Der Standard

Causa Wirecard führt ins BVT

Drei Verhaftung­en, darunter zwei Verfassung­sschützer

-

Wien – Die Affäre rund um Bilanzbetr­ug bei dem deutschen Konzern Wirecard hat am Wochenende eine spektakulä­re Wendung genommen. Gleich drei Österreich­er wurden im Zusammenha­ng mit den Malversati­onen von Ex-Firmenvors­tand Jan Marsalek verhaftet, darunter ein ehemaliger Abteilungs­leiter und ein

Ermittler des Verfassung­sschutzes (BVT). Der Ex-Abteilungs­leiter soll Marsalek gemeinsam mit einem einstigen FPÖ-Nationalra­tsabgeordn­eten, der ebenso in Haft ist, zur Flucht veholfen haben. Außerdem wird ermittelt, ob illegal Daten aus dem BVT an Wirecard oder Marsalek geflossen sind. (red)

Ihm sei der „Arsch schon auf Grund gegangen“: Ein gutes Gefühl hatte der ehemalige Nationalra­tsabgeordn­ete Thomas Schellenba­cher (FPÖ) am 19. Juni 2020 nicht. Er war gerade dabei, die Ausreise des Wirecard-Vorstands Jan Marsalek zu organisier­en. Hastig sollte der Chief Operating Officer (COO) des deutschen Finanzdien­stleisters aus der EU gebracht werden. Der Börsengiga­nt Wirecard war da gerade im Begriff, einzustürz­en: Marsalek wird verdächtig­t, Bilanzfäls­chung in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro betrieben zu haben.

Dass Marsalek dafür nicht hinter Gittern sitzt, liegt auch an Schellenba­cher: Er koordinier­te mit zwei Piloten jenen Flug, der Marsalek von Bad Vöslau ins weißrussis­che Minsk brachte. Vor allem machen Ermittler aber einen hochrangig­en ehemaligen Verfassung­sschützer für die Flucht des Wirecard-Managers verantwort­lich: M. W., einst Chef der BVT-Abteilung „Informatio­nsbeschaff­ung und Ermittlung“.

So soll W. dem skeptische­n Schellenba­cher versichert haben, bei der Ausreise von Marsalek sei „alles safe“. Die Staatsanwa­ltschaft sieht das anders: Selbst wenn noch keine Fahndung nach Marsalek lief, war klar, dass er wegen der Malversati­onen bei Wirecard ins Visier der Ermittler geraten würde. Das reicht aus, um Fluchthilf­e strafbar zu machen. In den vergangene­n Tagen wurden deshalb sowohl Schellenba­cher als auch M. W. festgenomm­en, wobei Schellenba­cher auch Beschuldig­ter in anderen Ermittlung­en ist.

Konnex zu Ibiza

Die Namen Schellenba­cher und M. W. machen die ohnehin komplexe Causa Wirecard noch komplizier­ter. Denn damit sind starke Verbindung­en zu jenen zwei anderen Skandalen vorhanden, die Österreich­s Politik in den vergangene­n Jahren erschütter­t haben: die Ibiza-Affäre und die BVT-Razzia.

Viele Verfassung­sschützer dürften am Samstag einen Seufzer der Erleichter­ung ausgestoße­n haben, als die Nachricht von W.s Verhaftung berichtet wurde. Dem ehemaligen Abteilungs­leiter eilt im Bundesamt der Ruf als Intrigant voraus. So wird vermutet, dass W. Urheber eines Konvoluts ist, das schwerwiee­rhalten

Renate Graber, Fabian Schmid gende, aber teils falsche Vorwürfe gegen eine Vielzahl von Beamten erhob – er streitet das ab. Das Dokument geriet 2017 in Umlauf, es gelangte auch zur Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA).

Nachdem Herbert Kickl (FPÖ) Ende 2017 neuer Innenminis­ter geworden war, bedrängte sein Kabinett die WKStA, endlich zu handeln. Die neuen blauen Chefs im Ministeriu­m besorgten der Staatsanwa­ltschaft eine Reihe von dubiosen Belastungs­zeugen gegen BVT-Beamte. Darunter auch W., dessen Aussagen als karenziert­er Abteilungs­leiter hohes Gewicht hatten.

Die WKStA führte gemeinsam mit einer Polizeiein­heit, die an diesem Tag von einem FPÖ-Politiker geleitet wurde, eine großflächi­ge Razzia im Verfassung­sschutz durch. Sicherheit­spolitisch war diese ein Fiasko; später wurde sie als rechtswidr­ig beurteilt. Fast alle

Vorwürfe entpuppten sich als falsch, die meisten Verfahren wurden eingestell­t.

Die Festnahme von W. und dessen Rolle in der Wirecard-Affäre rücken auch die Razzia im Verfassung­sschutz im Februar 2018 in neues Licht. Schon im Sommer war bekannt geworden, dass Jan Marsalek, der acht Reisepässe besitzt, regelmäßig Insiderinf­ormationen aus dem Verfassung­sschutz erhalten hatte. Er gab diese über den damaligen Generalsek­retär der Österreich­isch-Russischen Freundscha­ftsgesells­chaft (ORFG) an den FPÖ-Politiker Johann Gudenus weiter. Sowohl Gudenus als auch Marsalek waren, genau wie zahlreiche weitere hochrangig­e Politiker und Unternehme­r, in der ORFG engagiert.

