Juristen rufen nach rechtlichen Vorteilen für Geimpfte und Genesene
Besserstellungen könnten aber nur dann gelten, wenn geklärt ist, ob die Impfung auch vor Übertragung schützt
Zwei Gruppen werden in den nächsten Monaten immer größer werden: die der Personen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, und die jener, die dagegen geimpft wurden. Zur ersten Gruppe zählen jetzt schon über 367.000 Personen. Bis Ende März soll, wie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ankündigte, allen über 65-Jährigen ein Impfstoff angeboten werden: Das wären 1,7 Millionen Menschen.
Ist es dann überhaupt gerechtfertigt, dass man als Genesene oder Geimpfter im Falle eines Lockdowns oder im Falle, dass anderen Maßnahmen zur Verhinderung der Virusverbreitung gelten, denselben Beschränkungen unterliegt wie die restliche Bevölkerung?
Das hängt vor allem von einer Sache ab: Ob eine Impfung oder eine überstandene Erkrankung gesichert davor schützt, andere anzustecken. Beides ist noch nicht abschließend geklärt. Zumindest beim Impfstoff von Moderna gebe es aufgrund vorliegender Studien bei Affen einen eindeutigen „Hoffnungsschimmer“, sagt die Virologin Christina Nicolodi. Bei den verschiedenen Impfstoffen könnte es aber Unterschiede geben darin, wie weit sie die Übertragung eindämmen.
„Ermutigende“Daten
Auch die wissenschaftlichen Leiterin des nationalen Impfgremiums, Ursula Wiedermann-Schmidt, betont, dass bei einer Person, die durch die Impfung vor Erkrankung geschützt ist, auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Erkrankung übertragen wird, „deutlich geringer“sei. Konkretere Angaben dazu erwarte sie „in den nächsten Wochen und Monaten“. Der Geschäftsführer von Pfizer sprach kürzlich von „ermutigenden Daten“, die vorliegen würden, was die verhinderte Transmission durch eine Impfung des Stoffs von Biontech/Pfizer betrifft.
Sobald wissenschaftlich gesichert ist, dass die Übertragung nach einer Impfung oder Erkrankung verhindert wird, müsste man auch rechtlich Konsequenzen ziehen, sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer: Wenn feststehe, dass man keine Gefahr für andere mehr darstelle, müsse man von allen Beschränkungen befreit werden. Egal, ob das Geimpfte oder Genesene betrifft.
Weiter geht der Verfassungsjurist Peter Bußjäger: Selbst wenn es so sein sollte, dass eine Impfung nur die Erkrankung verhindert, sagt er, müsse „der Verordnungsgeber sich genau ansehen, ob diese Gleichstellung noch gerechtfertigt ist“. Er sei „nicht von vornherein der Meinung, man müsse die Leute dann noch gleichbehandeln“.
In der Praxis könnte das Folgendes bedeuten: Für die Zeit nach dem Lockdown ist geplant, dass man sich in bestimmte Gebäude und zu bestimmten Anlässen „reintesten“muss. Will man eine Veranstaltung mit über 20 Personen besuchen, muss man einen negativen CoronaTest nachweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. So lauteten zumindest die Pläne, auf die sich die Regierung mit der SPÖ geeinigt hatte.
„Ich sehe keinen Unterschied bei der Art der Beschränkungen, von denen diese Personen befreit sein müssten“, meint auch Mayer – solange man weder sich selbst infizieren kann noch eine Gefahr für andere darstellt. Als genesene oder geimpfte Person müsste man nach Ansicht der Juristen dann – sofern man kein Überträger mehr ist – den Getesteten gleichgestellt werden. „Wenn die Regierung die Tür für Getestete und Genesene aufmacht, dann müsste sie das auch für Geimpfte tun“, formuliert es Bußjäger.
Beschränkungen wackeln
Dieser Gedanke lässt sich weiterspinnen. Rechtlich geht die Regierung schon jetzt davon aus, dass von negativ Getesteten und Genesenen weniger Gefahr ausgeht als von anderen. In der Verordnung, die ab heute, Montag, gilt, ist das ausdrücklich festgehalten. Das Gesundheitsministerium
betont auch auf Nachfrage, man sei der Ansicht, „dass von Personen bis mindestens sechs Monate nach einer Infektion keine unmittelbare Gefahr ausgeht“.
Warum also sind diese Personen dann zwar von gewissen Einschränkungen ausgenommen, nicht aber von allen? Lücken wie diese „machen die Verordnung angreifbar“, sagt Bußjäger dazu.
Noch Ende Dezember betonte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), es seien keine Vergünstigungen für geimpfte Personen geplant. Am Freitag hieß es zum STANDARD aus dem Gesundheitsministerium: „Je größer die Gruppe der Geimpften und Genesenen wird, desto wichtiger werden natürlich solche Überlegungen.“Im Gesundheitsministerium wolle man auf weitere Daten über Genesene und Geimpfte warten, um zu einer Entscheidung zu kommen. Es gelte, „die Verlässlichkeit der Erkenntnisse mit dem Schutzbedürfnis der Umgebung abzuwägen“.