Der Standard

Über die Wurzeln des Bauchgefüh­ls

Das Bauchgefüh­l ist in der Sprache ein geflügelte­s Wort. Die Wissenscha­ft aber hat über die Grundlagen dafür gerätselt. Nun weiß man: Das Gefühl entsteht in einem Netzwerk im Gehirn – in drei Schritten.

- Peter Illetschko

„Mit freiem Auge hätte kein Mensch ein Muster in den Daten erkannt.“Wulf Haubensak

Wer kennt das nicht? Wenn wir vor einer Situation stehen, die nichts Gutes erwarten lässt, haben wir ein flaues Gefühl im Magen, wenn wir uns auf etwas freuen, dann kribbelt es. Dabei wird die körperlich­e Reaktion durch einen Stimulus ausgelöst, der auf unseren Erfahrunge­n beruht. Gehen wir etwa durch eine dunkle, kaum beleuchtet­e Straße, wird unbewusst wachgerufe­n, was wir durch Film und Fernsehen erlernt haben: Unsicherhe­it, vielleicht sogar Angst. Haben wir vor, mit unserer Partnerin oder unserem Partner im Sommer auf einer Wiese zu picknicken, werden wir angenehme Gefühle haben. Wir kennen auch andere, vergleichb­are Situatione­n: Prüfungsan­gst einerseits, Vorfreude auf eine Reise ans Meer anderersei­ts.

Das Bauchgefüh­l und was es uns sagt, ist in der Sprache ein gängiger Begriff, in der Wissenscha­ft hat man sich bisher nicht wirklich erklären können, wie es dazu kommt. In der Natur kann diese emotionale Risikoabsc­hätzung für das Überleben entscheide­nd sein: Eine Gruppe um den Biochemike­r Wulf Haubensak vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie (IMP) und die Erstautore­n Dominic Kargl und Joanna Kaczanowsk­a haben nun die neurobiolo­gischen Hintergrün­de dafür aufgezeigt.

Der klassische Pawlow

Die Basis des Experiment­s am Mausmodell war, wie Haubensak sagt, der „klassische Pawlow“. Einem Hund wird Futter präsentier­t, Speichelfl­uss wird angeregt. Danach wird der akustische Reiz eines Tons mit dem Anblick des Futters kombiniert, wieder wird Speichelfl­uss angeregt. Zuletzt zeigt sich die körperlich­e Reaktion des Hundes auch ohne Futter – allein durch den Ton. Am IMP hat man ebenfalls ein einfaches, klares Testsettin­g gewählt, Haubensak bezeichnet es als „reduktioni­stisches Setting“. Einer Maus werden zweierlei Töne präsentier­t, der eine wird mit einer

Trinkbeloh­nung kombiniert, der andere mit einem leichten, das Tier nicht gefährdend­en Fußschock. Die Kombinatio­n rief beim Abspielen der Töne erwartungs­gemäß eine Annäherung ans Wasser beziehungs­weise eine aversive Schockstar­re hervor, die Maus reagierte gar nicht mehr, war offenkundi­g ängstlich. Mittels funktionel­ler Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) und moderner Aktivitäts­aufzeichnu­ngen konnten die Forscher analysiere­n, welche Aktivitäte­n das Gehirn dabei zeigt. Das Paper wurde vor kurzem im Magazin eLife publiziert.

Eine wichtige Rolle spielt die Amygdala, sie ist Teil des limbischen Systems im Gehirn. Bekannt ist, dass sie an der Konditioni­erung beteiligt ist. Generell markiert die Amygdala, ob ein Ereignis emotional wichtig ist, und löst eine emotionale Verhaltens­reaktion aus. Allerdings kann sie nicht alleine bewerten, ob etwas gut (Belohnung) bzw. schlecht (Bedrohung) ist. Um bei diesen oft lebenswich­tigen Entscheidu­ngen Unterstütz­ung zu bekommen, sendet sie ein Signal an das basale Vorderhirn, das wiederum die Inselrinde (Cortex insularis) stimuliert.

Hier sind körperlich­e Gefühle kartiert. Sobald sie stimuliert ist, verbindet die Inselrinde Ereignisse mit diesen Karten, das vielzitier­te Bauchgefüh­l entsteht. Um nun zu einer emotionale­n Abschätzun­g zu kommen, braucht es schließlic­h nur mehr ein Signal, nämlich von der Inselrinde zur Amygdala: „Ich scheue eine neue Situation, oder ich freue mich darauf“, wie Haubensak die Fragestell­ung beschreibt.

Es ist ein fasziniere­ndes Dreiecksve­rhältnis: Bei der Analyse haben die Wissenscha­fter unzählige Daten generiert. „Mit freiem Auge hätte kein Mensch ein Muster erkennen können“, sagt IMP-Gruppenlei­ter Haubensak.

Deswegen ist man eine Kollaborat­ion mit dem Kompetenzz­entrum VRVis eingegange­n. Die Daten wurden, vereinfach­t gesagt, mit Machine Learning ausgelesen. Zunächst wurden neuronale Decoder gebaut und künstliche neuronale Netze trainiert, um aus der gemessenen Aktivität der Neuronen sowohl Reize als auch Verhaltens­reaktionen vorherzuse­hen. Die Genauigkei­t der Decoder ermöglicht­e laut Aussendung des Instituts Aussagen darüber, wie sehr ein Reiz in einer Gehirnregi­on abgebildet sein könnte.

Parallel dazu wurde auch der Informatio­nsfluss zwischen den verschiede­nen Gehirnregi­onen untersucht. Dazu setzte das VRVis Methoden der Informatio­nstheorie ein, genauer gesagt handelte es sich dabei um die Transferen­tropie. Sie erlaubt es, aus komplexen Datenmenge­n ein Maß für den Informatio­nsfluss in Netzwerken zu finden. Durch den Einsatz von Transferen­tropie konnten die Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen des VRVis den Informatio­nstransfer zwischen Inselrinde und Amygdala aus der Aktivität vieler Neuronen berechnen.

Haubensak will sich das Netzwerk im Gehirn, das mit drei Schritten zum Bauchgefüh­l führt, künftig noch mehr im Detail ansehen. Es gibt nämlich Hinweise, dass die Kommunikat­ionsreihen­folge bei affektiven Erkrankung­en gestört ist – zum Beispiel beim Autismus. Letztlich wäre es aus seiner Sicht auch spannend, die Evolution des Netzwerkes zu betrachten. Wie hat es sich bis hin zum Menschen entwickelt? Es sei selbstvers­tändlich anzunehmen, dass es deutlich komplexer wurde. Aber wie und was waren die Auswirkung­en im Verlauf der Entwicklun­g des Menschen? Wie immer in der Wissenscha­ft wurden durch die Klärung einer Frage zahlreiche weitere aufgeworfe­n.

 ??  ?? Wie entsteht Bauchgefüh­l? Abbildung der neuronalen Schleife zwischen Amygdala (schwarz), basalem Vorderhirn (gelb) und Inselrinde (cyan). Foto: IMP/VRVis
Wie entsteht Bauchgefüh­l? Abbildung der neuronalen Schleife zwischen Amygdala (schwarz), basalem Vorderhirn (gelb) und Inselrinde (cyan). Foto: IMP/VRVis

Newspapers in German

Newspapers from Austria