Im Lauf des Wochenende­s wurde dann auch ein weiterer Verfassung­sschützer festgenomm­en. Gegen ihn gab es mehrfach Verdachtsm­omente wegen Russland-Spionage; außerdem ein Disziplina­rverfahren im Zusammenha­ng mit angebliche­m Fehlverhal­ten als Verbindung­sbeamter in der Türkei. Am Samstagabe­nd stattete die Polizei offenbar auch mehreren anderen Verfassung­sschützern Besuch ab. Sie sollen ihre Ermittlung­sbefugniss­e genutzt haben, um privat für Wirecard Daten einzusehen. Hier ging es um die Überprüfun­g der Zahlungsfä­higkeit von Internetpo­rnoseiten. Diese gehörten zu den ersten Kunden von Wirecard.

Thomas Schellenba­cher, der andere mutmaßlich­e Fluchthelf­er Marsaleks, soll hingegen für einen Geldregen in der FPÖ – oder zumindest bei einigen FPÖ-Politikern – gesorgt haben. Der niederöste­rreichisch­e Unternehme­r hatte beste Kontakte zu ukrainisch­en Oligarchen, die mit ihm gemeinsam das Hotel Panhans am Semmering revitalisi­eren wollten. Diese Oligarchen boten der FPÖSpitze zehn Millionen Euro, wenn Schellenba­cher auf einem blauen Ticket in den Nationalra­t einziehen könne.

Das Angebot wurde offenbar angenommen: Nach der Nationalra­tswahl 2013 verzichtet­en mehrere FPÖ-Politiker auf ihr Mandat, Schellenba­cher konnte Abgeordnet­er werden. Der ehemalige Bodyguard von Heinz-Christian Strache, dessen Dokumente die Ibiza- und Spesenaffä­ren auslösten, gab an, dass Strache von den Ukrainern Bargeld in Sporttasch­en hatte. Strache bestreitet das. Einer dieser ukrainisch­en Oligarchen soll Schellenba­cher kurz vor Marsaleks Flucht vor Problemen gewarnt haben: „Wir haben natürlich mitbekomme­n, dass es bei Wirecard stinkt.“

„Die Verhaftung zeigt aber, dass die FPÖ wieder einmal ganz nah dort ist, wo augenschei­nlich viel Geld in Bewegung war und enge Kontakte zu Russland bestanden“, kommentier­t Wolfgang Gerstl, türkiser Fraktionsf­ührer im Ibiza-U-Ausschuss.

Die strafrecht­lichen Vorwürfe betreffen in Österreich zwar bislang nur das Umfeld der FPÖ, für alle Genannten gilt die Unschuldsv­ermutung. Allerdings hatte das WirecardUn­iversum auch zu anderen Parteien beste Verbindung­en. Firmenchef Markus Braun stammt, ebenso wie Marsalek, aus Wien. Braun spendete einst den Neos 125.000 Euro, bevor er dann zum Unterstütz­er von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde. 70.000 Euro überwies er der Volksparte­i im Wahljahr 2017, außerdem saß er im Thinktank des Bundeskanz­leramts.

Vorsprache im Kanzleramt

Ein Wirecard-Partner wurde beim Team des Kanzlers vorstellig, um eine „Flüchtling­sApp“zu bewerben, das Kanzleramt leitete sie an die Fachminist­erien weiter. Laut ARDRecherc­hen war die Flüchtling­s-App von Marsalek persönlich vorangetri­eben und auch bei der bayrischen Landesregi­erung beworben worden. In diesem Kontext taucht Ex-Vizekanzle­r Michael Spindelegg­er (ÖVP) auf: Er nahm in seiner Funktion als Generaldir­ektor des Instituts für Migrations­fragen (ICMPD) mit dem Lobbyisten Udo Schulze-Brockhause­n an einem Termin im bayrischen Innenminis­terium zur Wirecard-Flüchtling­s-App teil.

Spindelegg­er und Schulze-Brockhause­n sind über die „Agentur zur Modernisie­rung der Ukraine“miteinande­r verbunden, sie wurde vom russischen Oligarchen Dimitri Firtasch gegründet. Dessen Auslieferu­ng wird von den USA verlangt, er sitzt derzeit in Wien fest. Spindelegg­er sagte der ARD: „Wirecard war an diesen Gesprächen zwischen Innenminis­terium und ICMPD nicht beteiligt, und es ist keine Rolle für Wirecard in diesem Projekt vorgesehen.“

 ??  ?? Jan Marsalek ist zur Fahndung ausgeschri­eben. Ein ehemaliger FPÖ-Abgeordnet­er soll ihm gemeinsam mit einem BVTBeamten zur Flucht nach Weißrussla­nd verholfen haben.
Jan Marsalek ist zur Fahndung ausgeschri­eben. Ein ehemaliger FPÖ-Abgeordnet­er soll ihm gemeinsam mit einem BVTBeamten zur Flucht nach Weißrussla­nd verholfen haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria