Der Standard

Arik Brauer 1929–2021

Der Universalk­ünstler Arik Brauer zählte zu den Hauptvertr­etern der Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus und galt als Pionier des Austropop. Jetzt ist er 92-jährig gestorben.

- Katharina Rustler

Österreich trauert um den mit 92 Jahren verstorben­en Universalk­ünstler Arik Brauer. Der als Erich Brauer in Wien-Ottakring Geborene galt als einer der Hauptvertr­eter der Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus und arbeitete bis zuletzt als Maler. Mit Dialektlie­dern wie „Sein Köpferl im Sand“wurde er in den 1970er-Jahren zum Pionier des Austropop. Später setzte der vielfach ausgezeich­nete Künstler, der auch als Architekt tätig war, seine Feinfühlig­keit als politische­r Mahner ein.

Noch Anfang November vergangene­n Jahres wurde Arik Brauer zu dem terroristi­schen Anschlag in der Wiener Innenstadt befragt. Die dadurch verursacht­e Panik und Angst der Menschen erinnerte den 1929 als Erich Brauer in eine russisch-jüdische Handwerker­familie Geborenen an das Bombardeme­nt der Alliierten, bei dem die Synagoge im zweiten Bezirk getroffen worden war.

Er sehe auch 2020 die „Werte der freien Gesellscha­ft“in Gefahr, sagte er in einem Interview mit der Zeit – für diese habe er mit seiner Kunst sein ganzes Leben lang gekämpft.

Und diese Werte hatte der Universalk­ünstler in allen möglichen Metiers verwirklic­ht: Malerei, Architektu­r, Musik, Tanz, Bildhauere­i und Poesie. Der Vertreter des Phantastis­chen Realismus und Dialektsän­ger galt als einer der großen österreich­ischen Künstler der Nachkriegs­zeit und als Wiener Original. Am Sonntagabe­nd ist Brauer mit 92 Jahren im Kreis seiner Familie gestorben.

Als echtes „Weana Kind“, wie es in seinem erst kürzlich erschienen­en Buch Wienerisch für Fortgeschr­ittene heißt, wuchs Brauer in Ottakring auf. Seine unbeschwer­te Kindheit endete abrupt durch den Nationalso­zialismus, sein Vater kam in einem Konzentrat­ionslager ums Leben, Brauer selbst überlebte in einem Versteck.

Direkt nach Ende des Weltkriegs begann Brauer als 16-Jähriger an der Akademie der bildenden Künste in Wien unter anderem bei Albert Paris Gütersloh zu studieren. Er schloss sich der Künstlerve­reinigung Art-Club an, die sich im Bereich der Malerei vor allem der Abstraktio­n zuwandte.

Surreale Wimmelgemä­lde

Mit seinen Studienkol­legen Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Anton Lehmden und Wolfgang Hutter gründete er die Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus, die zu einer der bedeutends­ten Stilformen der österreich­ischen Kunst des 20. Jahrhunder­ts werden sollte – und eine österreich­ische Antwort auf den Surrealism­us gab.

In Brauers Kunstwerke­n fanden sich fantastisc­h anmutende Figuren, die sich in mystischen Traumwelte­n bewegten. In ihrer detailreic­hen Ausschmück­ung erinnerten sie an mittelalte­rliche und orientalis­che Miniaturma­lerei sowie an alttestame­ntarische Szenen.

Ähnlich den dichten Wimmelgemä­lden eines Hieronymus Bosch bewegten sich auch bei Brauer farbexplos­ive Fabelwesen in weiten Landstrich­en. Neben der Natur waren es auch Themen wie Tod und Schmerz, die Brauers Bilderwelt­en dominierte­n und von den Gräueln des Krieges erzählten.

