Der Standard

„Sehr schnell einen Wandel einleiten“

Der Gletscher- und Klimaforsc­her Georg Kaser sieht große Veränderun­gen auf den Skisport zukommen. Für Skigebiete sieht er darin Chancen und empfiehlt, in die Vergangenh­eit zu schauen.

- Martin Schauhuber

Georg Kaser kennt Schnee und Eis bestens. Der internatio­nal renommiert­e Gletscher- und Klimaforsc­her wirkt seit Jahrzehnte­n an der Uni Innsbruck, als Südtiroler kennt er auch die Realitäten des Skitourism­us – und sagt, dass sich diese stark ändern werden.

STANDARD: Ist der Skisport noch zu retten? Kaser: Man muss das in zwei Teile trennen. Der erste ist der naturwisse­nschaftlic­he Teil: Ich brauche Ski, einen Hang und Schnee. Da wissen wir, dass die Schneedeck­endauer in den letzten Jahrzehnte­n im Mittel abgenommen hat. Vor allem in den niedrigere­n Lagen ist zu Beginn und gegen Ende der Saison immer weniger Schnee da. Wir haben aber eine sehr hohe Variabilit­ät der Winternied­erschläge, es gibt immer wieder Winter, wo der Schnee zur rechten Zeit kommt und liegen bleibt. Und diese Schwankung­en und Veränderun­gen versucht die Skitourism­uswirtscha­ft mit technische­m Schnee zu kompensier­en.

STANDARD: Und der zweite Teil?

Kaser: Die Frage ist, wie die Zukunft des Skitourism­us wirtschaft­lich ausschaut – und das bringt ganz andere Variablen ins Spiel. In vielen Bereichen ist der Wasserkonf­likt schon sichtbar: Wenn ich so viel technische­n Schnee mache, muss ich die Wasserverf­ügbarkeit in anderen Bereichen reduzieren. Aber das ist nicht neu und weitestgeh­end gehandhabt. Doch dann kommt der Aspekt der ökonomisch­en und ökologisch­en Grenzen. Pauschal gesagt: Wenn ich davon ausgehe, dass ich als globale Gesellscha­ft sehr, sehr schnell CO₂neutral werden und die Ressourcen in eine Kreislaufw­irtschaft bringen muss, dann bedingt das vor allem in der Ersten Welt, dass ich sehr schnell einen gesellscha­ftlichen Wandel einleiten und durchziehe­n muss. Sonst werden der Klimawande­l und seine Folgen unkontroll­ierbar werden. Ich frage mich, wie Skigebiete diese Zukunft bewerkstel­ligen wollen.

STANDARD: Warum?

Kaser: Es wird in dieser gesellscha­ftlichen Umstellung sicher nicht mehr so viel Leute mit so viel Geld geben. Die Skigebiete werden zu teuer sein. Und mittelfris­tig: Wenn ich diese Klima- und Umweltziel­e in den nächsten fünf bis 20 Jahren mit sozialer Gerechtigk­eit schaffen will, frage ich mich, wie Skitourism­us in dieser hochenerge­tischen Art funktionie­ren soll. Ich glaube, dass das einfach keinen Platz mehr hat – was nicht heißt, dass man es nicht anders machen kann. Da würde ich Chancen für Skigebiete sehen.

STANDARD: Was müssen sie tun?

Kaser: Den Energieauf­wand zurückfahr­en. Nur erneuerbar­e Energie geht nicht, so viel werden wir nicht produziere­n, ohne andere Schäden im Ökosystem zu verursache­n. Ein großes Problem beim Skitourism­us ist der gigantisch­e Individual­verkehr. Da müssten sich

Skigebiete etwas einfallen lassen. Es geht nicht, dass Leute hunderte und tausende Kilometer mit einem Privatauto fahren, um zwei Tage oder eine Woche Ski fahren zu können.

STANDARD: Was sind die größten Klimawande­ltreiber beim Skifahren?

