Über die Wurzeln des Bauchgefühls
Das Bauchgefühl ist in der Sprache ein geflügeltes Wort. Die Wissenschaft aber hat über die Grundlagen dafür gerätselt. Nun weiß man: Das Gefühl entsteht in einem Netzwerk im Gehirn – in drei Schritten.
„Mit freiem Auge hätte kein Mensch ein Muster in den Daten erkannt.“Wulf Haubensak
Wer kennt das nicht? Wenn wir vor einer Situation stehen, die nichts Gutes erwarten lässt, haben wir ein flaues Gefühl im Magen, wenn wir uns auf etwas freuen, dann kribbelt es. Dabei wird die körperliche Reaktion durch einen Stimulus ausgelöst, der auf unseren Erfahrungen beruht. Gehen wir etwa durch eine dunkle, kaum beleuchtete Straße, wird unbewusst wachgerufen, was wir durch Film und Fernsehen erlernt haben: Unsicherheit, vielleicht sogar Angst. Haben wir vor, mit unserer Partnerin oder unserem Partner im Sommer auf einer Wiese zu picknicken, werden wir angenehme Gefühle haben. Wir kennen auch andere, vergleichbare Situationen: Prüfungsangst einerseits, Vorfreude auf eine Reise ans Meer andererseits.
Das Bauchgefühl und was es uns sagt, ist in der Sprache ein gängiger Begriff, in der Wissenschaft hat man sich bisher nicht wirklich erklären können, wie es dazu kommt. In der Natur kann diese emotionale Risikoabschätzung für das Überleben entscheidend sein: Eine Gruppe um den Biochemiker Wulf Haubensak vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie (IMP) und die Erstautoren Dominic Kargl und Joanna Kaczanowska haben nun die neurobiologischen Hintergründe dafür aufgezeigt.
Der klassische Pawlow
Die Basis des Experiments am Mausmodell war, wie Haubensak sagt, der „klassische Pawlow“. Einem Hund wird Futter präsentiert, Speichelfluss wird angeregt. Danach wird der akustische Reiz eines Tons mit dem Anblick des Futters kombiniert, wieder wird Speichelfluss angeregt. Zuletzt zeigt sich die körperliche Reaktion des Hundes auch ohne Futter – allein durch den Ton. Am IMP hat man ebenfalls ein einfaches, klares Testsetting gewählt, Haubensak bezeichnet es als „reduktionistisches Setting“. Einer Maus werden zweierlei Töne präsentiert, der eine wird mit einer
Trinkbelohnung kombiniert, der andere mit einem leichten, das Tier nicht gefährdenden Fußschock. Die Kombination rief beim Abspielen der Töne erwartungsgemäß eine Annäherung ans Wasser beziehungsweise eine aversive Schockstarre hervor, die Maus reagierte gar nicht mehr, war offenkundig ängstlich. Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (MRT) und moderner Aktivitätsaufzeichnungen konnten die Forscher analysieren, welche Aktivitäten das Gehirn dabei zeigt. Das Paper wurde vor kurzem im Magazin eLife publiziert.
Eine wichtige Rolle spielt die Amygdala, sie ist Teil des limbischen Systems im Gehirn. Bekannt ist, dass sie an der Konditionierung beteiligt ist. Generell markiert die Amygdala, ob ein Ereignis emotional wichtig ist, und löst eine emotionale Verhaltensreaktion aus. Allerdings kann sie nicht alleine bewerten, ob etwas gut (Belohnung) bzw. schlecht (Bedrohung) ist. Um bei diesen oft lebenswichtigen Entscheidungen Unterstützung zu bekommen, sendet sie ein Signal an das basale Vorderhirn, das wiederum die Inselrinde (Cortex insularis) stimuliert.
Hier sind körperliche Gefühle kartiert. Sobald sie stimuliert ist, verbindet die Inselrinde Ereignisse mit diesen Karten, das vielzitierte Bauchgefühl entsteht. Um nun zu einer emotionalen Abschätzung zu kommen, braucht es schließlich nur mehr ein Signal, nämlich von der Inselrinde zur Amygdala: „Ich scheue eine neue Situation, oder ich freue mich darauf“, wie Haubensak die Fragestellung beschreibt.
Es ist ein faszinierendes Dreiecksverhältnis: Bei der Analyse haben die Wissenschafter unzählige Daten generiert. „Mit freiem Auge hätte kein Mensch ein Muster erkennen können“, sagt IMP-Gruppenleiter Haubensak.
Deswegen ist man eine Kollaboration mit dem Kompetenzzentrum VRVis eingegangen. Die Daten wurden, vereinfacht gesagt, mit Machine Learning ausgelesen. Zunächst wurden neuronale Decoder gebaut und künstliche neuronale Netze trainiert, um aus der gemessenen Aktivität der Neuronen sowohl Reize als auch Verhaltensreaktionen vorherzusehen. Die Genauigkeit der Decoder ermöglichte laut Aussendung des Instituts Aussagen darüber, wie sehr ein Reiz in einer Gehirnregion abgebildet sein könnte.
Parallel dazu wurde auch der Informationsfluss zwischen den verschiedenen Gehirnregionen untersucht. Dazu setzte das VRVis Methoden der Informationstheorie ein, genauer gesagt handelte es sich dabei um die Transferentropie. Sie erlaubt es, aus komplexen Datenmengen ein Maß für den Informationsfluss in Netzwerken zu finden. Durch den Einsatz von Transferentropie konnten die Wissenschafter und Wissenschafterinnen des VRVis den Informationstransfer zwischen Inselrinde und Amygdala aus der Aktivität vieler Neuronen berechnen.
Haubensak will sich das Netzwerk im Gehirn, das mit drei Schritten zum Bauchgefühl führt, künftig noch mehr im Detail ansehen. Es gibt nämlich Hinweise, dass die Kommunikationsreihenfolge bei affektiven Erkrankungen gestört ist – zum Beispiel beim Autismus. Letztlich wäre es aus seiner Sicht auch spannend, die Evolution des Netzwerkes zu betrachten. Wie hat es sich bis hin zum Menschen entwickelt? Es sei selbstverständlich anzunehmen, dass es deutlich komplexer wurde. Aber wie und was waren die Auswirkungen im Verlauf der Entwicklung des Menschen? Wie immer in der Wissenschaft wurden durch die Klärung einer Frage zahlreiche weitere aufgeworfen.