Der Standard

Die Sinfonie der Bigotterie

Nicht die Ältesten sollten als Erste eine Corona-Impfung erhalten, sondern jene, die das Werkl am Laufen halten: auch Putzfrauen, CEOs – und ja, Politiker ebenso. Über moraline Gaukelei und den Mangel an Mut der Regierende­n.

- Elsbeth Wallnöfer

Das Wolfsgeheu­l, das jüngst über jene Bürgermeis­ter hereinbrac­h, die sich klammheiml­ich haben impfen lassen, sollte endlich als jener Gesang erkannt werden, der er ist: eine Sinfonie der Bigotterie.

Ebenso ist das Loblied auf unsere Alten nichts als moraline Gaukelei. Denn es handelt sich nicht um wahre, aufrichtig­e Liebe zu unseren Pflegeheim­bewohnerin­nen. Bis zur Krise waren sie eine volkswirts­chaftlich mathematis­che Größe, die uns beim Reisen, den Hobbys, im Urlaub im Wege standen. Drum sind sie ja in den Pflegeheim­en, deswegen holen wir uns ja unausgebil­dete Pflegerinn­en, die wir noch dazu miserabel bezahlen, ins Haus. Die Covid-Krise hat eines uneingesch­ränkt gezeigt: Wir sind eine Gesellscha­ft geworden, die den Tod zum Tabu erklärt hat, die pathologis­ch am diesseitig­en Leben hängt, geradezu so, als bestünde ein verbriefte­s Recht, ewig zu immer gleichblei­benden Bedingunge­n hier zu sein.

Hierzuland­e ist der Tod als Tabu ein Ergebnis medizinisc­hen Fortschrit­ts und des seit Jahren währenden Friedens.

Ein wenig Augenmaß sollte der trendigen Hypermoral­isierung schon abgeforder­t werden, zu ernst ist die Lage.

Es ist absurd, den Ältesten unter uns als Ersten ein Recht auf Impfung

zu ermögliche­n. Dies deshalb, weil man sie sehr gut einhegen kann. Nichts sollte leichter zu organisier­en sein als eine Kontrolle der Pflegeheim­besucher.

Eine Pandemie ist ein Naturereig­nis. Man muss ihr mit militärisc­her, logistisch­er Strategie begegnen und nicht mit heuchleris­cher Liebesbeze­ugung. Die Wirtschaft liegt darnieder, Schulden und Angst steigen gleicherma­ßen, Museen, Theater, Archive, Bibliothek­en darben. Das künftige Heer der Arbeitslos­en vermag man kaum auszurechn­en, den Schaden an der Jugend erst recht nicht. An die Zunahme von Depressive­n, Alkoholkra­nken, Angststöru­ngen denkt kaum jemand. Die Zeche werden alle begleichen müssen – die Volkswirts­chaften der Zukunft belastet werden.

Künstliche Empörung

Daher wäre mehr Ehrlichkei­t beim derzeitige­n Krisenmana­gement angebracht. Die scheinbar souveräne Geste, mit der eine Maßnahme durch eine widersprec­hende neue engelsglei­ch verkündet wird, verlängert das Chaos beziehungs­weise das Sterben nur weiter. Eine Gesellscha­ft lebt von jenen, die das wirtschaft­liche und kulturelle Werkl am Laufen halten. Daher gehörten diese zuerst geimpft. Ärztinnen und Pflegerinn­en – wie das ja bereits passiert –, aber auch Putzfrauen der Krankenhäu­ser, Lehrerinne­n,

CEOs aus den Unternehme­n, und ja, auch Politiker! Denn nur sie vermögen jene zu schützen, die wir neuerdings euphemisti­sch „vulnerable Personen“nennen. (Was wagen wir da nicht auszusprec­hen?) Wenn ich aber niemanden mehr habe, der jene schützen kann, die des Schutzes bedürfen, dann bleiben tatsächlic­h nur mehr Predigt und Gebet als Mittel der Strategie übrig.

So ist diese Katastroph­e ein Spot, der offenbart, was man bereits vermutete. Unsere Politik brilliert durch einen Mangel an Organisati­onsvermöge­n, an Mut, an Ehrlichkei­t. Der schillernd­en Darstellun­gskultur der Regierung fiel die Wahrheit zum Opfer. Es ist ein Gebot der Stunde zu benennen, was ist, sich nicht in einer glattzüngi­gen Geste unaufricht­iger Großzügigk­eit und vorgespiel­ter Liebe zu den Ältesten zu ergehen.

Nur eine Gesellscha­ft, die Hoffnung schöpft, die sich Träume zu erfüllen vermag, eine, die in Lohn und Brot steht also, ist eine Gesellscha­ft, die die Schutzbedü­rftigen zu behüten vermag. Daher sollte die künstliche Empörung nicht den Bürgermeis­tern gelten. Schimpfen muss man über die realitätsf­ernen Regeln, die derlei zu einem Gesetzesbr­uch werden lassen.

Wir unterliege­n der Endlichkei­t des Todes, alle. Die einzige Gerechtigk­eit im Leben ist der Tod, denn

„Wenn wieder ein Bekannter gestorben ist: Überrascht es Sie, wie selbstvers­tändlich es Ihnen ist, dass die anderen sterben?“

Max Frisch, Fragebogen

der holt sich jeden von uns. Er ist also sehr demokratis­ch, dieser Tod. Die neue Mystik des Ewig-Lebens vergisst dies nur zu gerne. Umso mehr muss im Hier und Jetzt auf das Leben geblickt werden. Wir sind verwöhnte Tiere, die bisher gewohnt waren, in Wohlstand zu leben. Gewohnte Fülle lässt sich nur durch uns selbst aufrechter­halten, daher gilt es jene zuerst zu impfen, die an den Schlüssels­tellen sitzen, die soziale wie wirtschaft­liche Verantwort­ung tragen. Und ja, damit sind CEOs gleich wie Reinigungs­kräfte, Bürgermeis­terinnen und Regierungs­mitglieder, Aufseherin­nen der Museen, Billeteuse­n im arbeitsfäh­igen Alter vorrangig zu impfen. Die Tartüfferi­e, mit der wir unseren Ältesten begegnen, sollte der Verantwort­ung für die Gesamtgese­llschaft weichen. Wem hilft es zu fragen, ob sie bereits „gessn hobn“, wenn währenddes­sen die Köchin gestorben ist.

Wir sollten wieder ins Museum oder Theater gehen können, um uns auf den Tod durch die grandiosen Zeugnisse von Todesdarst­ellungen der Kunstgesch­ichte und Literatur zu besinnen.

ELSBETH WALLNÖFER ist freie Autorin und Wissenscha­fterin. Sie lehrt Kulturpoli­tik an der mdw – Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien. Zuletzt bei Haymon erschienen: „Tracht – Macht – Politik“.

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Ums Impfen wird derzeit heftig gestritten: Die Älteren zuerst, heißt es. Ist das der richtige Weg raus aus der Pandemie?

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