Nachgeburt in Form der Alpenrepublik
Der Wiener Illustrator Nicolas Mahler hat Thomas Bernhards Leben gezeichnet – von Krankheit bis Mode, von Streit bis Liebe
Die Idee ist nicht neu, den Übertreibungskünstler Thomas Bernhard und den Reduktionsartisten Nicolas Mahler zusammenzubringen: Schon 2014 hat der Wiener Zeichner für seine bei Suhrkamp erscheinende Reihe von Weltliteratur in Comicform den Weltverbesserer des 1989 verstorbenen Autors gezeichnet, 2015 folgte Alte Meister. Die Satzwürste der Originale wurden von Mahler jeweils aufs Wesentliche ausgedünnt und mit knappen, aber so überlegten wie gewitzten Strichen bebildert. Nun hat er sich den Autor selbst vorgeknöpft.
Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie heißen die schnell gelesenen 119 Seiten. Unkorrekt deshalb, weil Mahler sich Scherze leistet, wie den „Schreibkerker“in Ohlsdorf wörtlich zu nehmen. Oder jenen, dass Bernhards Nachgeburt die Form Österreichs hatte. Als schwarzer Fleck liegt sie in der ersten von 99 Szenen am Boden zwischen Baby und Mutter. Mahlers Witz ist direkt.
Doch die Unkorrektheiten halten sich in Grenzen, und Mahler beichtet seine Flunkereien im Anhang Seite für Seite. Das nimmt dem Buch also nichts von seinem Erkenntnispotenzial für Unkundige. Insbesondere, als Mahler genauso gewissenhaft Quellen aufzählt, auf die er sich für seine Lebenserzählung stützt.
Die Seiten folgen alle einem Prinzip: Mahler entwirft eine Situation im Leben Bernhards, drunter illustriert er sie und staffiert sie mit passenden Zitaten aus dessen Büchern, Briefen, Reden aus. Oder mit Äußerungen von Wegbegleitern wie dem Freund Karl Ignaz Hennetmair oder dem Verleger Siegfried Unseld.
Schmollend sitzt Bernhard in seinem hohen Lehnsessel, als Unseld auf einem Schemel vor ihm hockend versucht zu erklären, warum sein Romanzweitling Verstörung sich schlecht verkauft. Das trifft das Verhältnis gut, das damit enden wird, dass Unseld seinem Schützling im letzten Telegramm mitteilt: „fuer mich ist eine schmerzensgrenze nicht nur erreicht, sie ist ueberschritten ... ich kann nicht mehr“.
Ob der traumatisierende Schuleintritt (durch eine Guillotine in der Tür), dass Bernhard sich gerne bei Paaren von landadeligem Stand einnistete (in einem Vogelnest) oder für den Streit um Holzfällen (Forstverbotstafel) – Mahler findet viele originelle Bilder. Mit seinem Lebensmenschen Hedwig Stavianicek sitzt der Autor in Lederhose vor dem Vierkanter und überreicht der alten Dame ein hängendes Blümchen.
Es finden sich die großen Bögen sowie Klatschgeschichten. Mit Lakonie, Ironie und Mitgefühl ist das Buch ein große Lust machendes Einstiegstor in den Kosmos Bernhard. Nicolas Mahler, „Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie“. € 16,50 / 119 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2021