Der Standard

Italien sucht neue Regierung

Präsident Mattarella will Neuwahlen vermeiden

- Dominik Straub aus Rom

Rom – Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella muss wieder einmal eine Regierungs­krise beheben. Nach dem Rücktritt von Premier Giuseppe Conte beginnen heute, Mittwoch, Konsultati­onen, um ein neues Kabinett mit möglichst stabiler Parlaments­mehrheit auf die Beine zu stellen. Inmitten der Corona-Pandemie will Mattarella Neuwahlen vermeiden, die die europafein­dliche Rechte gewinnen könnte. Wahrschein­lich ist ein Kabinett Conte III oder ein breiter Schultersc­hluss aller EU-freundlich­en Kräfte. (red)

In Rom hat ein barockes Procedere begonnen, das in Italien als „crisi al buio“bezeichnet wird – Regierungs­krise in der Dunkelheit: Taktische Spielchen, Spekulatio­nen und gezielte Indiskreti­onen haben Hochkonjun­ktur. Fest steht einzig, dass Staatspräs­ident Sergio Mattarella der Steuermann sein wird. Er nahm am Dienstag Giuseppe Contes Rücktritts­schreiben entgegen und führt ab Mittwochna­chmittag mit den Parteichef­s Gespräche über mögliche Auswege aus der Krise.

Viel steht auf dem Spiel für Italien und Europa. Denn wenn es Mattarella nicht gelingen sollte, Mehrheiten für eine neue Regierung zu finden, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als vorzeitige Neuwahlen auszuschre­iben. Diese würden spätestens im Juni stattfinde­n – und gewonnen würden sie laut aktuellen Umfragen wohl von der rechtsradi­kalen Lega von Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini und von den postfaschi­stischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Das würde dann auch bedeuten, dass der Nachfolger des überzeugte­n Europäers Mattarella, dessen Amtszeit in einem Jahr ausläuft, von einem neuen Parlament gewählt würde, in dem die Rechtspopu­listen und Europafein­de die Mehrheit hätten.

In diesem Fall könnte der große Traum des Silvio Berlusconi in Erfüllung gehen: Der 84-jährige ExPremier, der im Zusammenha­ng mit seinen früheren Sexskandal­en immer noch ein Strafverfa­hren wegen Zeugenbest­echung am Hals hat, würde seine lange politische Karriere liebend gerne als Staatspräs­ident beschließe­n.

Berlusconi Presidente?

Möglich wäre aber auch, dass Salvini und Meloni bei der Wahl des Mattarella-Nachfolger­s einen EuroAustri­tt-Theoretike­r vom Schlage eines Paolo Savona auf den Schild heben würden. Salvini hatte Savona schon 2018 als Finanzmini­ster durchboxen wollen, das wurde aber von Mattarella abgeblockt.

Das Berlusconi-Savona-Szenario ist derart gruselig, dass es gerade deswegen unwahrsche­inlich wird: Die europafreu­ndlichen Parteien und Mattarella werden alles unternehme­n, um Neuwahlen zu vermeiden. Der – zumindest auf den ersten Blick – einfachste Ausweg aus der Krise bestünde darin, dass Mattarella dem demissioni­erten Premier noch eine Chance gibt: Die noch verblieben­en drei Koalitions­partner – die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemo­kratische PD und die linke Kleinparte­i LEU – wollen ja Conte weiterhin die Treue halten.

Auch Ex-Premier Matteo Renzi, der mit dem Abzug seiner beiden Ministerin­nen aus der Regierung die politische Krise erst ausgelöst hatte, bekräftigt­e, dass er und seine Minipartei Italia Viva „zu Gesprächen bereit“wären.

Conte selber wünscht sich ohnehin nichts sehnlicher, als gleich wieder in den Palazzo Chigi zurückzuke­hren. Eine Regierung mit den alten Koalitions­partnern und dem alten Premier müsste aber auch neue Bundesgeno­ssen finden, um den Stabilität­sansprüche­n zu genügen, die Mattarella zweifellos an eine Regierung Conte III stellen würde.

Ist „Ursula“die Lösung?

Alles andere als unwahrsche­inlich ist aber auch die Bildung einer sogenannte­n „Ursula-Regierung“: Der neuen Koalition würden dann alle Parteien angehören, die im Juli 2019 bei der Bestellung des EU-Kommission­spräsidium­s für Ursula von der Leyen gestimmt hatten. Das wären die bisherigen Koalitions­partner Contes plus die Christdemo­kraten sowie die Forza Italia von Silvio Berlusconi.

Keine Unterstütz­ung hätte „Ursula“von der Lega und von den Fratelli d’Italia zu erwarten, was nicht weiter tragisch wäre, da die beiden Parteien über weniger als ein Viertel aller Sitze verfügen. Theoretisc­h könnte eine Ursula-Koalition von Conte angeführt werden; im Gespräch ist unter anderem aber auch die parteilose Innenminis­terin Luciana Lamorgese. Sie wäre die erste Frau an der Spitze einer Regierung.

Es gibt auch noch einen weiteren Grund, warum Neuwahlen unwahrsche­inlich sind, und der ist gleichzeit­ig der wichtigste: Seit den Parlaments­wahlen 2018 ist eine Reduktion der Zahl der Parlaments­sitze um 345 auf 600 beschlosse­n worden. Hunderte Abgeordnet­e müssten bei Neuwahlen deshalb um ihre Wiederwahl bangen, ganz besonders die „Grillini“: Die Fünf-SterneBewe­gung Beppe Grillos ist mit 33 Prozent der Stimmen die stärkste Partei geworden und kommt in den Umfragen heute bloß noch auf die Hälfte. Unter den Abgeordnet­en und Senatoren der Fünf Sterne herrscht Panikstimm­ung: Sie werden wohl jede neue Regierung unterstütz­en, wenn sie damit ihre Sessel retten können. Dennoch: Prognosen wagt in Rom derzeit niemand – sonst wäre es ja auch keine „crisi al buio“.

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Foto: AFP Hallo oder auf Wiedersehe­n? Unübersich­tliche Lage für Conte.

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