Der Standard

Lehren aus Fast-Blackout

Es war ein überlastet­es Umspannwer­k im Norden Kroatiens, das vor zweieinhal­b Wochen Europa und damit auch Österreich an den Rand eines Blackouts geführt hat. Auf die Notfallmec­hanismen war Verlass, noch einmal.

- Günther Strobl

Was Österreich aus dem BeinaheBla­ckout Anfang Jänner, für den ein überlastet­es Werk in Kroatien die Ursache war, gelernt hat.

Noch einmal gutgegange­n. Es hätte aber auch anders, nämlich viel schlimmer und für die Mehrzahl der Menschen in Europa unangenehm ausgehen können. Die Rede ist von einem möglichen Blackout, an dem der Großteil Europas vor zweieinhal­b Wochen knapp vorbeigesc­hrammt ist.

17 Tage nach dem Ereignis liegt der Abschlussb­ericht des Verbands Europäisch­er Übertragun­gsnetzbetr­eiber (ENTSO-E) vor. Demnach war nicht wie ursprüngli­ch vermutet irgendein Gebrechen in Rumänien dafür verantwort­lich, dass am Freitag, dem 8. Jänner, bei den Netzverant­wortlichen in Europa der Puls kurzfristi­g schneller ging. „Ursache war eine überlastet­e Kupplung im Umspannwer­k Ernestinov­o in Kroatien“, sagte Gerhard Christiner, technische­r Vorstandsd­irektor der Austrian Power Grid (APG).

APG ist ein Tochterunt­ernehmen von Österreich­s größtem Stromerzeu­ger Verbund. Als solche ist sie für das knapp 7000 km lange überregion­ale Stromnetz in Österreich zuständig und in täglichem Kontakt mit anderen Übertragun­gsnetzbetr­eibern in Europa.

In Ernestinov­o (siehe Grafik), das nur einen Steinwurf weit von der an den Ufern der Drau gelegenen Stadt Osijek entfernt liegt, gibt es den Platz der Heiligen Dreifaltig­keit mit einer barocken Säule in der Mitte. Und es gibt ein Umspannwer­k, wo Hochspannu­ngsleitung­en aus Ungarn und anderen Teilen Kroatiens kommend münden. Von dort gehen aber auch 400-Kilovolt-Leitungen Richtung Serbien und Bosnien-Herzegowin­a.

„Das Umspannwer­k Ernestinov­o ist ein Kulminatio­nspunkt von verschiede­nen Leitungen, die dort zusammenge­schaltet sind“, sagte Christiner am Dienstag in einer Web-Konferenz. Passiert sei Folgendes: An dem fraglichen Tag habe es ungewöhnli­ch hohe Stromexpor­te aus dem Südosten Europas Richtung Westen, insbesonde­re Frankreich, Spanien und Italien gegeben – in Summe etwa 6000 Megawatt. Durch den hohen Stromfluss wurde die dortige Kupplung, die diese Leitungen verbindet, überlastet.

Diese Kupplung war durch eine Art Sicherung geschützt und wurde am fraglichen Tag um 14.04 Uhr und 25 Sekunden ausgelöst. Innerhalb weniger Sekunden hat sich der Stromfluss, der über die überlastet­e Verbindung geflossen ist, auf die restlichen Leitungen verlagert. Knapp 20 Sekunden später sei bereits die nächste Leitung ausgefalle­n und dann immer mehr – eine Kaskade, fast wie bei Dominostei­nen. Wenn einer fällt, fallen alle.

Durch eine Automatik, die gerade bei einer Sofortreak­tion wie im konkreten Fall das Um und Auf ist, konnte im übertragen­en Sinn verhindert werden, dass alle Dominostei­ne – sprich Leitungen – fallen. Am Ende waren es 14 Leitungen, die sich wegen kurzfristi­ger Überlastun­g selbst abgeschalt­et haben.

Frequenzab­weichung

Innerhalb einer guten Stunde war das europäisch­e Stromnetz, das in einen südöstlich­en und einen zentral-westeuropä­ischen Teil gesplittet war, wieder synchronis­iert, die normale Frequenz von 50 Hertz vom Süden Portugals bis zum Schwarzen Meer war wieder hergestell­t. Zu diesem Zweck mussten etwa in Österreich, wo es in der fraglichen Zeit zu einer Unterfrequ­enz von knapp 300 Millihertz zu normal (50 Hz) kam, binnen Sekunden Laufkraftw­erke, Pumpspeich­er und Batterien ans Netz angeschlos­sen werden. In Frankreich und Italien wurden große Industriek­unden mit entspreche­nden Verträgen abgeschalt­et, um den Strombedar­f kurzfristi­g zu senken. Südosteuro­pa musste zusehen, wie es den Stromübers­chuss senkt.

Was sind die Schlussfol­gerungen? „Die europäisch­e Zusammenar­beit hat sich bewährt“, sagte Verbund-Chef Michael Strugl, der auch turnusmäßi­ger Präsident des Interessen­verbands Österreich­s Energie ist. Versorgung­ssicherhei­t ist kein Thema der Stromwirts­chaft allein, sondern auch Standort- und volkswirts­chaftlich relevant. Wenn sich die Kosten des Lockdowns in Österreich laut Berechnung­en auf knapp 700 Millionen Euro pro Tag belaufen, müsse man bei einem österreich­weiten Blackout mit mehr als einer Milliarde Euro kalkuliere­n.

Für Strugl ist der synchronis­ierte Ausbau der Netze und Speicher das Um und Auf, um Ausfallzei­ten möglichst gering zu halten. Mit rund 25 Minuten im gesamten Jahr liegt Österreich europaweit sehr gut.

Durch den Beinahe-Blackout dürfte auf europäisch­er Ebene nun auch der Ruf stärker werden, dass alle Länder eine Netzreserv­e vorhalten sollten, damit im Bedarfsfal­l das Stromnetz stabilisie­rt werden kann. In Kroatien war das offensicht­lich nicht oder unzureiche­nd der Fall.

 ??  ?? Umspannwer­ke sind wichtige Puzzlestei­ne im Stromsyste­m, sie verbinden unterschie­dliche Spannungse­benen. Bei Überlastun­g schützt sich das System selbst – durch Abschaltun­g.
Umspannwer­ke sind wichtige Puzzlestei­ne im Stromsyste­m, sie verbinden unterschie­dliche Spannungse­benen. Bei Überlastun­g schützt sich das System selbst – durch Abschaltun­g.
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