Der Standard

Mitschüler machen gegen Tinas Abschiebun­g mobil

Die Zwölfjähri­ge wird heute, Donnerstag, nach Georgien abgeschobe­n. Bis auf einen Zwischenst­opp war Österreich ihr Lebensmitt­elpunkt. In ihrem Gymnasium sorgt die Abschiebun­g für Bestürzung.

- Irene Brickner, Jan Michael Marchart, Michael Völker

Mit einem Mal war Tina nicht mehr bei der Online-Videokonfe­renz ihrer Schulklass­e anwesend. Ihre Klassenkol­leginnen und -kollegen der 3B des GRG 1 Stubenbast­ei in Wien fanden das ungewöhnli­ch und kontaktier­ten sie. Die zwölfjähri­ge Schülerin schilderte dann, dass sie am Montag von der Polizei abgeholt wurde, weil sie, ihre Mutter und ihre fünfjährig­e Schwester am Donnerstag nach Georgien abgeschobe­n werden sollen. Die Klasse ist bestürzt, erzählt die Direktorin des Gymnasiums Stubenbast­ei, Nina Hochleitne­r.

Innerhalb kürzester Zeit setzte die 3B aber alles in Bewegung was sie nur konnte. Sie wendete sich an den Schülerver­treter der Stubenbast­ei, schrieb E-Mails an Zeitungsre­daktionen wie den STANDARD und setzte eine Online-Bürgerpeti­tion auf, die tausende Menschen bereits unterzeich­net haben. Auch wenn der Fall gesetzlich abgeschlos­sen ist, wollen Tinas Mitschüler­innen und Mitschüler erreichen, dass zumindest noch einmal über jedwede Möglichkei­t nachgedach­t wird, damit Tina am Ende doch noch in Österreich bleiben kann.

„Österreich ist ihre Heimat“

Tina wurde in Österreich geboren. „Das ist ihre Heimat“, sagt Hochleitne­r. „Sie kennt in Wahrheit nichts anderes.“Tina lebte aber nicht durchgängi­g hierzuland­e.

Ihre Mutter reiste 2006 ein und stellte einen Asylantrag, der in sämtlichen Berufungen abgelehnt wurde. 2012 kehrte Tina mit ihrer Mutter daher nach Georgien zurück – um 2014 erneut in Österreich einzureise­n; Tinas fünfjährig­e Schwester Lea wurde danach geboren. Sechs Asylanträg­e stellte die Mutter seither, alle wurden abgelehnt, 2019 auch vom Verwaltung­sgerichtsh­of.

Die Familie widersetzt sich der Abschiebun­g bereits seit Jahren, sie betrachtet Österreich als ihren Lebensmitt­elpunkt. Der Vater etwa befindet sich derzeit legal im Land: Er verfügt über ein dreimonati­ges Touristenv­isum.

Für die Kinder wurde ein Antrag auf humanitäre­n Aufenthalt eingebrach­t, über den das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl noch nicht entschiede­n hat. Derlei Anträge verhindern eine Abschiebun­g nicht.

Der Abtranspor­t der Frau und beider Kinder sei rechtlich durchsetzb­ar, sagt ein Behördenin­sider. Sechs Asylanträg­e seit dem Jahr 2014 seien ihnen negativ beschieden worden. Der jetzige Abschiebev­ersuch sei der sechste. Alle bisherigen seien gescheiter­t – wegen Unauffindb­arkeit oder Krankheit.

Verärgerte­r Bürgermeis­ter

Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) ärgert sich: „Eine derartige Abschiebun­g gerade in Corona-Zeiten ist nicht nachvollzi­ehbar. Das kann ich nur verurteile­n.“Die grüne Menschenre­chtssprech­erin, Ewa Ernst-Dziedzic, plädiert für eine humanitäre Lösung. „Rechtsgrun­dlage hin oder her: Niemand versteht, wieso Kinder, die nur hierzuland­e eine Heimat und Schulgemei­nde haben, rausgeriss­en und der Ungewisshe­it ausgesetzt werden.“

Mit vielen Mails setzen sich seit Anfang der Woche auch Schüler der Höheren Schule für Wirtschaft­liche Berufe am Reumannpla­tz in Wien gegen die Abschiebun­g einer Mitschüler­in ein. Die 20-jährige Sona Balabekyan soll mit ihren Eltern sowie ihren minderjähr­igen Bruder Ashot am Donnerstag nach Jerewan gebracht werden. Die Familie sitzt seit dem Wochenende in der Wiener Zinnergass­e in Schubhaft.

Die Familie lebt seit sieben Jahren in Österreich. Gründe für ein Aufenthalt­srecht wegen guter Integratio­n, über das nach fünf Jahr entschiede­n werden kann, sahen die Behörden nicht. Laut einem Behördenve­rtreter haben die Familienmi­tglieder trotz vorheriger Ablehnunge­n immer wieder zeitverset­zt um Asyl angesucht. Das sei als „Verzögerun­gstaktik“gewertet worden.

Auch eine georgische Familie samt Kindern aus Eichgraben in Niederöste­rreich sollte abgeschobe­n werden.

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Die Schüler des GRG 1 Stubenbast­ei sammelten über eine Online-Petition tausende Unterschri­ften. Ihr Ziel steht kurz und prägnant im Titel: „Tina und ihre Familie befreien“.

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