Globaler Kampf um den Impfstoff
Seit mehreren Wochen wird gegen Covid-19 geimpft, zumindest in vielen reicheren Ländern. Das Gros der Staaten wartet aber auf Impfstofflieferungen – und das wohl noch länger.
Die Welt steht am Rand eines moralischen Versagens“, fasste WHO-Chef Tedros Ghebreyesus vor kurzem die Zahlen zu bisherigen Covid-Impfungen zusammen. 95 Prozent aller Immunisierungen sind laut WHO bisher in nur zehn Ländern verabreicht worden. Die meisten der weltweit über 63 Millionen Dosen wurden in Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Großbritannien, Bahrain, den USA, einigen EU-Staaten und China verabreicht. In absoluten Zahlen führen die USA mit über 20 Millionen die Liste an. Die Pandemie macht einmal mehr die Kluft zwischen wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Staaten sichtbar.
Sogar wenn das – wie manche Beobachter meinen – gerechtfertigt wäre, weil die wohlhabenderen Staaten derzeit am stärksten betroffen seien: Auch der Ausblick auf bereits abgeschlossene Lieferverträge mit Pharmaunternehmen zeigt einen ähnlich ungleichen Trend.
Reiche und große Länder haben sich ein Vielfaches der für ihre Bevölkerung benötigten Dosen gesichert, Kanada führt diese Liste an. Auch die EU hat bereits rund 2,4 Milliarden Impfdosen fix bestellt – also umgerechnet fünf Impfungen pro Einwohner. Auch wenn nicht alle der geplanten Vakzine wirklich geliefert werden könnten: Ärmere Länder ziehen beim Run auf die Dosen den Kürzeren. Erst 2024 könnte es genug Impfstoff für alle geben, rechnete die Duke University vor.
Zusammengefasst ist der Trend deutlich: Die wirtschaftsstarken Länder bestellen direkt bei den Pharmafirmen, die wirtschaftsschwachen sind auf den Goodwill reicherer Länder angewiesen.
Dabei sollte genau diese Situation vermieden werden. Schon im April wurde die Organisation Covax gegründet, unter Schirmherrschaft von WHO und der Impfstoffallianz Gavi. Ziel ist, Ländern den Zugang zur Impfung zu ermöglichen, die es sich sonst nicht leisten könnten. Industrieund Schwellenländer zahlen mehr pro Dose, ärmere Staaten weniger bis gar nichts – so die Idee.
In der Realität geht die Rechnung nicht auf. 190 Staaten haben sich
zwar angeschlossen, ausreichend finanziert ist die Plattform aber nicht. Das Hauptproblem ist, dass viele reiche Länder mit den Pharmafirmen eigene, bilaterale Verträge abseits von Covax abschließen. Auch die Schwellenländer ziehen nach, die ärmsten gehen leer aus oder müssen sich hinten anstellen. Ein regelrechter „Impfstoffnationalismus“setze ein, warnt WHO-Chef Tedros.
Einige Länder pochen daher auf weiterreichende Maßnahmen. Eine Allianz, angeführt von Südafrika und Indien, fordert von der Welthandelsorganisation, die Patentrechte für Impfschutz temporär auszusetzen. Laut Amnesty International blockieren das aber die USA und die EU.
Komplizierte Kühllogistik
Doch an die Stoffe überhaupt heranzukommen ist nur ein Teil des Problems. Viele Länder sind mit der Kühllogistik überfordert. Wenn es in Österreich vor allem um die Frage geht, wie Hausärzte einen Impfstoff am besten lagern können, sehen sich andere Länder mit der Frage konfrontiert: Können sie überhaupt eine adäquate Kühllogistik aufstellen? Covax hat Bangladesch zum Beispiel Chargen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs angeboten, der ja auf minus 70 Grad gekühlt werden muss. Bedingung des Deals: Bangladesch muss einen funktionierenden Kühlplan präsentieren, damit das Vakzin nicht verdirbt.
So stecken ärmere Länder gleich mehrfach in der Klemme. Unicef hilft in Zentral- und Westafrika bei der Kühllogistik und stellt dort spezielle Flugzeuge bereit. Hoffnung nährt auch der auf den Ergebnissen von Astrazeneca (AZ) basierende Impfstoff aus Indien, der zumindest in normalen Kühlschränken lagerbar ist. Indien, mit seinem Serum Institute einer der größten Impfstoffhersteller weltweit, hat begonnen, im eigenen Land zu impfen und auch zu exportieren. Zwei Millionen Dosen sollen bald nach Bangladesch gehen.
Während Indien zum globalen Impfstoffplayer aufsteigt, hat es Südafrika versäumt, an gute Karten zu kommen. In dem Land soll zwar Impfstoff hergestellt werden, jener von Johnson & Johnson. Er wird dann aber in die USA exportiert. Das Land muss nun fast dreimal so viel für eine AZ-Dose zahlen wie die EU. Die Regierung habe die Entwicklung nicht mitfinanziert, zitierte das Gesundheitsministerium dazu AZ.
Analysten befürchten, dass eine breite Impfkampagne auf dem afrikanischen Kontinent noch Monate, wenn nicht gar Jahre dauern könnte. Dabei haben viele Länder dort, etwa durch Ebola, viel Erfahrung mit Impflogistik. Auch ist die Impfskepsis gering, weil viele Menschen erlebt haben, wie Impfungen Polio oder Masern wirksam bekämpfen.
Die Afrikanische Union hat sich mit Stand vergangene Woche 270 Millionen Dosen von drei Impfherstellern gesichert. Die Preise sind zwar stark vergünstigt, viele Staaten müssen sich dennoch verschulden, zeigen interne, an die Agentur Reuters geleakte Dokumente. „Impfnationalismus ist nicht nur unfair, er ist selbstzerstörerisch“, twitterte UN-Generalsekretär António Guterres schon Anfang des Jahres: „Kein Land wird sicher vor Covid-19 sein, wenn nicht alle Länder sicher sind.“