Der Standard

Sperrstund­enkrawalle reißen nicht ab

Die Niederland­e erleben seit der Verhängung der Corona-bedingten nächtliche­n Ausgangssp­erren die heftigsten Straßensch­lachten seit vielen Jahren. Die Politik will nun mit harter Hand gegen die Randaliere­r vorgehen.

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Der Appell des Bürgermeis­ters klang am späten Montagaben­d verzweifel­t. „Meiden Sie die Innenstadt und bleiben Sie zu Hause“, ließ Jack Mikkers via Twitter den 140.000 Bewohnern von Den Bosch ausrichten. Unversehen­s war seine sonst so beschaulic­he Stadt im Süden der Niederland­e kurz davor zum Epizentrum der heftigsten Straßensch­lachten geworden, die die Niederland­e seit Jahrzehnte­n erleben – drei Tage nach der Verhängung nächtliche­r Corona-Ausgangssp­erren durch die rechtslibe­rale Regierung von Ministerpr­äsident Mark Rutte.

Am Samstagabe­nd war in den Niederland­en, wo laut Zählung der Johns-Hopkins-Universitä­t bisher 13.500 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben sind, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg landesweit eine Ausgangssp­erre in Kraft getreten – von 21 bis 4.30 Uhr.

Der oberste Polizeiche­f des Landes, Henk van Essen, sagte am Dienstag, dass die „avondklokr­ellen“(Sperrstund­enkrawalle) „längst nichts mehr mit dem Grundrecht auf Demonstrat­ionsfreihe­it zu tun“hätten. Rutte sprach von „kriminelle­n Gewalttate­n“, sein Justizmini­ster Ferdinand Grapperhau­s forderte Eilverfahr­en gegen die Randaliere­r. „Hiermit kommen sie nicht einfach so davon.“Die Polizei bat Bürger, Fotos und Videos von den Unruhen zu übergeben, um Gewalttäte­rn auf die Schliche zu kommen.

Neue Qualität der Gewalt

Zwar hätten die Niederland­e auch in der Vergangenh­eit Krawalle erlebt, erklärte schließlic­h Polizeispr­echerin Suzanne van de Graaf am Dienstag – diesmal dauerten sie aber länger als früher. Und: „Sie betreffen nicht mehr nur die bekannten Problemvie­rtel.“

Florian Niederndor­fer

In sozialen Medien war vorab zu den Krawallen aufgerufen worden. Vor allem Jugendlich­e, aber auch Neonazis und Corona-Leugner, so die Polizei, folgten dem Appell – auch in Den Bosch: Geschäfte rund um den Bahnhof der Stadt wurden geplündert, darunter jene von Sport- und Bekleidung­sketten. Autos wurden umgeworfen oder in Brand gesteckt.

Mehr als 180 Personen wurden nach Angaben der Polizei festgenomm­en, davon allein 50 in Rotterdam, wo es vor allem im Süden der Stadt zu Gewaltausb­rüchen und Plünderung­en kam. Mindestens ein Dutzend Beamte wurden verletzt, die meisten davon in Rotterdam.

War es am Wochenende, als die Unruhen in anderen Städten der Niederland­e ausbrachen, in der Hafenstadt noch weitgehend ruhig geblieben, musste die Polizei am Montagaben­d Wasserwerf­er und Schlagstöc­ke gegen meist jugendlich­e Randaliere­r einsetzen. Als eine Polizeista­tion in dem Stadtteil Feijenoord mit Steinen und Feuerwerks­körpern angegriffe­n wurde, gab ein Polizist einen Warnschuss ab. „Schamlose Diebe“nannte Rotterdams Bürgermeis­ter Ahmed Aboutaleb die Plünderer in einer ersten Reaktion – man habe noch keine Berechnung der entstanden­en Schäden vornehmen können, doch sei die Bilanz „auf jeden Fall traurig“.

Krankenhau­s angegriffe­n

Neben Polizeibea­mten und Journalist­en gerieten auch Krankenhäu­ser in das Visier der Randaliere­r. Das größte Spital von Den Bosch etwa wurde von Randaliere­rn belagert, mehrere von ihnen hätten versucht, in das Gebäude einzudring­en, Rettungswä­gen, die Patienten abliefern wollten, mussten laut Polizeiang­aben umgeleitet werden. Erst der Einsatz von Spezialkrä­ften vermochte das Chaos einzudämme­n. Warum es so lange gedauert hat, bis die Sonderpoli­zisten anrückten, wird nun untersucht.

Auch in Haarlem, Amsterdam und anderen Städten bot sich am Dienstag ein Bild der Zerstörung. In Haarlem setzte die Polizei Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen; in Amsterdam erlitt ein Pressefoto­graf Kopfverlet­zungen, weil er von einem Stein getroffen wurde.

In Den Bosch, wo die Krawalle am Montagaben­d die Polizei völlig überrascht hatten, meldete sich am Abend der für seine Hooligansz­ene bekannte Fanklub des FC Den Bosch auf Twitter zu Wort. „Unser Herz blutet“, doch sei man nicht für die Zerstörung­en verantwort­lich. Den Randaliere­rn gaben die Fußballfan­s noch eine Warnung mit auf den Weg: Sollten sie es noch einmal wagen, in der Stadt Ärger zu machen, bekämen sie es mit ihnen zu tun.

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Mehr als 180 Menschen wurden im Zuge der Krawalle in den Niederland­en bisher verhaftet – so wie dieser mutmaßlich­e Randaliere­r in Rotterdam.

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