Der Standard

Vom Vollmond als Schlafkill­er

Ein Einfluss der Mondphasen auf die Nachtruhe wird seit langem kontrovers diskutiert. Forscher wollen nun Belege dafür gefunden haben, dass der Erdtrabant tatsächlic­h störend wirkt – selbst in hellen Städten.

- David Rennert

Es sei „zu allen Zeiten so gewesen und wird auch wohl künftighin so bleiben, dass gewisse widersinni­ge Dinge selbst bei Vernünftig­en Eingang finden, bloß darum, weil allgemein davon gesprochen wird“, schrieb Immanuel Kant 1766. Dazu zählte der deutsche Philosoph explizit den Glauben an „Einflüsse der Mondwechse­l auf Tiere und Pflanzen“.

Tatsächlic­h ranken sich um unseren Trabanten viele Mythen, die wissenscha­ftlichen Überprüfun­gen nicht standhalte­n: Weder macht es einen Unterschie­d, ob man bei Volloder Neumond den Friseur besucht, noch sollte man bei Gartenarbe­iten auf die Mondphase achten. Ganz ohne Wirkung auf Lebewesen ist der Mond aber nicht. So orientiere­n sich etwa viele Meerestier­e am Mondzyklus, auch nachtaktiv­e Vögel und Fledermäus­e richten ihr Jagdverhal­ten danach aus.

Identische­s Muster

Und was ist mit uns Menschen? Besonders ein Effekt wird dem Mond auch außerhalb esoterisch­er Kreise vielfach nachgesagt: Er beeinfluss­e den Schlaf negativ, vor allem rund um den Vollmond. Unter Wissenscha­ftern herrscht seit Jahrzehnte­n Uneinigkei­t darüber, ob dies tatsächlic­h der Fall sein könnte oder ob nicht eher psychologi­sche Phänomene wie die selektive WahrToba nehmung oder die selbsterfü­llende Prophezeiu­ng dahinterst­ecken.

Nun gibt es neuen Diskussion­sstoff. Forscher haben den Schlafzykl­us von hunderten Studientei­lnehmern in sehr unterschie­dlichen Lebenssitu­ationen untersucht und kommen im Fachblatt Science Advances zu dem Ergebnis: In den Nächten vor dem Vollmond blieben die Probanden länger wach und schliefen weniger – unabhängig davon, ob sie in Abgeschied­enheit auf dem Land oder in großen Städten lebten.

Für die Studie statteten die Wissenscha­fter um Horacio de la Iglesia und Leandro Casiraghi von der University of Washington in Seattle zunächst 98 Angehörige der indigenen

in Argentinie­n mit Schlaftrac­ker-Armbändern aus und zeichneten bis zu zwei Monate lang Daten auf. Ein Teil der Probanden lebt traditione­ll und ohne Zugang zu Elektrizit­ät. Eine zweite Gruppe lebt in Gemeinscha­ften mit begrenzter elektrisch­er Infrastruk­tur, während die übrigen Studientei­lnehmer in urbanen Räumen zu Hause sind.

Die Auswertung der Schlafdate­n bestätigte frühere Untersuchu­ngen, wonach Menschen in städtische­n Gebieten mit viel künstliche­m Licht nächtens aktiver sind und insgesamt weniger schlafen als abgeschied­ene Landbewohn­er. Der Vergleich machte allerdings auch ein gemeinsame­s Muster sichtbar: In den Nächten vor

Vollmonden schliefen die Probanden aus allen drei Gruppen am wenigsten.

Im nächsten Schritt nahmen die Forscher eine ganz andere Gruppe in den Blick. Sie durchforst­eten die Schlafdate­n von 464 Studenten aus Seattle, die für eine andere Studie aufgezeich­net worden waren. Abermals war das Mondphasen­muster klar erkennbar, wenn auch etwas abgeschwäc­ht: In den Nächten vor Vollmond gingen die Studenten später ins Bett und schliefen weniger.

Innere Uhr

Ein Zusammenha­ng mit dem Mondlicht drängt sich auf. In der zunehmende­n Phase ist der Erdtrabant schon am Abendhimme­l und in der ersten Nachthälft­e zu sehen, die Abende vor dem Vollmond sind also besonders gut ausgeleuch­tet. „Es könnte sich um eine angeborene Anpassung handeln, die es unseren Vorfahren ermöglicht­e, diese natürliche Abendlicht­quelle zum besten Zeitpunkt zu nutzen“, sagte Studieners­tautor Casiraghi.

Wie aber ließe sich die Wirkung auf Stadtbewoh­ner erklären, die von viel hellerem künstliche­m Licht umgeben sind und den Vollmond oft nicht einmal bemerken? Es könnte ein Zusammenha­ng mit dem circadiane­n Rhythmus – der „inneren Uhr“– bestehen, mutmaßen die Forscher und regen an, dies in künftigen Studien genauer zu untersuche­n. Psychologi­sche Effekte schließen sie weitgehend aus, die Probanden wussten nämlich nicht, was genau untersucht werden sollte.

Und was hätte Immanuel Kant dazu gesagt? Sein Name ist heute jedenfalls nicht nur durch seine Skepsis mit dem Erdtrabant­en verbunden: 1935 wurde ein Mondkrater nach ihm benannt.

 ??  ??
 ??  ?? Seit Jahrtausen­den ranken sich Mythen um den Mond und seinen Einfluss auf den Menschen. Viele davon lassen sich entkräften, doch die Wirkung auf den Schlaf ist ungeklärt. Foto: EPA/Singer
Seit Jahrtausen­den ranken sich Mythen um den Mond und seinen Einfluss auf den Menschen. Viele davon lassen sich entkräften, doch die Wirkung auf den Schlaf ist ungeklärt. Foto: EPA/Singer

Newspapers in German

Newspapers from Austria