Lock-up? Lockdown?
Nach dem 7. Februar soll eigentlich eine schrittweise Öffnung erfolgen. Doch Experten bezweifeln, dass dieses Datum hält. Mobilitätsdaten zeigen: Die Bevölkerung bewegt sich zu viel – vor allem im Westen.
Es ist die eine Frage, die das Land beschäftigt: Wie können wir verhindern, auf unabsehbare Zeit im Lockdown zu verharren? Wobei die Gegenfrage lautet: Wie sollen wir den Lockdown beenden, wenn die Infektionszahlen nicht deutlich sinken? Aktueller Stichtag ist der 7. Februar – danach könnten Öffnungsschritte erfolgen. Festlegen will sich die Regierung noch nicht.
Montagabend trafen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sowie sein Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) Experten, die Landeshauptleute und die Opposition zur Lagebesprechung – doch auch auf höchster politischer Ebene divergieren die Meinungen, wie es weitergehen soll.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält ein „Lockdown-Enddatum“Wochen im Voraus für unseriös: „Das Virus kennt keinen Terminkalender“, sagt sie. Erst wenn der Zielwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern erreicht werde, könne gelockert werden. Das ist – etwas gröber formuliert – auch das Ziel der Regierung. Derzeit steht Österreich allerdings bei 121 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern – und damit deutlich darüber. Viele Experten halten baldige Öffnungsschritte deshalb für unrealistisch.
Öffnen im Osten?
Etwas anders argumentieren die Wiener: Der rote Gesundheitsstadtrat Peter Hacker drängt schon länger darauf, dass der Bund über regionale Öffnungsszenarien nachdenken soll – manche Bezirke, so auch Wien, stehen deutlich besser da als der Rest Österreichs. Ein totaler Lockdown verliere von Woche zu Woche seine Berechtigung, wird in der Hauptstadt kritisiert. Auch rechtlich stehen Grundrechtseingriffe wie Ausgangsbeschränkungen in Bezirken mit besseren Zahlen auf immer wackligeren Beinen.
Bundesweit ist derzeit eines der größten Probleme, dass sich die Menschen zu viel bewegen: „An den Mobilitätsdaten sehen wir, dass die Luft draußen ist. Die Lockdowns wirken nicht mehr“, sagt Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom IHS, der dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört. Während im ersten Lockdown in den Bewegungsdaten noch ein Rückgang von 70 Prozent verzeichnet wurde, nähere man sich laut einem Bericht des Ö1-Morgenjournals aktuell den 20 Prozent an. Den kleinsten Radius ziehen dabei die Wiener. Am wenigsten schränkt man sich in Vorarlberg, Tirol und Salzburg ein. Das liege auch daran, dass in der Stadt die Sozialkontakte besser herunterfahrbar sind, erklärt Czypionka. Viel spiele sich dort in den aktuell geschlossenen Lokalen ab.
Um die Fallzahlen zu drücken, schlägt der Gesundheitsökonom vor, die Kommunikation zu ändern. Es sei wenig motivierend, dass ständig Daten für eine Öffnung in den Raum gestellt würden, die dann wieder verschoben werden. Besser sei es, eine klare Inzidenz zu nennen. An dem aktuell genannten Stichtag zweifelt Czypionka: „Wir haben zwar noch zwei Wochen, aber wenn die Zahlen so hoch bleiben, wird es schwierig.“Erste Öffnungen kann sich auch der Experte ab einer Inzidenz von 50 vorstellen. Aktuell sei das Contact-Tracing der Neuinfektionen nicht zu bewältigen.
Eine Corona-Arbeitsgruppe rund um den Informatiker Robert Elsässer an der Universität Salzburg kommt sogar zu dem Schluss: Selbst bei optimistischen Annahmen kann ein „weicher“Lockdown die Ausbreitung von Covid-19 nicht brechen. Wie soll es also weitergehen?
Oder der totale Shutdown?
Härtere Maßnahmen – bis hin zu einem totalen Shutdown – will die Initiative Zero Covid. In einer Petition, die unter anderem von Wissenschaftern und Gesundheitspersonal unterstützt wird, fordert man „nicht 200, 50 oder 20 Neuinfektionen pro Tag, sondern null“. Das Konzept: Mit härtesten Einschränkungen sollen binnen weniger Wochen die Infektionszahlen komplett in den Keller gedrückt werden.
Von so klaren Vorgaben ist man in der Regierung noch weit entfernt. Kanzler und Minister starteten ihren Gesprächsmarathon am Montag um 16.30 Uhr mit Expertinnen und Experten, um 18.30 Uhr folgten die Landeshauptleute. Für 20.30 Uhr war eine Videokonferenz mit Vertretern der Opposition geplant. Es handle sich um einen Austausch über die Covid-Situation, Virusmutationen und Impfverzögerungen, hieß es im Vorfeld. Die Regierung hatte mit der Opposition und den Ländern vereinbart, nun regelmäßig mit allen in Kontakt zu treten – so sei auch dieser Termine zu verstehen.
Eine Entscheidung, wie es nach dem 7. Februar weitergeht, wurde vorab ausgeschlossen.
Die Idee ist auf den ersten Blick bestechend: Wenn wir alle nur etwa fünf Wochen lang alles Denkmögliche tun, um Ansteckungen mit Sars-CoV-2 zu vermeiden, dann könnten wir die Zahl der Neuinfektionen auf null drücken – und hätten die Pandemie besiegt. Die Strategie heißt Zero Covid, stammt vom US-Physiker Yaneer Bar-Yam und wird gerade vielerorts heftig diskutiert. Denn in Ländern wie Neuseeland scheint dieses Konzept gut zu funktionieren.
Es bräuchte also auch hierzulande „nur“mehr einen mehrwöchigen extrastrengen Lockdown, bei dem die Menschen ihre Wohnungen so gut wie gar nicht mehr verlassen. Dadurch könnte man infektionsfreie Zonen schaffen, die dann streng geschützt werden. Und wir ersparen und das ständige Auf und Zu. Was bei den Antipoden möglich war, sollte doch auch hier machbar sein!
An eine praktische Umsetzung ist in Österreich aber aus zumindest zwei Gründen nicht zu denken. Unser Land ist leider keine Insel, auch nicht der Seligen, sondern das Gegenteil davon: Trotz unserer Kleinheit teilen wir mit acht Ländern gemeinsame Grenzen. Dazu kommt die immer geringere Bereitschaft der Bevölkerung, sich an Lockdowns zu halten. Bei einigen geschieht das aus Protest. Doch wie neue Umfrageergebnisse zeigen, schaffen es viele andere aus psychischen und ökonomischen Gründen einfach nicht mehr.