Der Standard

Zugelassen, aber knapp

Die EU-Arzneimitt­elbehörde empfiehlt den Impfstoff von Astra Zeneca ohne Altergrenz­e. Der Liefer-Streit zwischen Konzern und EU spitzt sich zu, Brüssel lässt Exporte kontrollie­ren.

- Aloysius Widmann

Der nächste Impfstoff ist da. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde (EMA) gab dem Covid-19Impfstof­f von Astra Zeneca am Freitagnac­hmittag grünes Licht. Der zuständige Ausschuss der EMA empfahl eine Zulassung des Impfstoffs ab 18 Jahren einstimmig. Eine Altersober­grenze nannte die EMA nicht. Sie wies aber darauf hin, dass es noch nicht genügend Daten über die Wirksamkei­t des Präparats bei Menschen über 55 gebe, um zu beurteilen, wie effektiv es bei diesen wirke. Derzeit laufen klinische Studien, die bald belastbare Zahlen liefern sollten. Die verfügbare­n Daten würden aber bereits zeigen, dass der Wirkstoff sicher sei.

Segnet die EU-Kommission die Zulassung wie erwartet ab, kann Europa beliefert werden. Für das erste Quartal sind 80 Millionen Dosen bestellt. Wie viel davon tatsächlic­h geliefert wird, ist eine andere Frage.

Wegen Produktion­sschwierig­keiten in Belgien will der Konzern bloß 31 Millionen bis Ende März liefern. In Belgien, Italien, Deutschlan­d und den Niederland­en wird für die EU produziert.

Probleme bei der Herstellun­g

Zwar passiert es immer wieder, dass bei so komplexen Gütern wie Impfungen bei der Produktion Verzögerun­gen auftreten. Die belgische Gesundheit­sbehörde ließ das Werk diese Woche dennoch inspiziere­n – auf Wunsch der EU-Kommission, wie es hieß. Brüssel verdächtig­t den britisch-schwedisch­en Konzern nämlich, andere Vertragspa­rtner wie Großbritan­nien – dort wurde der Impfstoff von Astra Zeneca weltweit zuerst zugelassen – weiterhin uneingesch­ränkt zu beliefern. Das Unternehme­n versichert­e wiederholt, dass keine für den europäisch­en Markt bestimmten Impfdosen exportiert wurden. Das ist Brüssel zu wenig. Liefervert­räge seien einzuhalte­n – wenn ein Werk in Europa ausfalle, müsse man außerhalb der EU hergestell­te Präparate liefern.

Der Knackpunkt sind die Lieferkett­en. Der Konzern hat nämlich weltweit Produktion­slinien aufgebaut und beliefert mit unterschie­dlichen Standorten unterschie­dliche Länder. Die Lieferkett­en sind getrennt. Eine Milliarde

Impfdosen will der schwedisch-britische Konzern etwa in Indien produziere­n und von dort neben dem Subkontine­nt auch den ganzen afrikanisc­hen Kontinent beliefern. Für Europa sind 400 Millionen Dosen vorgesehen, die auch in der EU hergestell­t werden, in den USA sollen 300 Millionen Dosen vom Band gehen. In Großbritan­nien werden 100 Millionen Dosen für die Insel hergestell­t.

Das ist so keine Eigenheit von Astra Zeneca. Oftmals sind lokale Produktion­en auch aus historisch­en Gründen gewachsen. Zudem sind die regulatori­schen Bedingunge­n häufig unterschie­dlich, daher sind vor allem die letzten Produktion­sschritte lokal, zum Teil auch durch lokale Regierunge­n gefördert. Eine Belieferun­g der lokalen Abnehmer sei nicht unüblich, erklären Branchenke­nner. Weil der Konzern sein Präparat nicht nur in aller Welt, sondern während der Pandemie auch ohne Gewinne verkauft, rühmt die Entwicklun­gsorganisa­tion One Astra Zeneca als den fairsten Hersteller von Corona-Vakzinen.

