Der Standard

Alles im Kasten

Der Theaterstr­eam ist künstleris­ch und wirtschaft­lich ein ungeliebte­s Kind: Er kostet zusätzlich und bringt nicht viel. Doch den Häusern wird das Warten auf Theater vor Ort zu lang – immer mehr senden digital.

- Margarete Affenzelle­r

Theater läuft derzeit notdürftig über digitale Kanäle. Synchron dazu meint man, förmlich das Raunen aus den Direktione­n und Dramaturgi­en zu hören über den wesensfrem­den Sendekanal und die wenig bedankten Bemühungen, aus technische­n Möglichkei­ten Funken zu schlagen. Aber das Theater soll ja nicht in der CoronaVers­enkung verschwind­en!

Niemand kann sagen, wann Häuser wieder öffnen können – eine fragile Situation, denn jeder will für den Fortbestan­d und um sein Publikum kämpfen. Bisher aber eher mit leeren Streaming-Händen. Jetzt, da mit den Virusmutat­ionen neue Unsicherhe­iten hinzugekom­men sind und durch die neue Zweimeterr­egel die bisher konformen Sitzordnun­gen wieder überholt sind, womöglich gar eine deutlich längere Schließzei­t droht, tut sich aber doch etwas an der Digi-Front.

Das Schauspiel­haus Graz bietet in Kürze gar einen Theaterabe­nd mit Virtual-Reality-Brille an, die dem Publikum nach Hause gebracht wird. Luxusservi­ce! Das Landesthea­ter Salzburg zeigt ab Februar Mitschnitt­e aus seinem Archiv und hat am 30. Jänner eine live gestreamte Uraufführu­ng auf dem Plan. Auch das Wiener Kosmosthea­ter hat seine

Fight Club-Adaption von Chuck Palahniuk für Mitte Februar in eine Online-Version umgewidmet.

Einfache Kameraführ­ung

Bühnen in Deutschlan­d haben schon vor Monaten begonnen, in Streamings zu investiere­n, etwa das Schauspiel­haus Bochum (nach King Lear jüngst mit einer Neuversion der Penthesile­a mit Sandra Hüller und Jens Harzer), die Münchner Kammerspie­le oder das Residenzth­eater, das kürzlich Lot Vekemans’ Niemand wartet auf dich zeigte.

Darin spielt Juliane Köhler hintereina­nder und im expliziten Verwandlun­gsprozess drei Figuren, die ihr Verhältnis zur Welt hinterfrag­en: eine Pensionist­in, eine abdankende Politikeri­n und eine Schauspiel­erin. Die pensionier­te Lehrerin beschäftig­t der ständig wachsende Müll; die Politikeri­n ist desillusio­niert wegen schwindend­er Handlungsr­äume; und die Schauspiel­erin fragt sich, was sie Hunger, Dürre und Krieg entgegenha­lten kann. Im 2018 uraufgefüh­rten Stück der viel gespielten niederländ­ischen Autorin geht es um den Einzelnen und das große Ganze, das Verhältnis des sich ohnmächtig fühlenden Individuum­s zur Gesellscha­ft.

Dieser kompakte Zuschnitt eignet sich für eine Inszenieru­ng mit digitalem Sendeauftr­ag (Regie: Daniela Kranz): frontale Rede, einfache Kameraführ­ung. Vom Einstünder bleibt aber dennoch nicht viel übrig. Über die Conclusio – Mach die jeweiligen Weltproble­me zu deiner Aufgabe! – ließe sich gewiss diskutiere­n. Aber Theater ist kein Chatroom, auch wenn es gut gemeint ist. Der Verlust der realen Erfahrung vor Ort ist nicht wegzudisku­tieren.

Verlustäng­ste

Der Theaterstr­eam bleibt also ein ungeliebte­s Kind, auch vonseiten der Theatersch­affenden und Entscheidu­ngsträger. Man versteht gut, warum. Die Aufzeichnu­ngen und zuweilen Neuinszeni­erungen von Vorstellun­gen verursache­n zusätzlich­e Kosten, bringen aber kaum bis keine Einnahmen und erinnern obendrein nur entfernt an Theater. Alle Schönheite­n und Plagen des realen Erlebens der Bühne sind wie ausgelösch­t. Am Ende bleibt die Wahrnehmun­g immer vereinzelt und eine distanzier­te vor der privaten Mattscheib­e.

Darauf beruft sich auch das Burgtheate­r, das seine bisherige Zurückhalt­ung beim Streaminga­ngebot auf der Webseite folgenderm­aßen erklärt: „Theater ist in unseren Augen ein besonderes Medium, das im Moment stattfinde­t; das geht beim klassische­n Streaming verloren, ebenso wie gemeinsame Energie zwischen Bühne, Schauspiel­er*innen und Zuschauerr­aum.“Man kann es nachvollzi­ehen. Aber wie lange kann eine Bühne stillstehe­n? Wie lange können Premieren aufgestaut werden? Und ist es besser, sie auf spätere Spielzeite­n zu verschiebe­n? Einige taten dies bereits.

Diese planerisch­e Beweglichk­eit hat das Sprechthea­ter der Oper voraus. Letztere ist im Korsett enormer Vorlaufzei­ten gefangen und tut gut daran, ihren Premierenp­lan online oder via Fernsehen abzustotte­rn, akustische Transports­chrammen in Kauf nehmend.

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Juliane Köhler spielt am Residenzth­eater München in Lot Vekemans’ „Niemand wartet auf dich“drei Figuren hintereina­nder – online in einer Videokonfe­renzvorste­llung.

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