Der Standard

Der Balkan ist auch beim Impfen benachteil­igt

Die Nicht-EU-Staaten verließen sich auf das WHO-System Covax und fühlen sich nun ausgebrems­t

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Adelheid Wölfl

Belgrad/Tirana – Nach Albanien wurden bisher nur zehntausen­d Pfizer-Impfdosen geliefert. Premier Edi Rama setzte sich trotzdem in Szene, indem er den Oberkörper freimachte und sein Brusthaar zur Schau stellte, als ihm die Spritze im Stadion von Tirana vor laufenden Kameras verabreich­t wurde. Er kritisiert­e die EU als „moralisch inakzeptab­el“, weil sie bei den Impfungen nur an sich denke.

Abgesehen von den EU-Mitglieder­n Rumänien, Bulgarien, Griechenla­nd und Kroatien, die den Vorteil haben, dass sie auf die Bestellung­en der EU-Kommission zurückgrei­fen können, versuchten die südosteuro­päischen Staaten über das System Covax an die Impfstoffe zu kommen.

Covax, ein Impfstoffb­eschaffung­sprogramm der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) soll eine faire und zeitnahe Verfügbark­eit von Covid-19-Impfstoffe­n gewährleis­ten, unabhängig von der Kaufkraft der Länder. Doch tatsächlic­h sind die Südosteuro­päer, die sich darauf verließen, nun ins Hintertref­fen geraten. Im Kosovo und in Montenegro gibt es noch nicht einmal ein Show-Impfen – vor März wird wohl nicht geliefert werden können. Dabei gab es gerade in diesen beiden Staaten viele Ansteckung­en und Covid-19-Tote. Im Kosovo fehlt es zudem an ausgebilde­ten medizinisc­hen Kräften, um die Impfungen überhaupt zu verabreich­en. Sie werden zurzeit auch mit der Hilfe der WHO trainiert. In Bosnien-Herzegowin­a rechnet man Ende Februar mit einer ersten kleinen Lieferung.

Reiserestr­iktionen

Die Reiserestr­iktionen für die Westbalkan­Staaten werden wohl auch deshalb länger erhalten und Verwandten­besuche schwierig bleiben. Dabei sollten die EU-Staaten aufgrund der engen Verbindung­en – etwa der hunderttau­senden Gastarbeit­er – ein Interesse daran haben, dass die Ansteckung­sgefahr auch in der Region schnell gedämpft wird.

Der bosnische Ministerpr­äsident Zoran Tegeltija kündigte nun an, dass Bosnien-Herzegowin­a wegen der Probleme mit Covax und der EU parallel mit den Pharmakonz­ernen verhandeln werde, etwa mit Russland, um an den Sputnik-V-Impfstoff zu kommen. Serbien und Nordmazedo­nien haben das längst getan. In Belgrad verlässt man sich vor allem auf den chinesisch­en Impfstoff Sinopharm, von dem bereits eine Millionen Dosen geliefert wurden. Dieser wird nun auch in Montenegro und in Nordmazedo­nien zur Anwendung kommen. Die Impfpoliti­k auf dem Balkan zeigt einmal mehr, dass der geopolitis­che Einfluss von Russland und China genau dann maßgeblich steigt, wenn der Westen zögerlich agiert.

In Serbien ist die Wahl des Impfstoffs sogar zu einer Art ideologisc­hem Bekenntnis geworden. Als Erste ließ sich die serbische Premiermin­isterin Ana Brnabić, die in den USA studiert hat, eine Dosis von Pfizer-Biontech in den Oberarm spritzen. Der prorussisc­he Parlaments­präsident Ivica Dačić und Innenminis­ter Aleksandar Vulin zogen die Sputnik-VImmunisie­rung vor. „Ich wollte einen russischen Impfstoff bekommen, weil ich an die russische Medizin glaube“, sagte Vulin.

Auf der Regierungs­webpage namens „Immunisier­ung“kann man bei der Impfanmeld­ung ankreuzen, ob man den amerikanis­chen, den russischen, den chinesisch­en oder den europäisch­en Impfstoff will. Aber auch das ist nur Show. Denn an den einfachen Bürger wird natürlich das verimpft, was zur Verfügung steht, also Sputnik V oder Sinopharm.

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