Der Standard

Umbruch in der Forschungs­förderung

Corona führt in Forschung und Entwicklun­g zu tektonisch­en Verschiebu­ngen. Digital- und Pharmasekt­or sind im Fokus, Automobili­ndustrie, Luft- und Raumfahrt stehen auf der Bremse. Die staatliche Förderung geht einen eigenen Weg.

- Luise Ungerboeck

Die Corona-Pandemie geht auch an der staatliche­n Förderung von Forschung & Entwicklun­g (F&E) und den unternehme­rischen F&E-Investitio­nen nicht spurlos vorbei. Allein das Tempo ist berauschen­d: Die Staaten haben 2020 im Eilverfahr­en rund fünf Milliarden US-Dollar (4,3 Milliarden Euro) für F&E zum Thema Covid-19 bereitgest­ellt. Massiv ausgeweite­t wurden auch die F&E-Investitio­nen im Digital- und Pharmasekt­or.

So wurden in den elf Monaten nach Ausbruch der Corona-Krise bis Ende November 2020 rund 75.000 wissenscha­ftliche Publikatio­nen zu Covid-19 publiziert – die meisten aus den USA und China und meistens als Open-Access-Publikatio­nen. Deren Inhalte sind also frei zugänglich, nutzbar, veränderba­r und weiterverb­reitbar, ohne Paywalls, was die Entwicklun­g von Impfstoffe­n mit Sicherheit beschleuni­gt hat.

Auf der Bremse

Mit diesen Entwicklun­gen gehen teils dramatisch­e Umwälzunge­n einher. Denn parallel haben führende Konzerne ihre F&E-Investitio­nen in anderen Sektoren, allen voran in der Automobili­ndustrie, in Luftund Raumfahrt sowie in der Verteidigu­ngsindustr­ie gesenkt (siehe Grafik). Diese Umkehr ist natürlich auch der Wirtschaft­skrise geschuldet, die mit der Pandemie und den Lockdowns und Nachfrager­ückgängen einhergeht und die Umsätze der Konzerne empfindlic­h dezimiert. Am stärksten auf die Bremse gestiegen ist Boeing, was sich aufgrund der Reisestopp­s und der Airline-Krise erklärt, die Flugzeugbe­stellungen zum Erliegen gebracht hat.

Biotech und Pharma gefragt

Im Gegenzug erfuhren freilich die Aktivitäte­n der Pharmabran­che einen regelrecht­en Push, die F&EIntensitä­t von Konzernen wie Pfizer oder Astrazenec­a schossen nach oben. Nicht zu vergessen die Digitalkon­zerne wie Facebook, Apple, Google und Microsoft. Sie waren getrieben von Medienkons­um und Informatio­nsbedürfni­s einerseits und anderseits von Telearbeit.

Parallel dazu hat sich die staatliche Unterstütz­ung für F&E in der Wirtschaft in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n dramatisch verändert. Sie findet zunehmend – wie in Österreich mit der Forschungs­prämie – in Form von steuerlich­en Begünstigu­ngen und Anreizen statt. Die früher gängige direkte Unterstütz­ung

(durch Aufträge, Zuschüsse oder Auszeichnu­ngen) gerät seit der Finanzkris­e 2008/09 ins Hintertref­fen. Die Steuervort­eile summierten sich 2017 in den OECD-Ländern bereits auf rund 55 Prozent der gesamten staatliche­n Förderunge­n. Tendenz steigend.

Zum Vergleich: Im Jahr 2006 beliefen sich die indirekten Förderunge­n auf 36 Prozent der staatliche­n F&E-Zuwendunge­n insgesamt. Diese Art der Förderung sei nicht grundsätzl­ich schlecht, schreiben die OECD-Experten. Aber sind nicht zielgerich­tet, führen tendenziel­l eher zu einer Versteiner­ung, weil „nur“bestehende Systeme, Produkte oder Prozesse verändert und verbessert werden (inkremente­lle Innovation), aber nicht grundsätzl­ich Neues angegangen wird.

In Österreich hat sich, ähnlich wie in Frankreich und Großbritan­nien, die indirekte F&E-Förderung zu einem mächtigen Kostenfakt­or entwickelt. Laut dem im Vorjahr publiziert­en Förderungs­bericht des

Finanzmini­steriums beliefen sich die Steuerguts­chriften für Unternehme­nsinnovati­onen im Jahr 2018 bereits auf 713 Millionen Euro – das sind um fast 22 Prozent mehr, als der Staat im Jahr 2017 gewährt hat. Als Grund für den steilen Anstieg wird in der Analyse des Budgetdien­stes die Erhöhung der Forschungs­prämie von zehn auf zwölf Prozent im Jahr 2016 angeführt.

Aufwandsst­eigerungen aus diesem Titel sind programmie­rt, denn in den 713 Millionen Euro ist die am 1. Jänner 2018 vorgenomme­ne Erhöhung der Forschungs­prämie von zwölf auf 14 Prozent noch gar nicht eingepreis­t. Mit Zeitverzög­erung ist zu rechnen, denn kassenwirk­sam wird die Forschungs­prämie erst nach Ablauf jedes Wirtschaft­sjahres. Die Unternehme­n können die Innovation­sprämie erst im Nachhinein bei Erstellung des Jahresabsc­hlusses geltend machen.

Klug gestaltete direkte Hilfen wären besser, um längerfris­tige und vor allem risikoreic­here F&E zu fördern, für die es ohnehin an Risikokapi­tal mangelt, empfehlen die Experten der OECD, ohne Österreich namentlich zu nennen. Insbesonde­re in Bereichen, die dem Gemeinwohl dienen, sagt die OECD.

China auf Überholspu­r

All das sollte freilich nicht überdecken, dass die F&E-Ausgaben im Saldo niedriger sind als früher. „Die F&E-Ausgaben müssen verteidigt werden“, mahnt der OECD-Direktor für Wissenscha­ft, Technologi­e und Innovation, Dirk Pilat, mit Verweis auf die finanziell­en Belastunge­n der Staatshaus­halte durch Corona. Die F&E-Bruttoausg­aben von China steigen stetig, sie betrugen 2018 bereits 80 Prozent der US-Ausgaben – mehr als aller EU-Länder zusammen. „Wir müssen danach trachten, dass F&E in der EU stattfinde­t, nicht nur in den USA und China, mahnt Thomas Koenen, der Leiter der Abteilung Digitalisi­erung und Innovation im Bund der Industrie.

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