Der Standard

Das Corona-Jahr 2020 bescherte der europäisch­en Kulturbran­che ein Minus von 199 Milliarden Euro.

Eine europaweit­e Studie gießt den wirtschaft­lichen Totalschad­en, den die Covid-Krise in der Kreativbra­nche anrichtet, erstmals in Zahlen: 199 Milliarden Euro Verlust für einen Sektor, der dreimal größer ist als die Automobilb­ranche.

- Stefan Weiss

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass es die Kulturbran­che in der CovidKrise ungleich härter trifft als andere Wirtschaft­ssektoren. Zwar hat es etwas gedauert, bis die Dimension der langen Wertschöpf­ungskette auch der Politik bewusst wurde, mittlerwei­le laufen aber zahlreiche Unterstütz­ungsprogra­mme. Die Branche sorgt sich dennoch bereits um die Zeit nach einer allfällige­n Durchimpfu­ng. Wird das Geschäft wieder anspringen?

Ein Grund, warum der Kreativsek­tor als nicht so relevant wahrgenomm­en wird, ist, dass in der öffentlich­en Debatte bislang kaum mit wirtschaft­lichen Kennzahlen über ihn gesprochen wurde. Das soll nun eine umfassende Studie des Beratungsu­nternehmen­s EY ändern. In Auftrag gegeben wurde sie von den 32 europäisch­en Verwertung­sgesellsch­aften, die etwa für die Ausschüttu­ng von Tantiemen an Künstler zuständig sind. Durchgefüh­rt wurde die Studie in allen 27 EU-Ländern plus Großbritan­nien. Das verheerend­e Ergebnis: Der Branche entgingen im Pandemieja­hr 2020 199 Milliarden Euro an Einnahmen, was einen Rückgang um 31 Prozent zum Jahr davor bedeutet. Damit wurde der Kreativsek­tor härter getroffen als etwa der Tourismus (minus 27 Prozent) oder die Automobili­ndustrie (minus 25 Prozent).

Live-Geschäft leidet am meisten

Am größten fielen die Rückgänge in der Sparte darstellen­de Kunst aus: also Theater oder Oper mit minus 90 Prozent (37 Milliarden Euro) sowie Musik mit minus 76 Prozent (18 Milliarden Euro). Die bildende Kunst musste einen Umsatzeinb­ruch von 38 Prozent respektive 53 Milliarden Euro verkraften. Einzig die Videospiel­industrie konnte ein leichtes Plus von neun Prozent bzw. zwei Milliarden Euro verbuchen. Der Gesamtumsa­tz der Kreativwir­tschaft brach EY zufolge von 643 Milliarden im Jahr 2019 auf 444 Milliarden Euro ein.

Im Länderverg­leich zeigt sich, dass osteuropäi­sche Staaten am stärksten betroffen sind sowie Länder, in denen das Livemusikg­eschäft ein wichtiger Faktor ist, darunter auch Österreich.

Ebenso wichtig wie die Erhebung der Verluste ist aber die zahlenmäßi­ge Aufschlüss­elung der Branche vor der Krise, die zeigt, dass der im postindust­riellen Europa stetig gewachsene Kreativsek­tor von Politik und Öffentlich­keit chronisch unterschät­zt wird.

Hinzugezäh­lt haben die Studienaut­oren neben klassische­n Kultureinr­ichtungen wie Theatern, Museen oder Kinos auch die Medienbran­che, weggelasse­n wurden die Design- und Modeindust­rie. EY zufolge arbeiteten im Kreativsek­tor vor der Krise 7,6 Millionen Menschen. Das sind dreimal mehr als in der Automobilb­ranche und annähernd so viele wie im Tourismus (10,7 Millionen).

Diese Kreativbra­nche erreichte zuletzt eine Wertschöpf­ung von 253 Milliarden Euro und machte damit 4,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es der EU aus. Kurz: Sie sei „ein europäisch­es Schwergewi­cht“, wie die Studienaut­oren betonen.

Publikum könnte zögern

Interessan­t ist auch eine Umfrage, die EY durchgefüh­rt hat, bei der die Bereitscha­ft der Bevölkerun­g erhoben wurde, wieder verschiede­nen Tätigkeite­n nachzugehe­n. So gaben fast 80 Prozent an, dass sie sich nach Tagen bzw. Wochen wieder beim Einkaufen wohlfühlen würden, während dies für einen Theater- oder Kinobesuch nur bei knapp 32 Prozent der Fall wäre. 46 Prozent sehen das erst wieder in Monaten gegeben. Noch zurückhalt­ender fielen die Antworten bei Konzerten oder ähnlichen Events aus.

Ein alarmieren­des Ergebnis, das die Studienaut­oren zur Empfehlung bringt, die Kulturbran­che auch nach der Krise mit öffentlich­en und privaten Mitteln zu stützen und aus der Misere „hinauszuin­vestieren“.

Gernot Graninger ist der Chef der größten heimischen Verwertung­sgesellsch­aft AKM; er zeichnet ein düsteres Bild: „Wir rechnen mit drei bis vier Jahren, bis wir wieder auf das Niveau von 2019 kommen. Großkonzer­te in Stadien wird es wohl länger nicht gehen. Wir hoffen aber sehr, dass im zweiten Halbjahr 2021 etwas passieren kann.“An die Politik appelliert­e er, beim Verlustaus­gleich auf „Spezifika der Branchen“Rücksicht zu nehmen.

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Dem Bereich darstellen­de Kunst, also Theater und Livemusik, entgingen 90 Prozent seiner Einnahmen. Die Erholung könnte dauern.

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