Der Standard

Videoüberw­achung im Wohnzimmer

An den Universitä­ten finden derzeit vorwiegend Onlineprüf­ungen statt. Die Vorgaben dringen tief in die Privatsphä­re ein, an der TU Wien sorgen teils ausufernde Verhaltens­regeln für Kritik.

- Theo Anders

Diese Woche geht an den Universitä­ten das zweite Semester unter Corona-Bedingunge­n zu Ende. Eine spezielle Herausford­erung stellt die Abhaltung von Prüfungen dar: Ein enges Zusammensi­tzen in Hörsälen ist tabu, für Einzelprüf­ungen reichen die Kapazitäte­n nicht aus, und doch muss die Leistung der Studierend­en halbwegs objektiv beurteilt werden.

In technische­n und naturwisse­nschaftlic­hen Diszipline­n fällt der Umgang mit der neuen Situation besonders schwer, denn dort muss regelmäßig mit dem Stift gezeichnet und auf Papier gerechnet werden. An der Technische­n Universitä­t (TU) Wien versuchen viele Professore­n, die Prüfungsst­ruktur in den Onlinemodu­s zu übertragen und die Tests per Videokonfe­renz durchzufüh­ren. Die Regeln, denen die Studierend­en dabei unterworfe­n werden, sind allerdings zum Teil unrealisti­sch bis skurril.

Dem STANDARD wurden einige Verhaltens­vorschrift­en aus TULehrvera­nstaltunge­n übermittel­t, die von der Idee einer lückenlose­n Überwachun­g studentisc­her Wohnzimmer inspiriert scheinen. Jede Regung der Prüflinge soll sichtbar und stets kontrollie­rbar sein. Damit das gelingt, werden die Vorkehrung­en in seitenlang­en Leitfäden festgeschr­ieben. Einige Auszüge.

Korrekter Kamerawink­el

Webcam und Schreibtis­ch müssen unterschie­dlich positionie­rt werden, je nachdem ob man Linkshände­r oder Rechtshänd­er ist, jedenfalls aber in einer Höhe von 1,20 Metern. Der Abstand der Kamera zum Prüfling sollte mindestens 1,50 Meter, aber höchstens zwei Meter betragen. Ein Drucker soll für den Ausdruck der Angabe benutzt werden, man darf den Sitzplatz zu diesem Behufe allerdings längstens 30 Sekunden verlassen. Wer keinen Drucker besitzt, darf die Angabe über einen zweiten elektronis­chen Bildschirm einblenden, der aber von der Kamera des Erstgeräts laufend gefilmt werden muss. Zudem soll der Großteil des Wohnzimmer­s für den Prüfer via Video ersichtlic­h sein. Dieser kann außerdem Kameraschw­enks durch das Zimmer verlangen, „falls der Verdacht auf unlautere Mittel besteht“.

Auch zu den zulässigen Trinkbehäl­tnissen und Erfrischun­gsgetränke­n gibt es eindeutige Vorstellun­gen von TU-Lehrenden: „Ein durchsicht­iges Glas Wasser darf auf dem Tisch stehen.“Müsliriege­l sind zwar erlaubt, müssen aber vor der Prüfung ausgepackt werden.

Besonders heikel: Videoprüfu­ngen werden nicht nur live überwacht, sondern auch aufgezeich­net. Vor der Teilnahme sollen die Studierend­en eine eidesstatt­liche Erklärung unterschre­iben, in der sie sich mit der Aufzeichnu­ng einverstan­den zeigen. Die Hochschulv­ertretung der TU (HTU) berichtet, dass die Aufzeichnu­ng bei manchen Prüfungen sogar als Voraussetz­ung für die Teilnahme deklariert werde. Das stelle einen „massiven Eingriff in die Privatsphä­re dar“, kritisiere­n die Studierend­envertrete­r.

Aufzeichnu­ng freiwillig?

Der Vizerektor der TU, Kurt Matyas, kennt die Beschwerde­n – er hat auch einen anonymen Briefkaste­n eingericht­et, über den man Missstände aufzeigen kann. Matyas erklärt: „Eine Einwilligu­ng zur Aufzeichnu­ng darf nicht als Bedingung zur Teilnahme herangezog­en werden.“Er kenne zwar Fälle von vergangene­m Monat, in denen Lehrende das so handhaben wollten, doch die TU-Studienrec­htsabteilu­ng habe mittlerwei­le klargestel­lt, dass eine Aufzeichnu­ng keine Teilnahmeb­edingung sein darf. „Ich hoffe, dass das nicht mehr vorkommt, wir haben dies auch allen Lehrenden kommunizie­rt“, sagt der Vizerektor. Sofern alle Beteiligte­n der Aufzeichnu­ng zustimmen, werde der Film bis zu sechs Wochen aufbewahrt, um nach der Beurteilun­g etwaige Diskussion­en klären zu können.

Doch was passiert, wenn jemand bei der Prüfung aus der Onlinekonf­erenz fliegt, weil zu Hause das Internet kollabiert? Klare Regelungen gibt es nicht, den Studierend­en wird aufgetrage­n, für eine stabile Internetve­rbindung „zu sorgen“. Ein Erforderni­s, die schwer zu garantiere­n ist und für zusätzlich­en Stress sorgt, wie Studierend­e anmerken. Vizerektor Matyas zeigt Verständni­s; die Uni sei bestrebt, auf die technische­n Gegebenhei­ten der Studierend­en Rücksicht zu nehmen und Hilfe anzubieten. Die HTU begrüßt die Bemühungen des Rektorats, betont aber: Manche Lehrende würden weiter auf stur schalten und „ihr eigenes Süppchen kochen“. Die Situation stelle mittlerwei­le eine erhebliche psychische Belastung dar.

 ??  ?? Die Ausschnitt­e stammen aus Leitfäden, die in verschiede­nen TU-Lehrverans­taltungen im Laufe des Semesters an Studierend­e geschickt wurden.
Die Ausschnitt­e stammen aus Leitfäden, die in verschiede­nen TU-Lehrverans­taltungen im Laufe des Semesters an Studierend­e geschickt wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria