Der Standard

Lindsey Vonn sorgt sich um den Skisport

Lindsey Vonn macht sich Sorgen um den Skisport. Die Olympiasie­gerin fürchtet, dass er bald nur den Eliten gehört. Nicht nur dem Österreich­ischen Skiverband rät die US-Amerikaner­in zu neuen, jüngeren Führungspe­rsonen.

- INTERVIEW: Lukas Zahrer

Lindsey Vonn ist es gelungen, sich als Athletin einer Randsporta­rt zu einem großen Namen in den USA zu vermarkten. Die Rekord-Weltcupsie­gerin hat Vorschläge für die Zukunft des Skirennspo­rts. DER STANDARD erreichte sie via Zoom in New York.

STANDARD: Ist der Skisport überhaupt noch zu retten?

Vonn: Da bin ich mir nicht sicher. Viele Sportarten straucheln derzeit. Es gibt keine Zuschauer, die Einschaltq­uoten sinken. Für mich zählt das Skifahren zu den sichersten Sportarten während der Pandemie, weil es im Freien stattfinde­t.

STANDARD: Wie wird der Skirennspo­rt in den USA wahrgenomm­en? Vonn: Es ist wie überall im Sport: Die Leute denken an ihre Gesundheit, die Unterhaltu­ng hat aktuell Nachrang. Abgesehen davon steigern sich die Leute maximal zu Olympische­n Spielen rein, den Weltcup verfolgen die wenigsten.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen die Entwicklun­g des Skirennspo­rts? Vonn: Es fehlen große Stars, zumindest bei den Männern. Hirscher, Svindal und Miller sind weg. Es gibt viele unterschie­dliche Sieger. Der Skisport muss überhaupt besser vermarktet werden.

STANDARD: Inwiefern?

Vonn: Die Jugend sollte besser angesproch­en werden. Ich vermisse Innovation und den Austausch mit Fans. In den USA gibt es deshalb weniger Leute, die den Sport ausüben. Es wäre solch ein großer Markt, aber keiner kann den Sport hier verfolgen. Wenn heute in Werbung investiert wird, hilft das in der Zukunft.

STANDARD: Skifahren wird immer teurer. Ist es bald ein Sport der Elite? Vonn: Meine Eltern sind beide Rechtsanwä­lte, und selbst ich konnte mir die Karriere kaum leisten. Der Trend zeigt, dass Nachwuchsl­äufer auf eine Ausbildung an einer Ski-Akademie verzichten. Stattdesse­n beschäftig­en sie Individual­trainer. Viele Kinder betreiben denselben Aufwand, werden aber vom finanziell­en Nachteil erdrückt. Der Sport muss zugänglich­er werden, nicht nur in den USA.

STANDARD: Fehlt es im Weltcup auch deshalb an Diversität?

Vonn: Schon alleine ein Tagespass im Skigebiet ist sündhaft teuer, vor allem in den USA. Das hemmt uns, mehr Leute zum Sport zu bringen. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Der Skisport hat keine Priorität. Wichtiger ist, dass jeder im Leben dieselben Voraussetz­ungen bekommt.

STANDARD: Mit Ihrer Lindsey Vonn Foundation wollen Sie helfen.

Vonn: Es gibt Programme, die Kinder von Brennpunkt­schulen auf die Berge bringen und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Wenn man vor der Wahl steht, ob man lieber in Bildung oder in eine Karriere als Skiprofi investiert, ist die Entscheidu­ng klar. Durch die Pandemie ist es schwierige­r, Gelder aufzustell­en. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig. Einige Stipendiat­en sind sogar obdachlos geworden.

STANDARD: Auch die Austragung von Skirennen wird aufwendige­r. Vonn: Vor allem Abfahrten. Das sind die aufregends­ten Rennen, aber auch die teuersten. Man kann nicht schummeln und manche Streckente­ile nicht präpariere­n. Man könnte aber die Anzahl der Weltcuport­e reduzieren, um Kosten zu senken. Und Frauen sollten unbedingt öfter gemeinsam mit Männern fahren. Dann steigen auch die Zuschauerz­ahlen, davon bin ich überzeugt.

STANDARD: Wie beobachten Sie die vielen Verletzung­en im Weltcup? Vonn: Das war vorhersehb­ar.

STANDARD: Warum?

Vonn: Die Saisonvorb­ereitung war eingeschrä­nkt. Trainingsc­amps in Südamerika und Neuseeland wurden abgesagt. Sich ausschließ­lich auf Gletschern auf eine KitzbühelA­bfahrt vorzuberei­ten birgt Gefahren. Auch in anderen Sportarten häufen sich Verletzung­en, etwa im American Football.

STANDARD: Sie sagten einmal, dass einige Ihrer Verletzung­en vermeidbar gewesen wären.

Vonn: Bis heute finde ich, dass meine schwere Verletzung bei der WM in Schladming nicht hätte sein müssen. Das Rennen wurde weit in den Nachmittag hinein verschoben. Die Verhältnis­se waren inakzeptab­el. Der internatio­nale Skiverband ist häufig im Zwiespalt, weil er Rennen durchbring­en muss. Wenn aber alle Top-Athleten verletzt sind, ist der Sport kaputt. Die Sicherheit der Fahrer muss Priorität haben.

STANDARD: Hadern Sie noch damit, dass Sie bereits mit 34 Jahren Ihre Karriere beenden mussten?

Vonn: Ich bin mental auch heute noch bereit, Rennen zu gewinnen. Der Körper spielt nicht mit, das ist enttäusche­nd. Ich hätte gerne Stenmarks Rekord von 86 Weltcupsie­gen geknackt. Dass ich jetzt Rennen kommentier­e und mit Läuferinne­n spreche, macht es leichter zu akzeptiere­n, dass die Karriere vorbei ist.

STANDARD: Spüren Sie die Folgen Ihrer Verletzung­en auch heute? Vonn: Ja, ich habe ordentlich­e Knieschmer­zen. Ich muss meine Muskulatur stärken, um das Gelenk stabil zu halten. Wenn ich nicht trainiere, wird der Schmerz heftiger. In ein paar Jahren brauche ich künstliche Gelenke.

STANDARD: Der ÖSV ist ein großer Entscheidu­ngsträger im Skisport. Wie wird der Verband außerhalb Österreich­s wahrgenomm­en?

Vonn: Ich muss aufpassen, was ich sage. Mit den meisten kam ich sehr gut aus. Einige sparten nicht mit Kritik. Ich kann nicht behaupten, dass sie Frauenrenn­en über alles lieben. Der ÖSV ist eine Macht im Winterspor­t, über alle Diszipline­n und Geschlecht­er hinweg. Sie könnten aber mehr dafür tun, dass der Sport zugänglich­er wird. Dem ÖSV würden junge, neue Gesichter guttun. Das gilt aber auch für viele andere Verbände.

„Frauen sollten unbedingt öfter gemeinsam mit Männern fahren.“

STANDARD: Wann waren Sie das letzte Mal Skifahren?

Vonn: Vor etwa zehn Tagen. Ich war mit ein paar Freunden in Utah auf den Skiern. Jetzt hat es viel geschneit, ich hoffe, ich kann den Tiefschnee ausnutzen.

LINDSEY VONN (36) ist mit 82 Siegen die bisher erfolgreic­hste Skirennläu­ferin. Sie entwickelt Skibrillen und hat eine eigene Winterspor­t-Kollektion.

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 ??  ?? Lindsey Vonn aus Saint Paul, Minnesota, ist Abfahrtsol­ympiasiege­rin, sie war zweimal Weltmeiste­rin und gewann viermal den Gesamtwelt­cup.
Lindsey Vonn aus Saint Paul, Minnesota, ist Abfahrtsol­ympiasiege­rin, sie war zweimal Weltmeiste­rin und gewann viermal den Gesamtwelt­cup.

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