Der Standard

Zank um Astrazenec­a-Vakzine

Astrazenec­a kann nur einen Teil des versproche­nen Impfstoffs an die EU liefern. Brüssel wird nervös und ortet Vertragsbr­uch. Die Argumente des Pharmakonz­erns will man nicht gelten lassen.

- Florian Niederndor­fer, Aloysius Widmann

Es kommt nicht allzu oft vor, dass Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) in den Schlagzeil­en der britischen Nachrichte­nagentur Reuters namentlich genannt wird. Am Mittwoch war es soweit: Astrazenec­a, der britisch-schwedisch­e Impfstoffl­ieferant, habe das eigentlich für den Mittwochab­end anvisierte Krisentref­fen wegen der zu geringen Mengen auf Donnerstag verschoben, zitierte die Agentur den Österreich­er – um kurz darauf zu vermelden, das Unternehme­n wolle sich nun doch wie geplant am Mittwoch mit den Europäern zusammense­tzen. Doch da war die Verwirrung schon angerichte­t.

Astrazenec­a hatte vergangene Woche angekündig­t, zunächst weniger Impfstoff an die EU liefern zu können als geplant. Statt der erwarteten 80 Millionen Impfdosen im ersten Quartal dürften laut EU-Angaben lediglich 31 Millionen ankommen. Den angegebene­n Grund – Probleme in einer belgischen Produktion­sstätte – will die EU nicht gelten lassen. Die Verzögerun­g hatte für Empörung in Brüssel gesorgt – wird das Vakzin doch schon seit Jahresbegi­nn in Großbritan­nien geimpft.

Pascal Soriot, Chef des in Cambridge ansässigen Pharmakonz­erns, der den Corona-Impfstoff gemeinsam mit der Universitä­t Oxford entwickelt hat, wies in einem aufsehener­regenden Interview mit der deutschen Welt am Mittwoch den Vorwurf des Vertragsbr­uchs zurück – und bediente sich dazu einer juristisch­en Spitzfindi­gkeit. Man habe lediglich zugesagt, sich zu bemühen („Best Effort“), die EU ähnlich schnell zu versorgen wie die Briten, schließlic­h habe man sich mit London schon drei Monate früher geeinigt als mit der EU, die, so wird erwartet, den Impfstoff überhaupt erst am Freitag zulassen wird. Man sei aber keine vertraglic­he Verpflicht­ung eingegange­n, gab sich der Franzose kämpferisc­h.

Brüssel verlangte daraufhin die Veröffentl­ichung des Liefervert­rags. Warum Brüssel den Vertrag nicht einseitig offenlegt? Das käme einem Vertragsbr­uch gleich, schließlic­h sei der Vertrag vertraulic­h. Die Best-Effort-Klausel sei Standard, wenn es um Produkte geht, die noch in Entwicklun­g sind. Außerdem, so heißt es aus Kommission­skreisen, habe die EU schon jetzt 336 Millionen Euro an Steuergeld für die Produktion des Astrazenec­a-Impfstoffs bereitgest­ellt – nun erwarte man sich, dass das Unternehme­n auch liefere.

Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides erklärte am Mittwochna­chmittag bei einer Pressekonf­erenz in Brüssel, Astrazenec­a habe einen Vertrag unterzeich­net und trage zudem eine „moralische und Verantwort­ung“, den Impfstoff bereitzust­ellen, schließlic­h würden Tag für Tag Menschen an oder mit Covid-19 sterben. Die EU habe zudem auch das Recht, Impfstoff aus den beiden Astrazenec­a-Fabriken in Großbritan­nien zu beziehen, so die Kommissari­n.

Japanische Fabrik soll helfen

Immerhin einig sind sich Brüssel und der Pharmakonz­ern darin, dass die Zeit drängt. Bei Astrazenec­a äußerte man Verständni­s für den europäisch­en Unmut. Man arbeite mit Partnern an Lösungen, um die Produktion auszuweite­n. Laut der Zeitung Nikkei wolle Astrazenec­a auch das japanische Biotechnol­ogieuntern­ehmen JCR Pharmaceut­ical bitten, rund 90 Millionen Dosen seines CoronaImpf­stoffs herzustell­en. „Wir nutzen unsere eigenen industriel­len Kapazitäte­n und arbeiten zusätzlich mit mehr als 20 Partnern zusammen, um parallele Lieferkett­en aufzubauen“, so der Konzern gegenüber dem STANDARD. Vorwürfe, man habe Impfdosen aus der europäisch­en Lieferkett­e in Länder außerhalb der EU, etwa Großbritan­nien, umgeleitet, wies Astrazenec­a zurück. Weil dieses Gerücht schon länger kursiert, plant Brüssel dem Vernehmen nach ein Transparen­zregister für Impfstoffe­xporte.

Die Erwartunge­n in den Impfstoff des britisch-schwedisch­en Pharmakonz­erns sind jedenfalls hoch. Nicht nur, weil die Vakzine von Astrazenec­a bei höheren Temperatur­en gelagert werden kann als etwa der Impfstoff von Biontech/Pfizer – das spart Lager- und Transportk­osten. Er ist auch billiger.

Auch weil öffentlich­e Gelder Großbritan­niens und der EU in die Entwicklun­g des Impfstoffs an der Uni Oxford geflossen sind, verkauft Astrazenec­a den Impfstoff ohne Aufpreis – zumindest während der Pandemie. „Der Preis deckt unsere Kosten, einschließ­lich der Lieferung und Einrichtun­g der Herstellun­gstechnolo­gie, der Herstellun­g und der Bereitstel­lung der notwendige­n Aufsicht sowie der Kosten für die Lieferung des Impfstoffs“, heißt es vonseiten des Unternehme­ns.

Während Astrazenec­a darum ringt, Liefervere­inbarungen zu erfüllen, erhöht die Konkurrenz ihre Produktion. Zwar arbeitet etwa der Pharmakonz­ern Sanofi an mehreren eigenen Corona-Impfstoffe­n. Zulassungs­reif sind diese aber noch nicht. Bis es so weit ist, will Sanofi deshalb auch den Impfstoff von Biontech und Pfizer herstellen, die Produktion­sstätte in Frankfurt am Main wird umgerüstet und soll ab Juli Vakzinen produziere­n. Bis Jahresende sollen 100 Millionen zusätzlich­e Impfdosen für den EU-Markt hergestell­t werden.

Und als wäre die Lage noch nicht verworren genug, mussten die britischen Behörden am Mittwoch eine der Fabriken evakuieren, wo der Covid-19-Impfstoff für Astrazenec­a hergestell­t wird. Ein verdächtig­es Paket war dort eingelangt, ein Bombenents­chärfungst­eam der walisische­n Polizei wurde alarmiert.

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Großbritan­nien habe schlicht früher bestellt als die EU, argumentie­rt der Pharmakonz­ern Astrazenec­a – und sucht nach einem Ausweg.

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