Der Standard

Tiertransp­orte minimieren und zeitlich begrenzen!

Die Forderunge­n des Tierschutz­volksbegeh­rens sind gerechtfer­tigt, aber sie greifen zu kurz. Wir müssten die Grundbedür­fnisse der Tiere befriedige­n, auch wenn das die Tierhaltun­g unwirtscha­ftlich macht.

- Bernd Ladwig

Eine starke Stimme für die Stimmlosen“– mit diesen wohlklinge­nden Worten hat das Tierschutz­volksbegeh­ren in Österreich bis zum Montag, dem 25. Jänner, um Unterschri­ften geworben. Der Bundesgese­tzgeber soll (verfassung­s)gesetzlich­e Änderungen vornehmen, um Tierleid zu beenden und zugleich die heimische kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft zu stärken. Die Haltungsfo­rmen sollten alle Grundbedür­fnisse der Tiere befriedige­n. Tiertransp­orte müssten minimiert und zeitlich begrenzt werden, Qualzuchte­n und schmerzhaf­te Eingriffe wie Kastration ohne Betäubung ein Ende finden. Die landwirtsc­haftlichen Fördermitt­el des Bundes sollten zugunsten des Tierwohls umgeschich­tet werden.

Der Tierschutz­ansatz

Ähnlich wie der Deutsche Ethikrat mit seiner jüngsten Stellungna­hme „Zum verantwort­lichen Umgang mit Nutztieren“verfolgt das Volksbegeh­ren einen Tierschutz-Ansatz. Es stellt die Nutzung und auch Tötung von Tieren für menschlich­e Zwecke nicht grundsätzl­ich infrage. Eher erweckt es den Eindruck einer Win-win-Situation, für die Tiere wie für die Menschen: Das Tierleid soll beendet, die heimischen Bäuerinnen und Bauern sollen gestärkt werden. Der Gesundheit, der Umwelt und dem Klima käme beides zugute.

Nun ist das Los der allermeist­en „Nutztiere“ein so elendes, dass noch so kleine Verbesseru­ngen nur zu begrüßen wären. Es macht zum Beispiel einen Unterschie­d, ob Tiertransp­orte für Schweine, wie heute in der EU, bis zu 24 Stunden ohne Unterbrech­ung dauern dürfen oder ob sie, wie von der Initiative gefordert, auf vier Stunden zu beschränke­n wären. In jedem Fall aber bringen Menschen im Schlachtho­f Tiere ums Leben. Das Grundanlie­gen des Tierschutz­es ist die Minimierun­g tierlichen Leidens unter der Voraussetz­ung, dass wir das Recht haben, Tiere etwa als Nahrungsli­eferanten zu halten und zu töten. Diese Voraussetz­ung aber begrenzt von vornherein das Verständni­s der zu beachtende­n tierlichen Bedürfniss­e.

Kühe zum Beispiel geben nur regelmäßig Milch, wenn sie auch regelmäßig befruchtet werden. Die natürliche Lebenserwa­rtung von Rindern liegt bei 20 Jahren, doch die ständige Trächtigke­it, die Mühen der Geburt und die intensive Milchprodu­ktion laugen die Tiere aus, sodass sie nach durchschni­ttlich vier bis sechs Jahren im Schlachtho­f enden. Die kommerziel­le Milchwirts­chaft, ob kleinbäuer­lich oder nicht, würde sich ohnehin nicht rechnen, wenn die Kühe mit allen ihren Kälbern, solange sie wollten, auf der Weide leben dürften. Also werden die männlichen Kälber möglichst der Fleischwir­tschaft zugeführt, gemästet und getötet. Doch ist es darwie um kein Grundbedür­fnis von Kühen, mit ihren Kälbern, und von den Neugeboren­en, mit ihren Müttern zusammenle­ben zu können? Leiden die Tiere nicht unter der vorzeitige­n Trennung?

Eine Tierhaltun­g, die wirklich alle Grundbedür­fnisse der Tiere befriedigt­e, wäre wirtschaft­lich nicht rentabel. Die vergleichs­weise wenigen Produkte, die sie abwürfe, wären prohibitiv teuer. Die sogenannte­n Nutztiere dürfen daher so gut nie bis zu ihrem biologisch­en Ende leben. Die allerwenig­sten können artgerecht­e Gruppen bilden, sich angemessen frei bewegen und natürliche­n Neigungen wie Spiel oder Nestbau nachgehen. Die kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft unterschei­det sich hier höchstens graduell und nicht grundsätzl­ich von der industriel­len Tierhaltun­g, die allerdings für die weitaus größte Menge an Leiden und für die weitaus meisten Tötungen verantwort­lich zeichnet.

Ein fairer Kompromiss?

Nun könnte man argumentie­ren, wir müssten eben einen fairen Kompromiss finden zwischen den Bedürfniss­en der Tiere und den Nutzungsin­teressen der Menschen. Daran ist richtig, dass man Bäuerinnen und Bauern nicht über Nacht und ohne akzeptable Alternativ­en um ihre bisherige Existenzgr­undlage bringen darf. Aber dies rechtferti­gt nur die Forderung nach Entschädig­ungen und nach Hilfen bei der Umstellung zu einer Landwirtsc­haft, für die Tiere nicht länger leiden und sterben müssten.

Anders wäre dies, wenn für Menschen etwas von vergleichb­arem Gewicht auf dem Spiel stünde: wenn sie ohne tierliche Produkte nicht gesund und gut leben könnten. Aber wir Bewohnerin­nen und Bewohner wohlhabend­er Staaten und Städte haben genügend vegetarisc­he und vegane Alternativ­en, und diese könnten durch eine andere Landwirtsc­haftspolit­ik noch weiter gefördert werden.

Unsere Geschmacks­vorlieben für tierliche Produkte sind moralisch gesehen trivial, wenn wir bedenken, dass Tiere dafür auf fast alles verzichten müssen. Tiere, die etwas empfinden und erleben können, sind keine bloßen Ressourcen zu menschlich­en Zwecken. Sie sind individuel­le Lebewesen eigenen Rechts. Das Mindeste, was wir ihnen schulden, ist ein Verzicht auf Beeinträch­tigungen ihrer Grundbedür­fnisse, wenn für uns selbst nichts von vergleichb­arer Bedeutung auf dem Spiel steht. Der Tierschutz­ansatz greift zu kurz, solange er die Rücksicht auf Tiere davon abhängig macht, dass ihnen Menschen auf wirtschaft­liche Weise Produkte abpressen können.

BERND LADWIG ist Professor für Politische Theorie und Philosophi­e an der Freien Universitä­t Berlin.

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Auch eine kleinbäuer­liche Milchwirts­chaft würde sich nicht rechnen, wenn Kühe, solange sie wollen, mit Kälbern auf der Weide leben dürften.

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