwort: Laut den errechnete­n Zahlen des Gesundheit­sministeri­ums haben bis Samstagabe­nd knapp 170.000 Menschen die erste der beiden notwendige­n Impfdosen erhalten. Zwei Bundesländ­er konnten am Wochenende bereits Vollzug melden: Die Steiermark und Kärnten sind mit den Erstimpfun­gen der Seniorenun­d Pflegeheim­e fertig. In den meisten anderen Bundesländ­ern sollte das Ziel in den kommenden Tagen erreicht werden.

Frage: Im Zuge der Impfaktion wurde erkannt, dass statt fünf sechs Impfungen aus einem Fläschchen zu

ziehen sind. Was passierte mit überschüss­igen Dosen?

Antwort: Diese Frage sorgt derzeit für große Aufregung in Österreich. Zum einen wurde bekannt, dass vereinzelt Bürgermeis­ter, die laut Prioritäte­nliste noch gar nicht an der Reihe waren, geimpft wurden. Zum anderen wurden mehr und mehr Fälle bekannt, wo in Pflegeheim­en Impfdosen weggeworfe­n wurden. Dem STANDARD wurde etwa der Fall eines Pflegeheim­s bekannt, das zehn Impfdosen entsorgen musste. Das Wiener Heim war eines der ersten in Österreich, in denen zu impfen begonnen wurde. Durch die zusätzlich­en Dosen, die aus der Impfphiole gezogen werden konnten, habe man 40 Impfdosen zusätzlich gehabt. Man habe daraufhin Pflegekräf­te aus anderen Häusern, Ärzte, Vorstandsp­ersonal und andere Mitarbeite­r geimpft, doch man habe nicht alle Dosen verbrauche­n können. Danach sei das nicht mehr vorgekomme­n, man habe begonnen, sogenannte Back-up-Listen zu erstellen, um genug andere Impfwillig­e parat zu haben.

Frage: Die ersten Bürgermeis­ter wurden also bereits geimpft – wann sind andere Politiker an der Reihe?

Antwort: Politiker fallen an sich in keine Priorisier­ung. Sind sie weder betagt noch aus einer Hochrisiko­gruppe, müssen sie noch mindestens bis April warten. Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres sprach sich am Sonntag in der ORF

Pressestun­de für eine Vorreihung von Spitzenpol­itikern aus – sie sollen schon nach den über 80-Jährigen und Personen mit Vorerkrank­ungen drankommen. Der Grund: Sie seien Vorbilder und hätten viele Kontakte.

Frage: Hilft die Impfung gegen die neuen Mutationen des Coronaviru­s?

Antwort: Bei der englischen Virusvaria­nte sprechen die bisherigen Daten dafür, dass ein Impfschutz durch die aktuellen Impfstoffe gegeben ist, weiß Andreas Bergthaler, Virologe am Forschungs­zentrum CeMM und Mitglied des Corona-Fachrates des

STANDARD, der Userfragen beantworte­t. Für die anderen Virusvaria­nten, also besonders jene aus Südafrika sowie die brasiliani­sch-japanische Variante, muss dies erst noch erhoben werden. Dabei könnte der Vorteil der mRNA-Impfstoffe wie von Pfizer/Biontech und Moderna, nämlich dass sie relativ rasch für neue Mutationen adaptierba­r sind, noch eine wichtige Rolle spielen.

CORONA-FÄLLE Weltweit Bestätigt: 97.264.519 Neue Fälle: 387.116 Todesfälle: 2.107.554

Österreich Bestätigt: 398.113 Todesfälle: 7.418 Genesen: 381.654 Stand: 24. 1. 2021 / 15 Uhr Quelle: WHO bzw. Gesundheit­sministeri­um

COVID-IMPFUNG Österreich Geimpfte: 169.549 Bestellte Dosen: 215.567 Stand: 23. 1. 2021 / 18 Uhr Quelle: Gesundheit­sministeri­um

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In der Impfstraße in der Wiener Messehalle wurden 12.355 Personen aus Gesundheit­sberufen an einem Wochenende gegen Covid-19 geimpft.

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