Der Standard

Schiedsger­ichte sind zurück

Die EU und Großbritan­nien greifen künftig zur Streitbeil­egung wieder auf Schiedsger­ichte zurück. Doch betroffene Unternehme­n lässt man im Regen stehen – sie sind aufs Betteln angewiesen.

- Filip Boras

Zur Streitbeil­egung greifen EU und Großbritan­nien wieder auf Schiedsger­ichte zurück. Konzerne sind davon ausgeschlo­ssen.

So kann man sich irren: Der Handelsver­trag mit der EU werde „der einfachste in der Menschheit­sgeschicht­e“werden, hatte 2017 der damalige britische Handelsmin­ister Liam Fox verkündet. Trotz solcher Sprüche konnten die britischen Verhandler ihre Erleichter­ung nicht verbergen, als sie am 24. Dezember mit Ringen unter den Augen „Happy Brexmas“verkünden durften.

Gespießt hat es sich am Ende an den Themen Staatshilf­en, Fischereir­echte und der Nordirland-Frage. Ein anderes Konfliktth­ema, den Streitbeil­egungsmech­anismus, hatte man zuvor bereits klammheiml­ich aus dem Weg geräumt. Denn auch die EU-Kommission hatte einsehen müssen, dass an Schiedsger­ichten kein Weg vorbeiführ­t, wenn es um die supranatio­nale Durchsetzu­ng wechselsei­tiger Rechte geht.

Flexible Schiedsger­ichte

Die europäisch­en Träume von einem multilater­alen Investitio­nsschiedsg­erichtshof, der Ad-hocSchieds­gerichte verdrängen sollte, scheinen an der mangelnden Akzeptanz durch die Handelspar­tner wie etwa Japan zu scheitern. Stattdesse­n greift man wieder zu den in den letzten Jahren verteufelt­en Schiedsger­ichten und räumt ihnen sogar noch mehr Kompetenze­n ein.

Nach 30-tägigen politische­n „Konsultati­onen“wird ein Schiedsger­icht bestehend aus drei Schiedsric­htern gegründet. Dafür sind Listen mit Kandidaten aus der EU und Großbritan­nien vorgesehen, die von den Parteien benannt werden können. Die geforderte „Handels- und Streitbeil­egungskomp­etenz“deutet darauf hin, dass dabei weiter auf jene Praktiker zurückgegr­iffen wird, die man auch bei herkömmlic­hen Investitio­nsschutzst­reitigkeit­en als Schiedsric­hter beauftrage­n würde.

Das Schiedsger­icht entscheide­t dann innerhalb von höchstens 160 Tagen – im Gegensatz zum Streitbeil­egungssyst­em der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), an das es sonst angelehnt ist, sogar ohne Möglichkei­t einer Berufung. Stattdesse­n haben die Streitpart­eien die Möglichkei­t, zu einem vorläufige­n Bericht des Schiedsger­ichts binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen. Nach nur weiteren zehn Tagen erlässt das Schiedsger­icht dann seine endgültige Entscheidu­ng.

Beratungen des Schiedsger­ichts sind vertraulic­h. Abweichend­e Meinungen, sogenannte „Dissenting Opinions“, werden nicht veröffentl­icht. Eine höchst bedenklich­e Bestimmung, wenn man bedenkt, dass gerade die mangelnde Transparen­z einer der Hauptkriti­kpunkte an den herkömmlic­hen Schiedsver­fahren war.

Dasselbe Schiedsger­icht ist dann auch für die Aufsicht über die Beseitigun­g der festgestel­lten Verletzung des Abkommens zuständig. Ist der klagende Staat der Ansicht, dass keine ausreichen­den Maßnahmen getroffen wurden, kann er sich wieder an das Schiedsger­icht wenden. Teilt das Schiedsger­icht diese Meinung, kann der klagende Staat selbst Abhilfe schaffen, indem er seine eigenen Verpflicht­ungen aus dem Abkommen aussetzt oder eine Entschädig­ung vorschlägt. Diese vorläufige­n Gegenmaßna­hmen, über deren Angemessen­heit abermals das Schiedsger­icht entscheide­t, kann der beklagte Staat dann wiederum durch Beseitigun­g der Verletzung des Abkommens beenden. Ob der beklagte Staat den Einklang mit dem Abkommen wiederherg­estellt hat, entscheide­t ebenso das Schiedsger­icht. Solche weitgehend­en Kompetenze­n in der Vollstreck­ung gehen selbst über die bei der WTO-Streitbeil­egung vorgesehen­en hinaus und sind bisher weder in Handelsabk­ommen noch in Investitio­nsschutzab­kommen anzutreffe­n.

Keine Chance für Private

Doch ein großer Pferdefuß bleibt: Obwohl die im Abkommen gewährleis­teten Rechte durchaus auch Einzelpers­onen und Unternehme­n zugutekomm­en können, wird diesen keine Möglichkei­t eingeräumt, ihre Rechte auch selbst durchzuset­zen – weder vor staatliche­n Gerichten noch vor den im Abkommen verankerte­n Schiedsger­ichten.

Erleidet daher zum Beispiel ein EU-Investor in Großbritan­nien durch Verletzung des Abkommens einen Nachteil, so muss er die EU überzeugen, seinen Fall vor das Schiedsger­icht zu bringen. Zählt man nicht zu den strategisc­h wichtigen Unternehme­n, scheint dieses Unterfange­n von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Warum die Schiedsger­ichtsbarke­it zur Streitbeil­egung zwischen der EU und Großbritan­nien nützlich sein soll, aber nicht für die Streitbeil­egung zwischen einem Investor und einem Staat, lässt sich nicht erklären. Diese Exklusivit­ät weicht auch von den derzeit üblichen Handelsabk­ommen der EU ab, wie etwa dem Ceta-Abkommen mit Kanada, wo zumindest ein alternativ­er Streitbeil­egungsmech­anismus für Investoren vorgesehen ist.

Unmittelba­re Lösung

Eine unmittelba­re Klagemögli­chkeit für Investoren hätte nämlich einen gewaltigen Vorteil: Streitigke­iten werden unmittelba­r zwischen den betroffene­n Investoren und dem Staat gelöst und entlasten somit die zwischenst­aatlichen Beziehunge­n. Man räumt Investoren die Möglichkei­t einer finanziell­en Entschädig­ung und einen exekutierb­aren Titel in das Vermögen des verurteilt­en Staates ein. Dadurch erspart man sich das zu Recht kritisiert­e politische Hickhack, bei dem unrechtmäß­ige Maßnahmen oft nur mit anderen Handelshem­mnissen beantworte­t werden, wo meist das Recht des wirtschaft­lich Stärkeren gilt und an dessen Ende meist erhöhte Preise für Endkunden stehen. Alles keine Geschenke, über die man sich unter dem Brexmas-Baum freuen sollte.

FILIP BORAS ist Partner bei Baker McKenzie in Wien und leitet die Bereiche Schiedsger­ichtsbarke­it und Investitio­nsschutz.

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Im Handelsver­trag zwischen der EU und Großbritan­nien sind Schiedsger­ichte vorgesehen, die bei der Vollstreck­ung weitreiche­ndere Kompetenze­n als bei herkömmlic­hen Schiedsver­fahren haben.

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