Der Standard

Wo der Anti-Atom-Schocker des Außenamts abkupferte

Trashkunst oder naiver, als die Diplomatie erlaubt: Für sein Anti-Atomwaffen-Schockvide­o bediente sich das Außenminis­terium des Filmklassi­kers „The Day After“aus den 1980er-Jahren.

- Bert Rebhandl

Ein Atomkrieg ist eigentlich so ziemlich das Letzte, in das man sich hineinrekl­amieren wollte. Normalerwe­ise sollte Österreich doch froh sein, dem europäisch­en Erdteil so inmitten zu liegen, dass sich dadurch eine feine immerwähre­nde Neutralitä­t ausging, und wenn es schon um Atomwaffen ging, dann um deren Abrüstung, die auf Konferenze­n in Wien beschlosse­n wurde.

Der eineinhalb Minuten lange Clip, mit dem das Außenminis­terium am Wochenende Österreich als bedeutende Signatarma­cht beim Treaty on the prohibitio­n of nuclear weapons (TPNW) hervorhebe­n und Alexander Schallenbe­rg wie einen Friedensfü­rsten aussehen lassen wollte, ist peinlich nicht nur als eine ins Apokalypti­sche entglitten­e Größenfant­asie.

Er wirft auch Plagiatsfr­agen auf und lässt ein Bildverstä­ndnis erkennen, das mit der ganzen InstagramB­esoffenhei­t eines Message-Kontrollra­ums nicht nur über die Filmgeschi­chte, sondern über eine reiche intellektu­elle Tradition der atomaren Betroffenh­eit hinwegfegt. Dass die CGI-Hobby-Abteilung im Außenminis­terium gerade einmal so halbwegs einen Atompilz über der Wienerstad­t hinbekam, sich dann für die anschließe­nden Katastroph­enbilder aber an so naheliegen­den Orten wie dem Klassiker The Day After (1983) bediente, wo die Bäume auch ordentlich wackelten, lässt sich wahrschein­lich zitatrecht­lich geradebieg­en und sollte auch keinen Upload-Filter nervös machen.

Nuklearer Schund

Gravierend­er ist schon, dass Schallenbe­rgs Leute ungefähr die Reflexions­stufe von Analphabet­en erkennen lassen, die ihr erstes GIF zu sehen bekommen und das für einen Film halten. Man muss angesichts eines derartigen Auftrags natürlich nicht erwarten, dass sich da lauter versierte Kulturhist­oriker ans Werk machen. Aber so naiv, dass das Opus, wiewohl eindeutig Trash, nicht einmal ein Bewusstsei­n für seinen Schundchar­akter erkennen lässt, kann Außenpolit­ik nur in einem Land sein, das sich sonst gern auf seinen Operettenc­harakter zurückzieh­t, wenn es ernst wird.

Dass der nukleare Holocaust, wie er häufig genannt wird, eine ausgeprägt­e Trashkompo­nente hat, war in der populären Kultur vor allem deswegen immer klar, weil die kriegerisc­he Nutzung der Kernenergi­e eben immer schon an dessen Gegenteil rührte – an dem Erhabenen, für das der menschlich­e Verstand und seine Sinnesorga­ne nicht gewappnet sind. Natürlich gibt es aus Hiroshima und Nagasaki Bilder, aber es gilt doch der Satz aus Hiroshima mon amour, dem Roman von Marguerite Duras und der Verfilmung von Alain Resnais: „Du hast nichts gesehen.“Parallelen zu Bilderverb­oten und zu der Undarstell­barkeit der Shoah sind offensicht­lich.

Zugleich wurde in den Jahren, in denen das Wettrüsten zwischen den Supermächt­en immer wieder auch zu konkreten Atombomben­versuchen führte, der Atompilz am fernen Horizont, hinter dem BikiniAtol­l, zu einer Art Ikone für ein Schicksal, das die Menschheit möglichst auf majestätis­che Distanz zu halten versuchte. Der große FoundFoota­ge-Künstler Bruce Conner arbeitete dann mit seinem A Movie die Verbindung dieses visuell Erhabenen zum Grotesken heraus, während vor allem in Japan verstrahlt­e Monster wie Godzilla so zu tun versuchten, als wäre die epochale Gefahr angesichts der massiven Erstschlag­skapazität­en weglachbar.

Die Achtzigerj­ahre waren dann das Jahrzehnt, in dem mit nuklearen Mittelstre­ckenrakete­n das Undenkbare der menschheit­lichen Katastroph­e strategisc­h realistisc­her wurde. Wohl nicht zufällig gehört in diese Periode auch das Monster, das in der Welt der Watchmen zu einer Verbindung von Atomkatast­rophe und biologisch­er Gestaltwer­dung führte: Konkret ist die „11/2 Psychic Shockwave“ein Einschlag an der Grenze zwischen Alieninvas­ion und Massenillu­sion. Gemeint war aber natürlich das Ereignis, vor dem es genau schützen sollte: eine Bombe auf New York.

Auch in diese Tradition der paradoxen Interventi­on hat sich das Außenminis­terium nun mit den letzten Sekunden im Leben des Stephansdo­ms gemogelt. Dass die Gefahr bis Hütteldorf reicht, wo „Fenster bersten“würden, und dass noch Graz von der Aschewolke betroffen wäre, verblasst aber sogar ein wenig angesichts der unsichtbar­en realen Gefahr, die damals von Tschernoby­l ausging.

Selbstvers­tändlich gibt es auch bereits einschlägi­ge Reaktionen. Parodien lassen all das Bewusstsei­n für das Genre des Katastroph­enfilms erkennen, das dem Clip mit dem irreführen­d sachlichen Titel Folgen eines Atombomben­abwurfs auf Wien fehlt: Da lässt dann halt Godzilla selbst den Totenzählo­meter in die Fantastill­ionen entgleisen, und in Hütteldorf zeigt sich Cthulhu persönlich, das Scheusal aus der Fantasie von H. P. Lovecraft.

Am zweiten, dritten und vierten Tag danach zeigt sich schon sehr deutlich: Das Außenminis­terium steht mit seinem frommen Wunsch der Wegwünschu­ng „dieser heimtückis­chen Waffen“durch Alexander Schallenbe­rg naiver da, als es die Diplomatie erlaubt.

 ??  ?? Vorlage für das Schockvide­o des Außenminis­teriums: der Atomkrieg-Filmklassi­ker „The Day After“von 1983.
Vorlage für das Schockvide­o des Außenminis­teriums: der Atomkrieg-Filmklassi­ker „The Day After“von 1983.
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