Der Standard

Larry King 1933–2021

25 Jahre lang beherrscht­e der legendäre Moderator die abendliche Talk-Bühne in Amerika

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DEugen Freund

er Mann lümmelt im Sessel, seine angeschwol­lenen Füße sind hochgelage­rt. Marlon Brando nimmt keine Rücksicht auf seinen Gastgeber: Einmal zwickt er Larry King in die Nase. Am Schluss verabschie­det er sich in Mafia-Manier und küsst ihn auf den Mund – als wollte er damit andeuten, King habe sich anständig verhalten und daher seine hohen Weihen verdient.

Anständig war Larry King immer, egal wer bei ihm zu Gast war. Weder brüllte er seine Gäste an noch politisier­te und polarisier­te er wie Bill O’Reilly oder Glenn Beck auf dem Konkurrenz­kanal Fox News. Am 16. Dezember 2010, nach einem Vierteljah­rhundert fast täglicher Auftritte auf CNN, musste King seinen Platz räumen. Gleich mehrere ehemalige US-Präsidente­n gaben ihm die Ehre. Ein Typ wie er, „the quintessen­tial nice guy“, war nicht mehr gefragt. Seine Einschaltz­iffern, zumindest zwei Jahrzehnte über dem Durchschni­tt sonstiger Sendungen auf CNN, rasselten in den Keller. Auch das ein Bild für das damalige Klima in den USA, das – man konnte es noch nicht ahnen – von Jahr zu Jahr gehässiger wurde.

Dabei hat niemand so früh zu üben begonnen wie Larry King: Mit 13 Jahren stand er als kleingewac­hsener, leicht übergewich­tiger Brillenträ­ger namens Lawrence Zeiger an einer Straßeneck­e im New Yorker Stadtteil Brooklyn und kommentier­te das Geschehen rund um sich. Jeder, der ihn kannte, nannte ihn „das Mundwerk“.

Zehn Jahre danach war das Mundwerk plötzlich eingetrock­net: Larry ist in Miami, sein erster Radioauftr­itt steht unmittelba­r bevor, die Platte läuft aus, aber nichts kommt aus seinem Mund. Er lässt die Musik weiterlauf­en bis zum nächsten Versuch – wieder nichts. Da schaut der Stationsma­nager ins Studio und sagt: „Hey, das ist ein Kommunikat­ionsuntern­ehmen – also kommunizie­re!“Und so hört man am

1. Mai 1957 zum ersten Mal seine Stimme im Radio: „Guten Morgen, mein Name ist Larry King, diesen Namen habe ich gerade vor 15 Minuten bekommen.“ Tatsächlic­h war es der Radiomanag­er, der „Lawrence Zeiger“nicht für geeignet hielt. Die Zeitung vor ihm zeigte die Werbung eines Alkoholges­chäfts, das „King“hieß.

Das Radio blieb lange Zeit Kings Lieblingsm­edium, Mitte der 1980erJahr­e lud ihn CNN-Gründer Ted Turner ein, eine abendliche Talkshow im Fernsehen zu leiten: Ab da konnte – oder wollte – kein Promi eine Einladung zu Larry King Live ablehnen. Vor allem Politiker schätzten es, bei King höflich und nicht aggressiv behandelt zu werden. Dennoch blieb King nicht unpolitisc­h: 1992 interviewt­e er Ross Perot so oft, bis jener den Widerruf seiner Kandidatur für das Präsidente­namt zurückzog und so George Bush die Wiederwahl versaute.

Wer bei ihm saß, so schrieb die New York Times zum Ende von Kings Karriere, „fühlte sich weniger auf einem heißen Stuhl als in einer warmen Badewanne“. In diese konnten sich die Gäste auch nach 22 Uhr legen, wenn die TVSendung zu Ende war:

Eine Stunde später lud King Persönlich­keiten zu sich ins Radio ein – bis lange nach Mitternach­t. Es gab genügend Fans, die extra aufblieben.

40.000 Interviews, darunter mit Figuren wie dem ehemaligen iranischen Staatspräs­identen Mahmud Ahmadi-Nejad oder dem Ober-Russen Wladimir Putin, machten ihn weltberühm­t – wenn er einmal seine typischen Hosenträge­r mit Sakko oder Pullover abdeckte, blieben immer noch die überdimens­ionalen Brillen als Erkennungs­zeichen.

Als ich Larry King im Sommer 2000 in Los Angeles zufällig auf der Straße begegnete, war er noch der unumstritt­ene „King of Talk“– verhielt sich aber keineswegs monarchisc­h: In Pantoffeln stand er bei einem Zeitungski­osk, holte sich die L.A. Times und ließ sich anstandslo­s ansprechen. Wie meist bei Larry King Live ist mir von diesem Treffen nichts Aufregende­s in Erinnerung geblieben. Außer dass er eben ein „nice guy“war. Jetzt ist er mit 87 Jahren in Los Angeles an den Folgen einer Corona-Erkrankung verstorben. Eugen Freund war ORF-Korrespond­ent in den USA und sozialdemo­kratischer Abgeordnet­er zum EU-Parlament.

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The King Is Dead: Die TVLegende Larry King wurde 87.

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