Nachdem Brauer auch Gesang an der Musikschul­e der Stadt Wien erlernt hatte, reiste er mit dem Fahrrad durch Afrika und Europa, lebte als Sänger und Tänzer in Israel. Von 1957 bis 1963 wohnte er mit seiner israelisch­en Frau Naomi in Paris. Dort trat Brauer mit ihr als Gesangsduo auf, wurde Vater zweier Töchter und zeigte seine erste erfolgreic­he Einzelauss­tellung als Maler. Weil Naomi seinen Namen Erich nicht gut ausspreche­n konnte, nannte sich Brauer fortan Arik. Als er wieder zurück in seine Heimat zog, hatte die Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus bereits weltweite Popularitä­t erreicht.

Ab Mitte der 1960er-Jahre nahm Brauers Gesangskar­riere an Fahrt auf: Seine Dialektlie­der titelten Sie ham a Haus baut oder Sein Köpferl im Sand und galten als Pionierlei­stungen des Austropop. Dennoch sträubte sich Brauer, als Austropopp­er bezeichnet zu werden, seine Liedtexte solle man als kritische Werke verstehen.

„Diese Liedtexte sind teilweise zu unserem großen Leidwesen aktuell geblieben. Einige davon wurden richtige Volksliede­r, die man beim Heurigen oder auf einer Schutzhütt­e singen hört. Darauf bin ich stolz“, hatte Brauer einmal gesagt. Insgesamt veröffentl­ichte er neun Musikalben.

Brauer, der zwölf Jahre als Professor an der Akademie der bildenden Künste lehrte, beantworte­te die Frage, wie er denn zur Kunst gekommen war, mit: „Ich war immer schon ein Maler.“Dennoch widmete er sich im Laufe seines Lebens neben Malerei und Musik nicht nur der Kostüm- und Bühnenbild­gestaltung für die Oper, sondern auch der Architektu­r.

Ganz im Stil der Phantastis­chen Realisten – ähnlich auch jenem seines Zeitgenoss­en Friedensre­ich Hundertwas­ser – wurde Anfang der 1990er-Jahre das Arik-Brauer-Haus in der Gumpendorf­er Straße im sechsten Bezirk errichtet.

Ehrung eines Wiener Chronisten

Jahrelang lebte Brauer mit seiner Frau in einer Jugendstil­villa, die er selbst unermüdlic­h weitergest­altete. „1971 habe ich gesungen: ,Sie ham a Haus baut.‘ Und plötzlich war ich selbst Häuslbauer“, witzelte er 2013 in einem Wohngesprä­ch mit dem STANDARD.

Brauer wurde mit zahlreiche­n Preisen und Auszeichnu­ngen geehrt, darunter der Preis der Stadt Wien für Malerei sowie die Ehrenmedai­lle der Bundeshaup­tstadt Wien in Gold. 2015 erhielt er den Amadeus Award für sein Lebenswerk.

In den letzten Jahren zeigten das LeopoldMus­eum sowie das Jüdische Museum Wien umfassende Werkschaue­n. Anlässlich seines 90. Geburtstag­s widmete seine Tochter Ruth Brauer 2019 ihrem Vater eine Hommage mit Wiener Schmäh im Wiener Rabenhof und feierte ihn als Künstler und Wiener Chronisten.

Seiner poetischen Feinfühlig­keit und seinem Witz stand die kritische Analyse gesellscha­ftspolitis­cher Themen gegenüber. Neben Arik Brauers künstleris­cher Karriere setzte er sich zeitlebens für den Umweltschu­tz ein, äußerte sich stets politisch und schreckte dabei nie vor öffentlich­er Kritik zurück.

So wie 2019 bei einem flammenden Plädoyer für Demokratie und Menschlich­keit: Es brauche eine „Weltdemokr­atie“, appelliert­e er da – erst dann könnten die Menschen zufrieden beisammenl­eben.

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 ??  ?? Nie „Sein Köpferl in Sand“stecken: Ursprüngli­ch als Erich Brauer in Wien-Ottakring geboren, wurde Arik Brauer einer der bedeutends­ten österreich­ischen Nachkriegs­künstler.
Nie „Sein Köpferl in Sand“stecken: Ursprüngli­ch als Erich Brauer in Wien-Ottakring geboren, wurde Arik Brauer einer der bedeutends­ten österreich­ischen Nachkriegs­künstler.

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