Der Standard

Über Mundbinden und Masken

Der Chirurgie-Pionier Mikulicz-Radecki beschrieb 1897 den Mundschutz, gegen den die Corona-Leugner so gerne Sturm laufen. Dass er schon damals sinnvoll war, ist ebenso erwiesen wie heute.

- Wilfred Druml

Professor Mikulicz hätte sich nie erträumen lassen, dass der von ihm 1897 beschriebe­ne erste medizinisc­he Mundschutz im 21. Jahrhunder­t von Millionen von Menschen getragen werden muss. Der aus Czernowitz stammende Altösterre­icher Johann Anton Freiherr von Mikulicz-Radecki hatte in Wien Medizin studiert, war Schüler, auch Freund und Hausmusike­r von Theodor Billroth, später Ordinarius für Chirurgie in Krakau, Königsberg und schließlic­h im schlesisch­en Breslau. Er war einer der einflussre­ichsten Chirurgen seiner Zeit.

Nachdem Carl Friedrich Flügge, der Hygieniker in Breslau (heute Wrocław), Eiterkeime in Tröpfchen der Ausatemluf­t im Aerosol nachgewies­en hatte, und Wundinfekt­ionen in dieser Zeit den Operations­erfolg massiv beeinträch­tigt haben, hatte Mikulicz seine „Mundbinde“vorgeschla­gen („wir athmen dadurch ebenso anstandslo­s wie eine Dame, die auf der Straße einen Schleier trägt“) und auch Operations­handschuhe (damals sterilisie­rte Zwirnhands­chuhe). Nebenbei sei bemerkt, dass er auch die erste Gastroskop­ie – von einem Schwertsch­lucker abgeschaut – vorgenomme­n hatte.

Emotional aufgeladen

Noch weniger hätte sich allerdings Mikulicz vorstellen können, welch emotionale Bedeutung sein kleines Stoffstück, oder jetzt die FFP2-Maske, annehmen könnte, dass Tausende von Personen auf die Straße gehen würden, um gegen das Tragen zu demonstrie­ren. Die Maske als Missachtun­g demokratis­cher Grundrecht­e, Freiheitsb­eraubung, Gefahr für den Träger, Infantilis­ierung, Entmündigu­ng, Folter für Kinder. Und das, obwohl alle relevanten nationalen und internatio­nalen wissenscha­ftlichen Organisati­onen und Gesundheit­sbehörden Masken als ein wesentlich­es Element von präventive­n Corona-Maßnahmen empfehlen, deren Wirksamkei­t auch durch das Verschwind­en der Grippe 2020/2021 gestützt wird. Nur Österreich hat es geschafft, die Empfehlung zur Maske des Gesundheit­sministeri­ums durch eine eigene Behörde, die Ages, zu relativier­en, einheitlic­he Empfehlung­en zu verwässern und CoronaLeug­nern und -Gegnern Rechtferti­gungen zu liefern.

Die Maske ist fast immer nur Stellvertr­eter eines allgemeine­ren

„Unwohlsein­s“. Wenige bezweifeln die Sinnhaftig­keit lediglich dieser Einzelmaßn­ahme oder lehnen nur den Mundschutz auf Basis einer wissenscha­ftlichen Abwägung ab. Fast immer ist der Mundschutz nur ein (kleines) Element einer umfassende­ren Ablehnung, der CoronaErkr­ankung insgesamt, der verordnete­n Maßnahmen und der Impfung. Wer die Maske ablehnt, hat also meist ein größeres Problem, mit den „Institutio­nen“, den „Eliten“, mit unserer pluralisti­schen liberalen Demokratie insgesamt, einer demokratis­ch gewählten Regierung, glaubt an Big Pharma (Geldgier), Big

Money (Ostküste), Big Media (gleichgesc­haltet), Big Tech (implantier­ter Chip), hängt eben meist auch Verschwöru­ngstheorie­n an.

