Verfassungsschützer soll Staatsgeheimnisse verkauft haben
Die Causa Wirecard führte Ermittler in den Verfassungsschutz. Dort fanden sie Hinweise auf großflächigen Geheimnisverrat
Wien – Plötzlich ging es Schlag auf Schlag: In den Ermittlungen rund um die Flucht des ehemaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek konnten die zuständige Sonderkommission (Soko) und die Staatsanwaltschaft Wien in den vergangenen Tagen mehrere Erfolge feiern. Weniger Arbeit bedeutet der Durchbruch in den Ermittlungen allerdings nicht; im Gegenteil: Denn nun steht der Verdacht im Raum, dass mehrere Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Staatsgeheimnisse zu Geld gemacht haben.
Schon länger vermutet die Soko Fama, benannt nach dem lateinischen Wort für „Gerücht“, dass M. W., einst Abteilungsleiter im BVT, enge Beziehungen zum früheren Wirecard-Vorstand Marsalek hat. Die beiden sollen angeblich gemeinsam Geschäfte betrieben haben, auch im Nahen
Osten. Nun haben die Ermittler rekonstruiert, dass der Ex-Abteilungsleiter die Flucht von Marsalek orchestriert hat. Im Juni 2020, als gerade Bilanzfälschung in Milliardenhöhe bei Wirecard ruchbar wurde, traf sich W. mit Marsalek in München. Am nächsten Tag reiste Letzterer über Bad Vöslau nach Minsk aus.
Festnahme auf Festnahme
Um die Details des Fluges kümmerte sich der einstige Nationalratsabgeordnete Thomas Schellenbacher (FPÖ). Er war der Erste, der in dieser Causa festgenommen wurde – Untersuchungshaft beantragte dann gleich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in einer anderen Angelegenheit. Schellenbacher belastete M. W., der dann am Wochenende festgenommen wurde. W. soll ein umfassendes Geständnis
abgelegt und einen weiteren Ex-Verfassungsschützer namens E. O. belastet haben. Am Sonntag kam W. wieder auf freien Fuß, dafür wurde O. festgenommen. Über ihn wurde nun Untersuchungshaft verhängt.
O. arbeitet im Innenministerium. Sein dortiges Büro wurde durchsucht, wie zuerst Die Presse berichtet hat. In der Durchsuchungsanordnung werden ihm schwere Vorwürfe gemacht: O. soll ab 2015 Staatsgeheimnisse an fremde Mächte verraten haben. Außerdem soll er Infos an „politische Kreise“verkauft haben – es gilt die Unschuldsvermutung. 25-mal fragte O. laut Akten Daten für W. ab, dafür erhielt er mehrere Tausend Euro. Offenbar liefen schon länger Überwachungsmaßnahmen gegen O.; er hatte in einem Telefongespräch Sorge gehabt, „gesucht zu werden“.
Der langjährige Polizist spielte auch schon in der BVT-Affäre eine Rolle. Damals wurde er von einem Kabinettsmitarbeiter von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) als Zeuge gegen andere Verfassungsschützer an die WKStA weitervermittelt. In seiner Einvernahme gab O. an, seit 1982 bei der Polizei zu arbeiten.
Ein BVT-Insider
Ab 2001 verbrachte er Zeit in Italien, danach in der Türkei. Dort gab es Wickel mit Red Bull rund um einen Streit mit deren türkischem Geschäftspartner. Auch O. involvierte sich in die Sache, er wurde abberufen und kehrte nach Wien zurück. Anschließend landete er wieder im BVT, wo er sich um islamistische Terrorbedrohungen kümmerte. Von 2015 bis 2017 war er im Referat für „Verdeckte Ermittler“, danach folgte eine Suspendierung. Als diese aufgehoben wurde, kam O. ins Innenministerium.
Es handelt sich bei O. also um einen Insider; das Referat für Verdeckte Ermittler gilt als besonders schützenswert. Im Raum steht, dass O. Infos nach Russland verkauft hat – für das ohnehin gebeutelte BVT ist das eine weitere Katastrophe. O. stand immer wieder im Fokus: Schon 1998 warf ihm der damalige Kärntner Landeshauptmann und FPÖ-Chef Jörg Haider vor, Daten zu Innenminister Caspar Einem (SPÖ) vertuscht zu haben. O. klagte Haider, man verglich sich.
O.s Vorgesetzter war damals, Ende der 1990er-Jahre, ein gewisser H. B. – auch gegen ihn laufen Ermittlungen. Er soll einer Ex-StasiAgentin Daten aus dem BVT verkauft haben, unter anderem für deren Recherchetätigkeiten für die Novomatic oder die OMV. (fsc)