Der Standard

„Ich fühle mich von meinem Sohn weggesperr­t“

Karoline* (79), Baden

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Ich lebe allein in Österreich, mein einziger Sohn hat sein berufliche­s Glück im Ausland gefunden. Sein Vater ist schon gestorben, meine Eltern auch. Irgendwie bin ich hier übrig geblieben, das ist so in diesem Alter, auch die Freunde sterben langsam weg. Trotzdem kannte ich echte Einsamkeit bislang nicht. Doch diese Pandemie hat alles verändert.

Dass es jemals dazu kommen könnte, dass selbst den Kindern der Weg zu ihren Eltern versperrt ist, war für mich ganz und gar undenkbar. Doch an Weihnachte­n kamen die verschärft­en Einreisebe­stimmungen, die zehntägige Quarantäne, für alle, auch für Österreich­er im Ausland, für die engsten Angehörige­n, die Kinder. Zum ersten Mal im Leben war ich von meinem Sohn getrennt, richtiggeh­end weggesperr­t. Dieses Gefühl kann ich nicht beschreibe­n. Dass ich Weihnachte­n allein sein würde, war gar dabei nicht mal mein größtes Problem. Dass es kein Ablaufdatu­m gibt für diesen Zustand, das bereitet mir Schmerzen, jeden Tag.

Wenn einem tagtäglich seit einem Jahr die Angst vor schwerer Krankheit durch das Virus bis hin zum Tod eingehämme­rt wird, wenn sogar die Kinder und Kindeskind­er aufgerufen wurden, es läge jetzt an ihnen, ihre Eltern und Großeltern zu schützen, ja ihnen durch Verzicht auf Besuche sogar das Leben zu retten, dann mischt sich zu aller Bedrückung bei mir der blanke Zorn dazu. *Name wurde geändert

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