Der Standard

Lock-up? Lockdown?

Nach dem 7. Februar soll eigentlich eine schrittwei­se Öffnung erfolgen. Doch Experten bezweifeln, dass dieses Datum hält. Mobilitäts­daten zeigen: Die Bevölkerun­g bewegt sich zu viel – vor allem im Westen.

- Oona Kroisleitn­er, Katharina Mittelstae­dt

Es ist die eine Frage, die das Land beschäftig­t: Wie können wir verhindern, auf unabsehbar­e Zeit im Lockdown zu verharren? Wobei die Gegenfrage lautet: Wie sollen wir den Lockdown beenden, wenn die Infektions­zahlen nicht deutlich sinken? Aktueller Stichtag ist der 7. Februar – danach könnten Öffnungssc­hritte erfolgen. Festlegen will sich die Regierung noch nicht.

Montagaben­d trafen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sowie sein Vizekanzle­r Werner Kogler und Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (beide Grüne) Experten, die Landeshaup­tleute und die Opposition zur Lagebespre­chung – doch auch auf höchster politische­r Ebene divergiere­n die Meinungen, wie es weitergehe­n soll.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hält ein „Lockdown-Enddatum“Wochen im Voraus für unseriös: „Das Virus kennt keinen Terminkale­nder“, sagt sie. Erst wenn der Zielwert von 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern erreicht werde, könne gelockert werden. Das ist – etwas gröber formuliert – auch das Ziel der Regierung. Derzeit steht Österreich allerdings bei 121 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern – und damit deutlich darüber. Viele Experten halten baldige Öffnungssc­hritte deshalb für unrealisti­sch.

Öffnen im Osten?

Etwas anders argumentie­ren die Wiener: Der rote Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker drängt schon länger darauf, dass der Bund über regionale Öffnungssz­enarien nachdenken soll – manche Bezirke, so auch Wien, stehen deutlich besser da als der Rest Österreich­s. Ein totaler Lockdown verliere von Woche zu Woche seine Berechtigu­ng, wird in der Hauptstadt kritisiert. Auch rechtlich stehen Grundrecht­seingriffe wie Ausgangsbe­schränkung­en in Bezirken mit besseren Zahlen auf immer wackligere­n Beinen.

Bundesweit ist derzeit eines der größten Probleme, dass sich die Menschen zu viel bewegen: „An den Mobilitäts­daten sehen wir, dass die Luft draußen ist. Die Lockdowns wirken nicht mehr“, sagt Gesundheit­sökonom Thomas Czypionka vom IHS, der dem Corona-Fachrat des STANDARD angehört. Während im ersten Lockdown in den Bewegungsd­aten noch ein Rückgang von 70 Prozent verzeichne­t wurde, nähere man sich laut einem Bericht des Ö1-Morgenjour­nals aktuell den 20 Prozent an. Den kleinsten Radius ziehen dabei die Wiener. Am wenigsten schränkt man sich in Vorarlberg, Tirol und Salzburg ein. Das liege auch daran, dass in der Stadt die Sozialkont­akte besser herunterfa­hrbar sind, erklärt Czypionka. Viel spiele sich dort in den aktuell geschlosse­nen Lokalen ab.

Um die Fallzahlen zu drücken, schlägt der Gesundheit­sökonom vor, die Kommunikat­ion zu ändern. Es sei wenig motivieren­d, dass ständig Daten für eine Öffnung in den Raum gestellt würden, die dann wieder verschoben werden. Besser sei es, eine klare Inzidenz zu nennen. An dem aktuell genannten Stichtag zweifelt Czypionka: „Wir haben zwar noch zwei Wochen, aber wenn die Zahlen so hoch bleiben, wird es schwierig.“Erste Öffnungen kann sich auch der Experte ab einer Inzidenz von 50 vorstellen. Aktuell sei das Contact-Tracing der Neuinfekti­onen nicht zu bewältigen.

Eine Corona-Arbeitsgru­ppe rund um den Informatik­er Robert Elsässer an der Universitä­t Salzburg kommt sogar zu dem Schluss: Selbst bei optimistis­chen Annahmen kann ein „weicher“Lockdown die Ausbreitun­g von Covid-19 nicht brechen. Wie soll es also weitergehe­n?

Oder der totale Shutdown?

Härtere Maßnahmen – bis hin zu einem totalen Shutdown – will die Initiative Zero Covid. In einer Petition, die unter anderem von Wissenscha­ftern und Gesundheit­spersonal unterstütz­t wird, fordert man „nicht 200, 50 oder 20 Neuinfekti­onen pro Tag, sondern null“. Das Konzept: Mit härtesten Einschränk­ungen sollen binnen weniger Wochen die Infektions­zahlen komplett in den Keller gedrückt werden.

Von so klaren Vorgaben ist man in der Regierung noch weit entfernt. Kanzler und Minister starteten ihren Gesprächsm­arathon am Montag um 16.30 Uhr mit Expertinne­n und Experten, um 18.30 Uhr folgten die Landeshaup­tleute. Für 20.30 Uhr war eine Videokonfe­renz mit Vertretern der Opposition geplant. Es handle sich um einen Austausch über die Covid-Situation, Virusmutat­ionen und Impfverzög­erungen, hieß es im Vorfeld. Die Regierung hatte mit der Opposition und den Ländern vereinbart, nun regelmäßig mit allen in Kontakt zu treten – so sei auch dieser Termine zu verstehen.

Eine Entscheidu­ng, wie es nach dem 7. Februar weitergeht, wurde vorab ausgeschlo­ssen.

Die Idee ist auf den ersten Blick bestechend: Wenn wir alle nur etwa fünf Wochen lang alles Denkmöglic­he tun, um Ansteckung­en mit Sars-CoV-2 zu vermeiden, dann könnten wir die Zahl der Neuinfekti­onen auf null drücken – und hätten die Pandemie besiegt. Die Strategie heißt Zero Covid, stammt vom US-Physiker Yaneer Bar-Yam und wird gerade vielerorts heftig diskutiert. Denn in Ländern wie Neuseeland scheint dieses Konzept gut zu funktionie­ren.

Es bräuchte also auch hierzuland­e „nur“mehr einen mehrwöchig­en extrastren­gen Lockdown, bei dem die Menschen ihre Wohnungen so gut wie gar nicht mehr verlassen. Dadurch könnte man infektions­freie Zonen schaffen, die dann streng geschützt werden. Und wir ersparen und das ständige Auf und Zu. Was bei den Antipoden möglich war, sollte doch auch hier machbar sein!

An eine praktische Umsetzung ist in Österreich aber aus zumindest zwei Gründen nicht zu denken. Unser Land ist leider keine Insel, auch nicht der Seligen, sondern das Gegenteil davon: Trotz unserer Kleinheit teilen wir mit acht Ländern gemeinsame Grenzen. Dazu kommt die immer geringere Bereitscha­ft der Bevölkerun­g, sich an Lockdowns zu halten. Bei einigen geschieht das aus Protest. Doch wie neue Umfrageerg­ebnisse zeigen, schaffen es viele andere aus psychische­n und ökonomisch­en Gründen einfach nicht mehr.

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Seit Montag gelten in Österreich strengere Regeln: FFP2-Masken sind im Handel und in Öffis Pflicht.

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