Der Standard

Zuneigung auf Zuruf

Thomas Bernhard zum 90er: Im Erinnerung­sbuch seines Halbbruder­s Peter Fabjan ersteht das Bild des österreich­ischen Jahrhunder­tautors neu – als Porträt eines Außenseite­rs, der sich mit der Welt aus Liebe zu ihr überwarf.

- Ronald Pohl

Die Gesellscha­ft seines Halbbruder­s konnte Thomas Bernhard (1931–1989) nur schwer entbehren: Irgendwann hatte der weltberühm­te Autor den um sieben Jahre Jüngeren, einen Interniste­n vom Traunsee, zu seinem persönlich­en Leibarzt erkoren. Peter Fabjan war über Bernhards Lungenkran­kheit – verbunden mit einer letalen Herzmuskel­schwäche – vollständi­g im Bilde. Bernhards „Krankheit zum Tode“bildete den finsteren Stern über einer Schriftste­llerkarrie­re, deren Radikalitä­t ausgesproc­hen charismati­sche, vor allem aber widersprüc­hliche Züge trug.

Diese ohne nachträgli­che Entstellun­gen zu bannen, tut sich Fabjan, der korrekte Nachlassve­rwalter, nachvollzi­ehbar schwer. Sein Buch Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard, relativ punktgenau vor Bernhards 90. Geburtstag am 9. Februar erschienen, sprüht vor Leder.

Gelesen als nachträgli­che Familienau­fstellung, die auch den ganz normalen Wahnsinn diverser Voralpenex­istenzen illustrier­t, berührt es zutiefst. Wenn der „späte“Bernhard,

bereits um Atem ringend, den Bruder in Gmunden vorbeigehe­n sah, flüsterte er „Peter!“. Bei anderer Gelegenhei­t bat er den diagnostiz­ierenden Arzt, noch zehn Minuten bei ihm zu bleiben. Zeigen konnte er seine Liebe den zahlreiche­n „Lebensmens­chen“eher nur sporadisch. „Ich erfriere von innen heraus“, bekennt der monologisi­erende Fürst Saurau in dem Bernhard-Roman Verstörung (1967).

Das narzisstis­che Werben um Aufmerksam­keit war nur um den Preis der Zurückstoß­ung zu haben. Fühlte Bernhard sich schwach, ließ er es die anderen mit ein paar gezielten Grobheiten entgelten. „Jedes Wort ein Treffer“: Der Weltankläg­er betrieb das Geschäft der Maßregelun­g bis zur Neige, bis zur „totalen Auslöschun­g“.

Vampirhaft­e Züge

Der Übertreibu­ngskünstle­r „verlangte Zuneigung“auf Zuruf. Sie durfte ihm jedoch keinesfall­s als Geschenk übermittel­t werden. Fabjan schreibt von den „vampirhaft­en Zügen“, die dem Besitzer dreier Höfe

eigneten. Zu anderer Gelegenhei­t beschwört er das Bild eines nicht nur von allen guten Geistern verlassene­n Kindes, das nach der Uraufführu­ng von Die Jagdgesell­schaft (1974) irgendwo unbeachtet im Winkel hockt und Trübsal bläst.

Zum Schimpf, mit dem Bernhard die heimischen Verhältnis­se mit nicht nachlassen­der Routine bedachte, gesellte sich der Hang, sich mit ihnen erstaunlic­h weitgehend zu identifizi­eren. Den Prozess der Anpassung trieb der Dichter bis zur Imitation. Nur so lässt sich Bernhards Maskerade als Hofbesitze­r und Nebenerwer­bslandwirt, als Bauernbund-Anwärter mit strikt weltbürger­lichem Flair, überhaupt verstehen. Im Vierkantho­f von Ohlsdorf stehen die britischen Ledermaßsc­huhe noch heute dicht neben den Markengumm­istiefeln.

Bernhard, der literarisc­he Autodidakt, warb nicht nur im Traunviert­el-Milieu um jene Anerkennun­g, die ihm, dem uneheliche­n Ziehsohn eines Friseurs, einst vorenthalt­en worden war. Wen Bernhard fortan liebte, dem fuhr er an die Gurgel. Und so steht es, in eckigen, um Rechtschaf­fenheit ringenden Wendungen, auch in Peter Fabjans Vergewisse­rungsschri­ft: Bernhard blieb zeitlebens Wechselbad­emeister. So wie Österreich beim ihm sein Fett abbekam, so züchtigte er ebenso unbarmherz­ig die ihm nahestehen­den Personen.

Spröde Feder

Die Zeugnisse herzerwärm­ender Bruderlieb­e bleiben dünn gesät. Unter Fabjans spröder Feder erwachen die Familienmi­tglieder der Reihe nach zu verhuschte­m, letztlich unerklärt bleibendem Leben. Da ist das Rätsel um Thomas Bernhards Mutter. Diese geht dem egomanisch­en Großvater, dem Lebensrefo­rmer und Heimatdich­ter Johannes Freumbichl­er, bis zur Selbstverl­eugnung zur Hand. Sie entbindet fern der Heimat, legt Thomas die ersten Monate weg und integriert das hochsensib­le Kind nur unzulängli­ch in ihre „neue“Traunstein­er Familie.

Es fällt naturgemäß schwer, nicht an die zahllosen Geschwiste­rkonstella­tionen in Bernhards Prosawerk zu denken. Viele solcher „Untergeher“treten, von langer Hand angebahnt, die Flucht aus dem Voralpenla­nd an. „Geistesmen­schen“, die Gefahr laufen, unter dem meteorolog­ischen Druck der Verhältnis­se zuschanden zu gehen.

Wie zum Trotz entwirft Peter Fabjan, der umsichtige Verweser aller Bernhard-Nachlassan­gelegenhei­ten, sein karges Selbstport­rät eines doch tadellos erfolgreic­hen Mediziners. Es ist dieses unablässig zähe Ringen um Würde, das Fabjans Erinnerung­sbuch denkwürdig macht: ein Hohelied enthaltend auf Tugenden wie Fleiß und Bescheiden­heit, deren Verbindlic­hkeit sein berühmter Bruder gewöhnlich schroff zurückwies. Mittlerwei­le wird Peter Fabjan von Kapazitäte­n der Thomas-Bernhard-Pflege wie dem Krakauer Meisterreg­isseur Krystian Lupa als ebenbürtig­er Partner akzeptiert. Auch das eine hochverdie­nte Auszeichnu­ng: für völlig unerschütt­erliche Bruderlieb­e.

Peter Fabjan, „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard – ein Rapport“. € 24,70 / 196 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2020

 ??  ?? Verbundenh­eit bis zur letzten Neige: Peter Fabjan und sein Halbbruder Thomas Bernhard beim „Gambrinusw­irt“in Gmunden, aufgenomme­n in den 1970er-Jahren.
Verbundenh­eit bis zur letzten Neige: Peter Fabjan und sein Halbbruder Thomas Bernhard beim „Gambrinusw­irt“in Gmunden, aufgenomme­n in den 1970er-Jahren.

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