Sturm auf das Rote Fort
Eine Kommission fordert von Frontex mehr Informationen zu Zwischenfällen. Ein erster Bericht entlastet die Grenzschützer zum Teil, doch es bleiben Unklarheiten. Laut Experten dürfen Menschen nicht abgedrängt werden.
Zehntausende Bauern stürmten auf Traktoren das historische Wahrzeichen Delhis. Sie protestierten gegen Indiens Agrarreformen.
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die seit Sommer immer mehr unter Druck gerät, ist nun von jeder Schuld im Zusammenhang mit der Zurückdrängung von Migranten an der Seegrenze von Griechenland und der Türkei freigesprochen worden – fürs Erste. Eine interne Kommission untersuchte 13 Fälle, in denen Frontex-Beamte an sogenannten Pushbacks von Menschen beteiligt gewesen sein sollen. In acht Fällen konnte laut einem jüngst veröffentlichten Zwischenbericht keine Beteiligung festgestellt werden, in fünf Fällen reichten die Informationen nicht aus.
Dabei vertraute man in den acht Fällen zum Teil Aussagen der griechischen Küstenwache, wonach Migranten freiwillig umgekehrt seien. Die Arbeitsgruppe appellierte an den Frontex-Chef Fabrice Leggeri, „sofort die fehlenden Informationen zur Verfügung zu stellen“. Ein finaler Bericht an den Frontex-Verwaltungsrat wird für Ende Februar erwartet.
Seit Monaten mehren sich die Berichte über Pushbacks, die von Frontex und der griechischen Küstenwache vorgenommen worden seien. In dem Zusammenhang wurden Ende 2020 auch Büros der Agentur von Mitarbeitern des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung Olaf durchsucht.
Video veröffentlicht
Zuletzt wurde ein knapp eineinhalb Minuten langes Video öffentlich, dass laut Zeitstempel am 24. Dezember aufgenommen worden war. Ein Schiff der griechischen Küstenwache fährt darauf neben einem Schlauchboot, das eine Rettungsinsel mit Menschen zieht und diese schlussendlich absetzt. Die türkische Küstenwache veröffentlichte das Video tags darauf mit der Information, dass es sich um Migranten handelt, die von griechischen in türkische Gewässer geschleppt worden waren.
Der NGO Aegean Boat Report zufolge soll die griechische Küstenwadie che 2020 insgesamt 300 Pushbacks durchgeführt haben. Es gibt auch Videos, auf denen Menschen zu sehen sind, die auf orangen Rettungsinseln sitzen. Sie sollen ebenfalls von der griechischen Küstenwache auf diese Rettungsinseln gebracht und in die türkischen Gewässer geschubst worden sein. Athen weist alle Vorwürfe zurück.
Aber es existiert eine E-Mail von Frontex, die dokumentiert, dass ein griechischer Beamter am 6. März 2020 die Order bekommen hat, ein Boot mit Migranten zurück in die türkischen Gewässer zu bringen.
Auch das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR berichtete am Donnerstag in einer Aussendung, dass es Erzählungen über Gewalt an den EU-Grenzen erhalte. „Die ‚Pushbacks‘ werden auf gewaltsame und offenbar systematische Weise durchgeführt. Boote mit Flüchtlingen werden zurückgeschleppt. Die Menschen werden nach der Anlandung zusammengetrieben und dann zurück aufs Meer gebracht“, so
stellvertretende UN-Flüchtlingskommissarin Gillian Triggs.
Daniel Thym, der an der Universität Konstanz am dortigen Forschungszentrum für Ausländer- und Asylrecht lehrt, verweist darauf, dass es bei der Frage der Pushbacks weniger um die Menschenrechte, sondern um das europäische Sekundärrecht, also die Harmonisierungsrichtlinien zum Asylrecht, geht. Denn die menschenrechtlichen Vorgaben seien nur Mindeststandards. Nach Artikel drei der Verfahrensrichtlinie könne man aber an der Grenze, und zwar auch im Hoheitsgewässer, einen Asylantrag stellen.
An Land bringen
„Wenn jemand also einen Asylantrag stellt oder deutlich macht, dies zu wollen, verstößt ein Pushback gegen europäisches Sekundärrecht, wenn die Person bereits die Hoheitsgewässer erreicht hat. Die Größe der Gruppe der Antragsteller ist hierbei irrelevant. Das gilt auch an der kroatischen Außengrenze, jedenfalls wenn man diese erreicht hat“, erklärt Thym dem STANDARD.
Die Seerechtsexpertin von der Universität Kiel, Nele Matz-Lück, präzisiert: Sobald sich ein Flüchtlingsboot unter „Kontrolle einer staatlichen Behörde befindet“, das gilt auch für Frontex, und die Menschen an Bord geltend machen, dass sie Flüchtlinge sind, „müssen sie an Land gebracht werden, weil ein Asylstatus auf See nicht festgestellt werden kann.“Prinzipiell könnten und müssten die Beamten der Küstenwache natürlich die Grenzen schützen und reagieren, wenn sie vermuten, dass gegen Einreisebestimmungen verstoßen wird, so Matz-Lück; auch außerhalb der zwölf Seemeilen ihres Küstenmeeres. Doch dürfe man Schiffe nicht irgendwohin schleppen.
Auf hoher See, also jenseits der Hoheitsgewässer, gelten nur Menschenrechte. Trotzdem gibt es die Rettungspflicht. „Die griechischen Behörden müssen also Menschen in Seenot retten“, so Thym.