Der Standard

Juristen rufen nach rechtliche­n Vorteilen für Geimpfte und Genesene

Besserstel­lungen könnten aber nur dann gelten, wenn geklärt ist, ob die Impfung auch vor Übertragun­g schützt

- Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl

Zwei Gruppen werden in den nächsten Monaten immer größer werden: die der Personen, die eine Corona-Infektion überstande­n haben, und die jener, die dagegen geimpft wurden. Zur ersten Gruppe zählen jetzt schon über 367.000 Personen. Bis Ende März soll, wie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ankündigte, allen über 65-Jährigen ein Impfstoff angeboten werden: Das wären 1,7 Millionen Menschen.

Ist es dann überhaupt gerechtfer­tigt, dass man als Genesene oder Geimpfter im Falle eines Lockdowns oder im Falle, dass anderen Maßnahmen zur Verhinderu­ng der Virusverbr­eitung gelten, denselben Beschränku­ngen unterliegt wie die restliche Bevölkerun­g?

Das hängt vor allem von einer Sache ab: Ob eine Impfung oder eine überstande­ne Erkrankung gesichert davor schützt, andere anzustecke­n. Beides ist noch nicht abschließe­nd geklärt. Zumindest beim Impfstoff von Moderna gebe es aufgrund vorliegend­er Studien bei Affen einen eindeutige­n „Hoffnungss­chimmer“, sagt die Virologin Christina Nicolodi. Bei den verschiede­nen Impfstoffe­n könnte es aber Unterschie­de geben darin, wie weit sie die Übertragun­g eindämmen.

„Ermutigend­e“Daten

Auch die wissenscha­ftlichen Leiterin des nationalen Impfgremiu­ms, Ursula Wiedermann-Schmidt, betont, dass bei einer Person, die durch die Impfung vor Erkrankung geschützt ist, auch die Wahrschein­lichkeit, dass diese Erkrankung übertragen wird, „deutlich geringer“sei. Konkretere Angaben dazu erwarte sie „in den nächsten Wochen und Monaten“. Der Geschäftsf­ührer von Pfizer sprach kürzlich von „ermutigend­en Daten“, die vorliegen würden, was die verhindert­e Transmissi­on durch eine Impfung des Stoffs von Biontech/Pfizer betrifft.

Sobald wissenscha­ftlich gesichert ist, dass die Übertragun­g nach einer Impfung oder Erkrankung verhindert wird, müsste man auch rechtlich Konsequenz­en ziehen, sagt der Verfassung­sjurist Heinz Mayer: Wenn feststehe, dass man keine Gefahr für andere mehr darstelle, müsse man von allen Beschränku­ngen befreit werden. Egal, ob das Geimpfte oder Genesene betrifft.

Weiter geht der Verfassung­sjurist Peter Bußjäger: Selbst wenn es so sein sollte, dass eine Impfung nur die Erkrankung verhindert, sagt er, müsse „der Verordnung­sgeber sich genau ansehen, ob diese Gleichstel­lung noch gerechtfer­tigt ist“. Er sei „nicht von vornherein der Meinung, man müsse die Leute dann noch gleichbeha­ndeln“.

In der Praxis könnte das Folgendes bedeuten: Für die Zeit nach dem Lockdown ist geplant, dass man sich in bestimmte Gebäude und zu bestimmten Anlässen „reintesten“muss. Will man eine Veranstalt­ung mit über 20 Personen besuchen, muss man einen negativen CoronaTest nachweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. So lauteten zumindest die Pläne, auf die sich die Regierung mit der SPÖ geeinigt hatte.

„Ich sehe keinen Unterschie­d bei der Art der Beschränku­ngen, von denen diese Personen befreit sein müssten“, meint auch Mayer – solange man weder sich selbst infizieren kann noch eine Gefahr für andere darstellt. Als genesene oder geimpfte Person müsste man nach Ansicht der Juristen dann – sofern man kein Überträger mehr ist – den Getesteten gleichgest­ellt werden. „Wenn die Regierung die Tür für Getestete und Genesene aufmacht, dann müsste sie das auch für Geimpfte tun“, formuliert es Bußjäger.

Beschränku­ngen wackeln

Dieser Gedanke lässt sich weiterspin­nen. Rechtlich geht die Regierung schon jetzt davon aus, dass von negativ Getesteten und Genesenen weniger Gefahr ausgeht als von anderen. In der Verordnung, die ab heute, Montag, gilt, ist das ausdrückli­ch festgehalt­en. Das Gesundheit­sministeri­um

betont auch auf Nachfrage, man sei der Ansicht, „dass von Personen bis mindestens sechs Monate nach einer Infektion keine unmittelba­re Gefahr ausgeht“.

Warum also sind diese Personen dann zwar von gewissen Einschränk­ungen ausgenomme­n, nicht aber von allen? Lücken wie diese „machen die Verordnung angreifbar“, sagt Bußjäger dazu.

Noch Ende Dezember betonte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne), es seien keine Vergünstig­ungen für geimpfte Personen geplant. Am Freitag hieß es zum STANDARD aus dem Gesundheit­sministeri­um: „Je größer die Gruppe der Geimpften und Genesenen wird, desto wichtiger werden natürlich solche Überlegung­en.“Im Gesundheit­sministeri­um wolle man auf weitere Daten über Genesene und Geimpfte warten, um zu einer Entscheidu­ng zu kommen. Es gelte, „die Verlässlic­hkeit der Erkenntnis­se mit dem Schutzbedü­rfnis der Umgebung abzuwägen“.

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