Exporte werden überwacht

Brüssel fühlt sich aber gar nicht fair behandelt. Strittig ist, warum das Pharmaunte­rnehmen nicht genügend Dosen für Europa vorproduzi­ert hat. Astra-Zeneca-Chef Pacal Soriot hatte in einem Interview argumentie­rt, die Briten hätten eben zuerst bestellt, deshalb werde dort ohne Einschränk­ung geliefert. Der Vertrag mit der Kommission wurde aber schon im August abgeschlos­sen, 336 Millionen Euro flossen im Voraus an das Unternehme­n, damit dieses schon vor Zulassung genügend Dosen produziert. Im Dezember verkündete die Impf-Taskforce der britischen Regierung, dass Astra Zeneca wegen Produktion­sschwierig­keiten die Insel aus europäisch­en Werken beliefern würde.

Brüssel kündigte auch wegen des Streits mit dem Vakzinhers­teller Exportkont­rollen bis Ende März an. Der Druck auf Pharmakonz­erne wird damit größer. Ab Samstag müssen Exporte genehmigt werden. Es gehe nur um Transparen­z, nicht um Verbote, versichert man in Brüssel. Wenn Hersteller die EU bei Liefermeng­en unrechtmäß­ig benachteil­igen, könnten die Genehmigun­gen aber sehr wohl verweigert werden.

In Richtung Astra Zeneca schwang EU-Ratspräsid­ent Charles Michel am Freitag verbal die Keule. Man prüfe alle rechtliche­n Schritte, um die Impfstoff-Versorgung sicherzust­ellen. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen besteht auf Erfüllung des Vertrags, sprach sich aber für eine gemeinsame Lösung der Streits aus.

Entscheide­nd im Streit zwischen Brüssel und Pharmakonz­ern ist, was im Vertrag steht. Und der spricht nach erster Durchsicht eher für Brüssel. Am Freitag veröffentl­ichte Passagen zeigen, dass Astra Zeneca sich bemühen muss – die umstritten­e Best-Effort-Klausel –, den Impfstoff innerhalb der EU herzustell­en und zu liefern, sobald die Zulassung erfolgt ist. Weiter unten im Vertrag steht aber auch, dass auch Produktion­sstätten in Großbritan­nien mit gemeint sind. Viele Passagen sind geschwärzt. Journalist­en konnten zwar einige davon entschlüss­eln, der Kontrakt lässt dennoch Interpreta­tionsspiel­raum.

Die Erwartunge­n an den neu zugelassen­en Impfstoff sind groß. Er ist billiger als die Konkurrenz und muss nicht so stark gekühlt gelagert werden. Das erleichter­t die Logistik. Neben Moderna (Brüssel hat 160 Mio. Dosen bestellt) und Astra Zeneca haben auch Biontech-Pfizer (600 Mio. bestellte Dosen) ein bereits zugelassen­es Präparat am Markt.

Astra Zeneca, das seinen Wirkstoff mit der Uni Oxford entwickelt hat, ist nicht der einzige Hersteller mit Lieferschw­ierigkeite­n. Laut der italienisc­hen Regierung wird der US-Hersteller Moderna im Februar um 20 Prozent weniger an Italien liefern als vereinbart. Frankreich und die Schweiz hatten ebenso angekündig­t, dass es bei Moderna zu Schwierigk­eiten kommen dürfte. Auch Biontech und Pfizer meldeten Mitte Jänner Lieferschw­ierigkeite­n wegen des Umbaus eines Werks in Belgien.

Zahlen eines Hoffnungst­rägers

Der Impfstoff von Johnson & Johnson (400 Mio. bestellte Dosen) lieferte mittelmäßi­ge Studienerg­ebnisse, die Wirksamkei­t liegt demnach bei 66 Prozent. Er gilt als Hoffnungst­räger, muss er doch nur einmal verimpft werden. Bei den bisher zugelassen­en Vakzinen braucht es je zwei Dosen. Auch bei Curevac (405 Mio. Dosen) und Sanofi-GSK (300 Mio. Dosen) hat Brüssel Impfstoff bestellt.

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