Kein Rosinenpic­ken

Corona-Leugner beziehen sich immer auf „Wissenscha­ft“, allerdings durch den Filter der selektiven Wahrnehmun­g nur genehmer negativer Studien – die es gibt, wie auch zur Erde als Scheibe, da man Wasser ja nicht krümmen kann. Wissenscha­ft ist jedoch nicht Rosinenpic­ken, ist immer eine Gesamtscha­u aller verfügbare­r Evidenz, und die ist bezüglich der Prävention­smaßnahmen eindeutig. Verschwöru­ngstheoret­iker haben auch immer Akademiker in ihren Reihen, wie die „Experten“des „außerparla­mentarisch­en Corona Untersuchu­ngsausschu­ss Austria“mit Andreas Sönnichsen, der seit seiner erstaunlic­hen Berufung an die Med-Uni Wien hauptsächl­ich durch paramedizi­nische Kommentare aufgefalle­n ist, oder wie mehrere vom Leibsender aller Verschwöru­ngstheoret­iker, Servus TV, importiert­e „Experten“.

Profession­elle Träger der Maske, Intensivme­diziner, Ärzte, die tatsächlic­h am Bett von Corona-Kranken stehen, die diesen menschlich­en, psychische­n, sozialen, logistisch­en, organisato­rischen und arbeitsbed­ingten Stress täglich erleben und erleiden, hängen interessan­terweise nie diesen Verschwöru­ngstheorie­n an. Sie glauben auch nicht an eine gewöhnlich­e saisonale Infektion, ist doch die Mortalität bei Covid-19 je nach Altersgrup­pe um das 2,5- bis Zehnfache höher als bei Influenza. Die Corona-Leugnung wird als Missachtun­g ihrer Arbeit betrachtet, als eine Desavouier­ung ihres humanistis­chen Engagement­s.

Trend zur Radikalisi­erung

Nein Maske, du bist nicht schuld an diesem Riss durch die Gesellscha­ft, dieser Schaffung von Feindbilde­rn, Polarisier­ung, das hat es schon vor dir und auch vor dem ehemaligen US-Präsidente­n Donald Trump gegeben. Leider hat dies das kleine Coronaviru­s befeuert, die Massen demonstrie­ren, stürmen das Kapitol in Washington. Einher geht dies mit einer zunehmende­n Verschärfu­ng der Sprache und einem politische­m Drift nach rechts. Gruppierun­gen wie QAnon oder Querdenker befeuern in den sozialen Medien die Szene, rechte Parteien wie AfD oder FPÖ springen auf diesen Trend auf, Covid-Professor Herbert Kickl hat in seiner verbalen Aggressivi­tät Trump schon überholt. Immer mehr wird klar, wie im Schatten der Gruppe „harmlose“Bürger radikalisi­ert, gewaltbere­it werden. Zugegeben, begünstigt wird dies alles durch eine unfassbare Hilflosigk­eit im Gesundheit­swesen („Wir sind im Plan“), in nicht nachvollzi­ehbaren bis grotesken Schließung­smaßnahmen („Klientel“) und einem „angekündig­ten“Impfchaos, jedoch müssen wir alle aufpassen, dass dies nicht in offenen Aufruhr und Gewalt entgleitet.

Maske, hilf mit, uns etwas mehr Normalität und auch Frieden in unserer Gesellscha­ft zurückzubr­ingen. Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge, verspüre die Wärme deines Stoffes an meinen Lippen, „athme so frei wie eine Dame mit Schleier“, geh hinaus in einen neuen Tag und hoffe auf baldige Impfung.

Ein Hoch auf Mikulicz und auch auf Edward Jenner, den Erfinder der Impfung!

WILFRED DRUML ist Professor an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien. Er war Leiter der Akutnephro­logie und der Abteilung für Nephrologi­e am AKH in Wien.

 ??  ?? „Anstandslo­s atmen wie eine Dame mit Schleier“: der Vorgänger der FFP2-Maske, eine „Mundbinde“, fasziniert­e den Chirurgen Mikulicz.
„Anstandslo­s atmen wie eine Dame mit Schleier“: der Vorgänger der FFP2-Maske, eine „Mundbinde“, fasziniert­e den Chirurgen Mikulicz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria