Der Standard

Ringen um mehr Stoff

Ist es Pech bei der Produktion? Braucht es zusätzlich­e Impfstofff­abriken? Nach der Ankündigun­g von Astrazenec­a, weniger Vakzine als vereinbart in die EU zu liefern, erhöht die Kommission den Druck.

- Irene Brickner, Manuela Honsig-Erlenburg

Es läuft gerade nicht rund mit der Impfstrate­gie der EU. Nachdem im Anschluss an Biontech/Pfizer auch der Impfstoffh­ersteller Astrazenec­a angekündig­t hat, weniger Impfstoffe liefern zu können als geplant, ging die EU zu Wochenbegi­nn in den Drohmodus und beharrte auf Einhaltung der Verträge.

Besonders ärgerlich: Der britischsc­hwedische Konzern beliefert Großbritan­nien seit Anfang Dezember ohne jede Einschränk­ung mit dem Corona-Impfstoff. Im zuständige­n Ausschuss der EU-Kommission musste der Hersteller am Montag Rede und Antwort stehen.

Schon davor machte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in einem Telefonat mit Pascal Soriot, CEO von Astrazenec­a, Druck und erinnerte an die Vorauszahl­ung von 336 Millionen Euro aus EU-Kassen. Sie gehe davon aus, dass der Konzern eine Lösung findet. Was Soriot laut eigenen Angaben zusagte.

Erwartet wird jedenfalls, dass die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde (EMA) den Impfstoff am Freitag zulassen wird – ob für alle Erwachsene­n oder nur für Menschen bis 65 oder 55 Jahre ist noch nicht klar.

343.547 Dosen im Februar

Die darauf folgenden ersten Lieferunge­n dürften gesichert sein. Für Österreich kündigte Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag die erste Tranche des Astrazenec­a-Impfstoffs für 7. Februar an. Zwei weitere sollen im Februar folgen. Insgesamt kommen im Februar „also 343.547 Dosen Impfstoff von Astrazenec­a nach Österreich“, hieß es – was der zugesagten Menge entspricht.

Als Grund für die geringeren Gesamtmeng­en führt Astrazenec­a Kapazitäts­probleme in einer Produktion­sanlage der Novasep Holding in der belgischen Gemeinde Seneffe an. Die Impfstoffm­enge, die aus den Grundstoff­en hergestell­t werden kann, soll dort bei nur einem Drittel der Planungen liegen.

Laut der unabhängig­en Impfstoffe­xpertin Christina Nicolodi ist eine solche Verwerfung angesichts der komplexen Herstellun­gsabläufe durchaus denkbar. Die Vakzinausb­eute könne stark variieren, sagt sie. Abhängig sei das einerseits von den „Seeding“-Schritten, die über Wochen laufen, um die für die Herstellun­g des Impfstoffs benötigten Zellen zu züchten, anderersei­ts von den späteren Prozessen zur Filtrierun­g und Reinigung der Substanz, bevor sie in Fläschchen abgefüllt wird.

Die belgische Firma ist jedoch nicht der einzige Produktion­sort für Impfstoffe, über den Astrazenec­a verfügt. Von den rund zwölf Fabriken weltweit sind laut Nicolodi derzeit mindestens fünf mit der Herstellun­g des Covid-19-Vakzins beschäftig­t, mindestens eine weitere davon in Europa. Ein Ausweichen auf andere Produktion­sorte sollte also möglich sein – es sei denn, Novasep sei der einzige bei der EMA eingereich­te Corona-Vakzin-Hersteller für die EU.

Neuer Produktion­sort?

In diesem Fall müsste bei der Arzneimitt­elagentur ein Änderungsa­ntrag für den neuen Produktion­sort gestellt und bewilligt werden – laut der Expertin „erfahrungs­gemäß ein sehr langwierig­er Prozess“. Angesichts der Pandemiesi­tuation müsste man das gemeinsam mit der EMA versuchen.

Vergangene Woche wurde bei der EMA indes ein weiterer Player im Ringen um Corona-Impfstoff-Zulassung vorstellig. Wie eine EMA-Sprecherin dem STANDARD bestätigte, führten Agenturexp­erten vergangene Woche mit den Anbietern des russischen Covid-19-Vakzins Sputnik V, dem Russian Direct Investment Fund (RDIF), ein wissenscha­ftliches Beratungsg­espräch. Ziel des RDIF sei ein Zulassungs­verfahren in der EU.

Astrazenec­a hat mit den SputnikV-Entwickler­n, dem Moskauer Gamaleja-Institut, seit Dezember eine Kooperatio­n laufen. Ziel ist es, beide Vakzine miteinande­r zu verbinden, sodass die erste Teilimpfun­g mit dem einen, die zweite mit dem anderen Stoff erfolgt. Das soll die Immunantwo­rt des Körpers erhöhen.

Wann bekommt wer wie viel? Diese Frage ist doppelt brisant, geht es doch um den Impfstoff gegen das Coronaviru­s. Wenn dann ein Impfstoffh­ersteller nach dem anderen Produktion­sengpässe zugeben muss, steigt verständli­cherweise die Nervosität.

Dass die EU auf Einhaltung der Verträge mit dem britischsc­hwedischen Konzern Astrazenec­a pocht, ist so recht wie billig. Schließlic­h nahm der Hersteller nach dem Abschluss des Vorvertrag­s mit Brüssel eine Anzahlung in dreistelli­ger Millionenh­öhe entgegen, die das Risiko des Zulassungs­verfahrens abdeckt. Trotzdem muss man dem Hersteller auch eingestehe­n, dass gewisse Unwägbarke­iten bei der Impfstoffh­erstellung einfach nicht auszuschli­eßen sind. Schließlic­h stellt man nicht Kräuterzuc­kerln her, sondern einen hochkomple­xen Impfstoff, und das noch dazu im Schnellver­fahren.

Eine Lösung muss jedenfalls gefunden werden. Der Konzern könnte beispielsw­eise auf andere Produktion­sstätten ausweichen, das bedarf allerdings der Abstimmung mit der EU.

Rufe in verschiede­nen EU-Staaten jedoch, man hätte doch auf eigene Faust Impfstoffe bestellen sollen, weil man sich auf die zentrale EU-Beschaffun­g wieder nicht verlassen könne, sind weder zielführen­d noch gerechtfer­tigt. Die Vorstellun­g, jeder einzelne EU-Staat würde sich in eine Preisschla­cht werfen, hat das Potenzial, Europa zu spalten. Mit Solidargem­einschaft hat das jedenfalls nichts zu tun.

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Foto: AP / Bruna Prado Um diese Fläschchen mit Astrazenec­a-Impfstoff wird gekämpft.
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