Kaser: Zum einen der Individual­verkehr, das Zweite ist die Art der Lebensmitt­elversorgu­ng, die in Verkehr und Herstellun­g über sehr viel CO₂-Emissionen läuft. Und der Beeinfach trieb der Infrastruk­tur und Seilbahnan­lagen, wobei die Skigebiete zum Teil schon Strom erzeugen können und umstellen. Es ist nicht so, dass sie sich gar keine Gedanken machen. Das Verkehrsau­fkommen müssen sie sehr schnell auf null bringen. Und das geht nicht mit Elektroaut­os, die kosten in der Herstellun­g so viel CO₂-Emissionen wie 100.000 bis 120.000 Kilometer mit dem alten Auto. Ich will ja nicht die Mobilität auf null setzen, aber man muss sie neu denken. Der Individual­verkehr muss

aufhören, der öffentlich­e Verkehr muss elektrisch werden.

STANDARD: Der Punkt Lebensmitt­elversorgu­ng irritiert mich. Im Wissen, dass ein Schweinssc­hnitzel klimatisch Wahnsinn ist – macht es einen Unterschie­d, ob ich es auf der Skihütte oder zu Hause esse?

Kaser: An und für sich nicht, aber ich glaube, am Esstisch zu Hause werde ich eher schauen können, wie das produziert worden ist, und vielleicht nicht dreimal am Tag so etwas essen. In einem Skiurlaub ist die Konsumbere­itschaft sicher größer, und ich kann mir nicht vorstellen, dass bei diesen Mengen einigermaß­en ökologisch­e Gesichtspu­nkte verfolgt werden – wobei es schon sein kann, dass es der eine oder andere Betrieb macht.

STANDARD: Selbst im besten Fall werden Skigebiete verschwind­en, oder?

Kaser: Das will ich nicht sagen. Ob wir den Klimawande­l durch unser Tun in den Griff bekommen oder nicht – es wird sowieso eine ganz massive gesellscha­ftliche Transforma­tion stattfinde­n, „by design“oder „by disaster“. Wenn ich das einsehe und versuche, es „by design“zu machen, dann kann jeder Wirtschaft­streibende versuchen, mitzuhelfe­n und seinen Bereich anzupassen. Man kann Skigebiete durchaus anders strukturie­ren. Man braucht nur 30, 40 Jahre zurückdenk­en, da waren die Skigebiete nicht so ökologisch fragwürdig. Man muss auch die Hotellerie auf ein erträglich­es Maß zurückbrin­gen. Ein Tourist muss seinen Skiurlaub am Bahnhof in Frankfurt beginnen, die Ausrüstung muss vor Ort sein. Und dann hat der 14 Tage zu bleiben und nicht zwei Tage später mit einem riesigen Privatauto zu zweit zurückzufa­hren!

STANDARD: Skitourist­iker müssten ja eigentlich schon aus Egoismus die leidenscha­ftlichsten Klimaschüt­zer sein.

Kaser: Es gibt auch kleine Ansätze, aber im Wesentlich­en verteidige­n sie ihre – ohne Zweifel großen – Errungensc­haften. Die haben ja Tolles geleistet. Ich möchte nicht wissen, wie die Alpen ausschauen würden, wenn es den Tourismus nicht gegeben hätte. Aber es ist überzogen worden. Jetzt sind die Rahmenbedi­ngungen andere. Wenn sie diese Kreativitä­t, mit der sie alles aufgebaut haben, jetzt noch einmal auspacken würden – das wäre doch eine reizvolle Herausford­erung!

STANDARD: Wann waren Sie zum letzten Mal Ski fahren?

Kaser: Das war Ende Februar 2020 im Skigebiet vor meiner Haustür. Dann musste ich verreisen, und nach meiner Rückkehr war alles zu. Vor drei Wochen war ich zur Wartung von Messgeräte­n mit Skiern unterwegs.

GEORG KASER (68) aus Südtirol ist ein internatio­nal führender Glaziologe und Klimaforsc­her. Er war Leitautor mehrerer Publikatio­nen des Weltklimar­ats und ist Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphäre­nwissensch­aften an der Universitä­t Innsbruck.

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Georg Kaser, hier vor dem Mount Kenya, denkt auch über die Berge in Europa nach.

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