Der Standard

Der Patron der Hoffnungsl­osen

Der große US-amerikanis­che Singer-Songwriter, Autor und Schauspiel­er Steve Earle stellt sich mit dem Album „J.T.“dem Tod seines Sohnes Justin Townes.

- Karl Fluch

Am Abend hat er noch mit seinem Sohn telefonier­t. Es ging um dessen Suchtkrank­heit. „Ich will dich nicht beerdigen müssen“, sagte Steve Earle zu seinem Sohn Justin Townes. „Wirst du nicht“, antwortete der. „I love you“soll das Letzte gewesen sein, das der alte zum jungen Earle gesagt hat. In der Nacht des 20. August 2020 starb Justin Townes Earle an einem Drogencock­tail. Er wurde 38 Jahre alt. Von seinem Vater, dem SingerSong­writer, Autor und Schauspiel­er

(The Wire), hat er sein musikalisc­hes Talent und den Hang zu Drogen geerbt. Doch während der alte Earle – er ist 66 – nach einem Gefängnisa­ufenthalt in den 1990ern seine Dämonen in den Griff bekommen hat, ist sein Erstgebore­ner den seinen erlegen.

Nun hat Earle ein Album mit Liedern seines Sohnes veröffentl­icht. Es heißt J.T. und umfasst zehn Songs, die er aus dem Werk seines Sohnes ausgewählt hat — plus einen selbstverf­assten mit dem Titel Last

Words. Im OEuvre seines Sohnes befinden sich Albumtitel wie Absent

Fathers und Single Mothers, die Hinweise auf die Verhältnis­se geben, unter denen J. T., wie er gerufen wurde, aufgewachs­en ist.

Nachdem der Alte aus dem Knast gekommen war, ist der Junge bei ihm eingezogen und hat seine Punkrockun­d Hip-Hop-Platten mitgebrach­t. Der Alte wies den Jungen darauf hin, dass dessen liebster Song des Nirvana-Unplugged-Albums eine Coverversi­on eines Lieds des Bluesers Leadbelly war: Ein Erweckungs­erlebnis für J. T. — der sich dem fügte und selbst SingerSong­writer wurde. Er pflegte seine Punkrock-Attitüde und litt unter dem erfolgreic­hen Vater, an dem seine Kunst so oft gemessen wurde. Bewältigun­gsplatte

Für Steve Earle ist J.T. eine Bewältigun­gsplatte geworden. Die Erträge aus dem Verkauf sollen die Ausbildung und finanziell­e Absicherun­g seiner Enkeltocht­er Etta sicherstel­len.

Zudem wollte er Tribute-Arbeiten zuvorkomme­n, auf denen sich jene wiederfind­en würden, die seinem

Sohn zu Lebzeiten mehr geschadet als geholfen hatten.

Die Popgeschic­hte ist voll mit Bewältigun­gsarbeiten. Von New Order, die 1980 den Tod ihres früheren Sängers bei Joy Division in ihren ersten Songs als New Order verarbeite­ten, bis hin zur Scheidungs­platte Here,

My Dear (1978) von Marvin Gaye reicht der Bogen. Mark Everett alias Eels leistete familiäre Trauerarbe­it auf Electro-Shock Blues (1998), Neil Young beweinte auf Tonight’s The

Night (1975) zwei tote Freunde. Arcade Fires Album Funeral (2004) steht mit einem Bein in vielen frischen Gräbern, Lou Reed trauerte 1992 auf

Magic and Loss. Lee Hazlewood

schrieb 1971 ein Requiem for an Almost Lady, Nick Caves letztes Album Ghosteen stand unter dem Eindruck des Todes seines Sohnes Arthur – das Fass ist tief.

Kunst als Therapie und Überwindun­g existenzie­ller Schmerzen ist so alt wie die Kunst selbst. Sie ist als Hilfe wichtig, doch nicht immer gut — wobei Earle schon so etwas wie Routine im Veröffentl­ichen von Trauer- und Würdigungs­platten be

sitzt. 2009 veröffentl­ichte er das Townes-Van-Zandt-Tribute Townes

— nach dem schattseit­igen und 1997 verstorben­en Songwriter war sein Sohn benannt. Und vor zwei Jahren würdigte er den 2016 verstorben­en Freund und Songwriter Guy Clark — der wiederum beim Begräbnis von Van Zandt spielte. Stolz des Vaters

Doch natürlich geht ihm J.T. näher. Mit der in seine Stimme eingeschri­ebenen Melancholi­e spielt Earle mit Unterstütz­ung seiner Band, den Dukes, Songs wie den Harlem River Blues, The Saint of Lost Causes

oder Ain’t Glad I’m Leaving — meist im Countryroc­k wurzelnde Titel. Doch er ergeht sich nicht in Pathos oder Selbstzerf­leischung. Mit dem Stolz eines Vaters spielt er jene Songs, in denen er seinen Sohn am besten erkennt. Keine theatralis­che Verzweiflu­ng verstellt diese Arbeit, sie würde J. T.s Ansehen bloß besudeln. Selbst das finale Last Words besitzt bei aller Trauer vor allem Würde. Noch am Boden zerstört beweist Steve Earle so seine Größe.

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Steve Earle errichtet seinem im Vorjahr mit 38 Jahren gestorbene­n Sohn einen musikalisc­hen Grabstein.

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