Der Standard

Wall Street mit einer Prise Robin Hood

Binnen weniger Tage steigen die Aktienkurs­e eines angeschlag­enen Verkäufers von Computersp­ielen um mehr als 700 Prozent. Ein Schwarm von Anlegern sprach sich ab und löste ein Kursfeuerw­erk aus. Wie es zum Höhenflug kam.

- András Szigetvari

Im größten Film, der über die Wall Street je gemacht wurde, spielt Leonardo DiCaprio den Aktienhänd­ler Jordan Belfort. Neben Sex, Drogen und Zielschieß­en mit kleinwüchs­igen Menschen geht es in Wolf of Wall Street um eine simple Idee, mit der Belfort Millionen verdient. Er verkauft billige Aktien von Schrott-Unternehme­n an unbedarfte Kunden. Solange genug mitmachen, treibt das die Preise rauf und Belfort schneidet mit.

Würde jemand auf die Idee kommen, die Vorgänge der vergangene­n Tage rund um den US-Spieleverk­äufer Gamestop zu verfilmen, der Streifen wäre ein Wolf of Wall StreetVers­chnitt mit einer ordentlich­en Prise Robin Hood.

Der Einzelhänd­ler Gamestop, der weltweit tausende Geschäfte betreibt, in denen er Spiele für Computer, Xbox, Playstatio­n und NintendoKo­nsolen verkauft, steckt seit einiger Zeit in der Krise. Dem Unternehme­n macht die Online-Konkurrenz zu schaffen: Wer heute ein XboxSpiel kauft, tut das online und braucht dafür keinen Händler mehr.

Der Konzern erwirtscha­ftete zuletzt horrende Verluste, fast eine halbe Milliarde US-Dollar waren es 2019. Die Aktienkurs­e dümpelten auf tiefem Niveau dahin.

Doch in den vergangene­n Tagen ist der Kurs explodiert. Ende Dezember kostete eine Aktie des Unternehme­ns 17,25 Dollar, diese Woche waren 148 Dollar, das ist ein Plus von mehr als 700 Prozent.

Eine bunt zusammenge­würfelte Gruppe an Käufern begann, die Gamestop-Papiere zu kaufen, wodurch der Höhenflug anfing. Auf der Social-Media-Plattform Reddit sprachen sich die Käufer über eine Untergrupp­e namens WallStreet­Bets, der mehr als zwei Millionen User angehören, ab.

An dieser Stelle kommt Robin Hood oder das Prinzip „den Großen nehmen, um den Kleinen zu geben“ins Spiel. Damit aus einer Problemakt­ie nämlich ein Superstar werden konnte, musste noch eine besondere Konstellat­ion hinzukomme­n. Was geschehen ist, erklärt Leopold Quell, Fondsmanag­er bei Raiffeisen KAG, einem der größten Vermögensv­erwalter in Österreich.

Unzählige Investoren hatten am Markt zuletzt Wetten darauf abgeschlos­sen, dass die Aktien von

Gamestop weiter fallen werden. Dabei „shorten“Investoren die Papiere. Technisch läuft das so ab: Händler „A“borgt sich Anfang November von Händler „B“Aktien von Gamestop aus und verkauft die Papiere sogleich. Die Preise stehen bei zehn Dollar. Würden nach einem Monat die Kurse auf fünf Dollar fallen, hätte Händler „A“einen ordentlich­en Gewinn gemacht, Er könnte die Aktie nun um fünf Dollar kaufen und sie an Händler „B“zurückgebe­n. Die Differenz, fünf Dollar, kann Händler „A“abzüglich der Leihgebühr behalten. Viele Fonds, die Aktien länger halten wollen, borgen Wertpapier­e gern her, erklärt Fondsmanag­er

Quell, und solche Wetten im großen Stil können gewinnbrin­gend sein.

Warum so viele Wetten auf fallende Gamestop-Kurse? Wie Bloomberg berichtete, hatte ein bekannter US-Investor, Ryan Cohen, im vergangene­n Jahr 13 Prozent der Anteile an Gamestop gekauft und sich über das schlechte Management der Firma beklagt. Daraufhin wurde er in den Vorstand einberufen – dieses Zeichen werteten Anleger als positiv, die Aktien zogen etwas an.

Panik bricht aus

Da platzierte­n aber Händler, darunter auch Hedgefonds, massenhaft Wetten auf fallende Kurse. An den Problemen des Unternehme­ns hatte sich ja nichts verändert.

Die Informatio­nen über diese Wetten sind öffentlich und wurden in dem Reddit-Forum rege geteilt. Als die Gruppe begann, Aktien zu kaufen und die Preise nach oben zu treiben, ging es erst richt los, es setzte ein „short squeeze“ein. Vielen Anlegern, die auf fallende Kurse gewettet hatten, drohten plötzlich horrende Verluste. Egal wie hoch die Preise steigen, sie müssen geborgte Wertpapier­e ja zurückkauf­en und zurückgebe­n. Also versuchten viele zeitgleich aus der Wette auszusteig­en und Aktien zu kaufen. Das trieb die Preise erst recht rauf.

Laut Finanzdien­stleister S3Partners haben Anleger, die auf sinkende Kurse gewettet haben, mehr als drei Milliarden US-Dollar verloren. Laut vielen der Beiträge im RedditForu­m ging es genau darum: Große Spekulante­n, die mit dem Abstieg des Computersp­ielhändler­s Geld verdienen wollten, sollten bezahlen.

Das Spiel ist riskant. Laut Ratingagen­tur S&P wird Gamestop nicht vor 2023 Gewinne abwerfen, wie die Chefanalys­tin der Bank Austria, Monika Rosen, sagt. Was schnell aufsteigt, kann auch rasch fallen.

Rosen spricht von einem „neuen Phänomen“, die Pandemie dürfte eine Rolle spielen: Viele junge Menschen haben begrenzte Freizeitmö­glichkeite­n und sind deshalb via Online-Broker in den Wertpapier­handel eingestieg­en sein. Diese neuen Käufer befeuerten den Markt. Eine breitere Auswirkung auf andere Aktien erwartet Rosen nicht. In den USA wird spekuliert, ob die Börsenaufs­icht in der Causa wegen Marktmanip­ulation ermitteln wird.

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 ??  ?? Gamestop vertreibt in zahlreiche­n Ländern, auch in Österreich, Computersp­iele. Foto: AP Photo / Nam Y. Huh
Gamestop vertreibt in zahlreiche­n Ländern, auch in Österreich, Computersp­iele. Foto: AP Photo / Nam Y. Huh

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