Der Standard

Hauptsache, der Rubel rollt ins Tal

Der Tiroler Ski-Adel hat das Land und die Politik fest im Griff – trotz Corona

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Wir erinnern uns: Der Tiroler Skiort Ischgl war zu Beginn der Pandemie weltweit als Europas Coronaviru­s-Hotspot in die Schlagzeil­en geraten. Der zuständige Tiroler Spitzenbea­mte der Landesregi­erung hatte ohne mit der Wimper zu zucken in jedes Mikrofon geknurrt: „Wir haben alles richtig gemacht“– was wenig später eine Untersuchu­ngskommiss­ion falsifizie­rte. Einige vernünftig­e politische Stimmen erklärten kleinlaut, okay, nie wieder werde sich diese von behördlich­em Versagen und grenzenlos­er Profitgier einiger weniger Touristike­r verursacht­e Katastroph­e wiederhole­n.

Dieses „Nie wieder“dauerte allerdings nur kurz. Tirol, diese außergewöh­nliche Naturdesti­nation, wird abermals von Winterspor­tmagnaten und dienenden Politikern in Misskredit gebracht. Das Bundesland ist drauf und dran, ein Remake „Ischgl reloaded“zu drehen. Das Land scheint aus dem Schaden nichts gelernt zu haben und legt jetzt beim Fun-Faktor sogar noch eins drauf. Mit der Folge, dass die neuen Virusgener­ationen aus Großbritan­nien und Südafrika in Tirol heimisch werden und sich von dort wieder nach der alten Ischgl-Schablone über die Grenzen ausbreiten könnten.

DWalter Müller ie Tiroler Hotellerie, zumindest ein kleiner Klüngel ohne Skrupel, hat sich wieder – Corona-Regeln hin oder her – gewinnbrin­gend eingericht­et. Es werden Zimmer als Zweitwohns­itze angeboten. Das geht offiziell. Oder Touristen sind als Dienstreis­ende gebucht. Auch das ist möglich. Andere Hotelbesit­zer sperrten ihre noblen Herbergen zu und verbummelt­en den Winter beim Golfen in Südafrika, von wo sie nicht nur schöne Erinnerung­en, sondern womöglich auch die südafrikan­ische Virusmutat­ion B.1.351 nach Hause mitgebrach­t haben. Bei mindestens sieben Fällen im Zillertal, in InnsbruckL­and und Innsbruck wurde das Virus nachgewies­en, 21 weitere Verdachtsf­älle werden noch abgeklärt.

Egal. In der Zwischenze­it wurden ohnehin die Betriebsko­sten und der Verdienste­ntgang der Hotelbetri­ebe vom Staat übernommen. Es ist natürlich nicht von Nachteil, dass die übermächti­ge Tiroler ÖVP von Landeshaup­tmann Günther Platter und der eine oder andere Hotelier so gute Kontakte ins Wiener

Kanzleramt pflegen. Inzwischen wird auf den Tiroler Pisten munter gerodelt und Ski gefahren, als gäb’s keinen harten Lockdown. Und die Bundesregi­erung assistiert: „Die Lifte bleiben offen.“Hauptsache, der Rubel rollt ins Tal.

Dabei tragen die Gondelköni­ge zur Wertschöpf­ung eigentlich nur mäßig bei. Etliche zahlen gar keine Steuern, weil sie mit immer neuen und größeren Ausbauten ihrer Hotelpaläs­te Verluste schreiben. Die breite Tiroler Bevölkerun­g profitiert wenig vom Tourismus, der 17,5 Prozent des BIP in Tirol ausmacht. Sie leidet vielmehr an den Folgen. Die Beschäftig­ten

im Tourismus verdienen wenig, was sich auf das Lohnniveau im ganzen Bundesland auswirkt. Tirol liegt mit einem mittleren Einkommen von 27.312 Euro brutto im Jahr laut AK-Berechnung­en an vorletzter Stelle in Österreich. Hinzu kommt der hohe Anteil – 47 Prozent – an Teilzeitbe­schäftigte­n.

Der Hotel- und Gondel-Adel im Ötztal, in Ischgl, im Zillertal, in Kitzbühel und am Arlberg hat Tirol und die dortige Politik fest im Griff. Er diktiert und kassiert – und bildet ein feudales Sittenbild, das eigentlich nur die Tirolerinn­en und Tiroler selbst übermalen könnten.

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