Wie können durch die Corona-Pandemie entstandene Lerndefizite am besten ausgeglichen werden?
Die Corona-Pandemie hat bei vielen zu Lerndefiziten geführt. Aber deswegen das ganze Schuljahr wiederholen? „Nein!“, sind sich Schüler, Direktoren und der Bildungsminister einig. Sie setzen auf gezielte Förderprogramme.
Hat das Coronavirus den Wissenserwerb von vielen Kindern durch die langen digitalen Distanzunterrichtsphasen so sehr beschädigt, dass diese am besten das ganze Schuljahr wiederholen sollten? Ja, findet die ehemalige Ombudsfrau im Bildungsministerium, Susanne Wiesinger, die jetzt Volksschullehrerin in Wien-Favoriten ist. In Profil spricht sie sich für eine breitflächige Wiederholung des Schuljahrs an sogenannten Brennpunktschulen, aber auch an manchen städtischen AHS-Unterstufen aus, die schon vor der Pandemie defizitäre Leistungsbilanzen gehabt hätten: „Nun ist ein so großer Leistungsabfall zu bemerken, dass ich nur eine Lösung sehe: Das Schuljahr müsste wiederholt werden – von einer Vielzahl der Kinder.“
Am Montag, als Bildungsminister Heinz Faßmann eigentlich das Corona-Förderpaket für Schülerinnen und Schüler präsentierte, folgte ein dreifaches Nein zu derartigen kollektiven Corona-Extrarunden. Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek (Schülerunion) verwies vielmehr auf das, was die Schülerinnen und Schüler auch und gerade in diesem „schwierigen Schuljahr durchmachen“– und leisten, nicht zuletzt an „Selbstdisziplin und Verantwortung“, sagte die AHS-Schülerin: „Wir sind ganz und gar nicht der zweite verlorene Corona-Jahrgang. Niemand wird verlorengehen.“
Denn ein Großteil der Schülerinnen und Schüler könne „problemlos mit dem Online-Unterricht umgehen“, aber der Rest sei „überfordert“und habe „Lernlücken“, sagte Bosek, die den „Präsenzunterricht so schnell wie möglich wiederaufnehmen“und „pragmatische Lösungsansätze“will. Zusätzlicher Förderunterricht sei da „ein Schritt in die richtige Richtung“, gerade auch für Maturantinnen und Maturanten.
Bitte Schule! Bitte Schule!
Auch die Direktorin des Gymnasiums Purkersdorf, Irene Ille, hielt ein Plädoyer für die jungen Menschen, die sich jetzt durch die Schulen kämpfen, unter schwierigsten Bedingungen. Sie sollen in diesem Jahr nichts gelernt haben? „Verlierergeneration? Na sicher nicht! Verlorenes Jahr? Sicher nicht“, betonte Ille, die sich auf den „Optimismus des Vertrauens“beruft: „Gerade vor Ort merkt man, viele haben gelernt, besser mit der Situation umzugehen. Sind wir müde? Ja.“Verlierer? Nein. „Diese jungen Leute sind toll, die sind gut!“Und sie wollen zurück in die Schule: „Wir wollen alle wieder ganz dringend den Präsenzunterricht. Bitte Schule! Bitte Schule! Das wollen alle, ganz klar!“
Die geplanten Förderprogramme seien „unterstützenswert und notwendig“, sagte Ille, weil es unbestritten Bildungslücken und eine Bildungsschere gebe. Förderung sei „am effizientesten, wenn wir wieder in die Schulen kommen. Dort müssen wir zielorientiert fördern.“Das heißt, zu sehen, „wo es notwendig ist und wo nicht“, denn nicht alle Kinder hätten durch den digitalen Unterricht Lerndefizite angehäuft.
Der Bildungsminister sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für großflächige Klassenwiederholungen – „unabhängig von den organisatorischen Konsequenzen, wenn man einen Jahrgang parallel einziehen würde“, meinte Faßmann mit Blick auf damit verbundene Ressourcenfragen. Solche Forderungen zeigten eine „offensichtlich geringe Wertschätzung der Lehrer und Schüler, dass alles, was die Schülerinnen und Schüler bisher in diesem Jahr gelernt haben, nichts wert ist“. Er lehne „Übertreibungen, die von einem verlorenen Jahr, einer verlorenen Generation sprechen, definitiv ab. Wir kämpfen und setzen jetzt Maßnahmen, um Bildungsdefizite auszugleichen“, versprach der Minister, der eingestand, dass sich sehr wohl „bei bestimmten Gruppen die Bildungsdefizite vergrößert haben“. Ihnen soll das 200 Millionen Euro schwere Förderpaket mit Geldern aus dem Ministerium sowie aus EUTöpfen helfen – zwei Drittel im Sommer-, ein Drittel im Wintersemester, und zwar im Gegenwert von rund 4500 Lehrerplanstellen, mit denen zwei zusätzliche Förderstunden pro Woche und Schule (alle Schultypen) realisiert werden sollen: „Etwas mehr für Schulen mit Sonderbedarf, etwas weniger für die, die weniger Bedarf haben.“
Autonom flexibel fördern
Wie die Stunden verteilt werden, sollen die Schulen autonom entscheiden können. Faßmann will „Flexibilität und Zielorientierung“.
Unterrichten werden die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer über bezahlte Überstunden sowie neue Lehrkräfte, etwa Lehramtsstudierende, die sich bei der Bildungsdirektion bewerben können und über Sonderverträge angestellt werden.
Gefördert, verpflichtend, wird, wer nach Einschätzung der Lehrer Förderung braucht. Weiters wird es Lernbetreuung in den Semester- und Osterferien an Volksschulen, AHSUnterstufen, Mittel- und Sonderschulen in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen für jene Kinder geben, bei denen „ein dringender Nachholbedarf besteht oder die Betreuungssituation zu Hause schwierig ist“, sagte Faßmann. Er geht jedoch davon aus, dass das Betreuungsangebot nicht grundlos in Anspruch genommen oder überstrapaziert werden wird, quasi Pandemiekontraproduktiv genutzt: „Die Eltern haben verstanden, wofür diese Maßnahme gedacht ist.“Hier ist die Teilnahme freiwillig, allerdings sollen Kinder mit Nachholbedarf aktiv angesprochen werden.
Die 2020 erstmals etablierte Sommerschule wird verlängert, geht es nach Faßmann, dauerhaft, denn sie sei so ein großer Erfolg gewesen, „dass, wenn eine Innovation aus der Pandemie bleibt, das die Sommerschule sein wird“. Ziel seien an die 50.000 Plätze, Fördergegenstände sind Deutsch, Mathematik und in Volksschulen auch Sachunterricht.
Eine weitere Förderschiene, die derzeit noch „viel Platz in den Kontingenten“biete, ist laut Faßmann die kostenlose „Buddy-Nachhilfe“über die Plattform weiterlernen.at. „Bitte anmelden!“, riet der Bildungsminister und appellierte darüber hinaus an das Durchhaltevermögen aller: „Nicht entmutigen lassen! Wir werden diese Zeit gemeinsam überstehen – bleibt sowieso nichts anderes übrig – und die bildungspolitischen Kollateralschäden so klein wie möglich halten.“