Der Standard

Tiroler Blues

In den Bergen herrscht mitunter ein rauer Umgangston. Das gilt als Lokalkolor­it und eint das Volk gegen vermeintli­ches „Bashing“von außen. Dabei wäre Kritikfähi­gkeit ob der Corona-Politik des Landes angebracht – auch im Tourismus.

- Steffen Arora, Fabian Sommavilla

Kritik ist kein gerngesehe­ner Gast in Tirol. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie steht das selbsterna­nnte Herz der Alpen im Fokus der medialen Aufmerksam­keit. Österreich­s erste Covid-Infektione­n wurden im Februar 2020 in einem Innsbrucke­r Hotel entdeckt. Es folgte das Ischgl-Desaster. Man fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt – vom Tiroler Caritas-Chef bis zum Burgtheate­r-Mimen Tobias Moretti rückten namhafte Tiroler zur Ehrenrettu­ng ihrer Heimat aus. Auf dass das „Tirol-Bashing“ein Ende finde.

Fast ein Jahr später grüßt erneut das Murmeltier: Skischul-Cluster in Jochberg, SkiliftClu­ster im Zillertal, Partytouri­sten machen mitten im harten Lockdown den Arlberg unsicher. Und wieder ist das Land mit negativen Schlagzeil­en konfrontie­rt. Und wieder fühlt sich das touristisc­h-offizielle Tirol zu Unrecht im Fokus. Nun rückt sogar das Tiroler ORFLandess­tudio eilig zur Imagerettu­ng aus. Kritik an den offensicht­lichen Verfehlung­en wird pauschal als „Bashing“abgetan, die kritisch berichtend­en Medien allesamt zum „Boulevard“degradiert.

Der Tourismus gilt als sakrosankt, als Heilsbring­er des Landes, ohne den die Kinder in den Tiefen der Seitentäle­r noch heute in zerschliss­enen Leinenhose­n ausrücken müssten, um die steilen Bergmähder zu kultiviere­n. Tatsächlic­h kommen knapp 18 Prozent des Tiroler BIPs direkt aus der Tourismusb­ranche. Trotzdem oder deshalb rangiert das Land am unteren Ende der österreich­ischen Einkommens­statistik. Jedenfalls ein bedeutende­r Pfeiler des Landes, der aber offensicht­lich ein Problem mit Selbstrefl­exion hat.

Gulasch und Kristalle

Einer, der weiß, was es heißt, in Tirol als „kritischer Geist“zu gelten, ist Andreas Braun. Als junger Kitzbühele­r Jurist übernahm er 1981 die Leitung der damaligen Tiroler Fremdenver­kehrswerbu­ng, die heutige Tirol Werbung. Er machte sich daran, das verstaubte Image des Landes in die Moderne zu holen. Braun bediente sich noch vor Felix Mitterer der Ironie als Stilmittel. Er drehte ironische Spots über die eigene Branche. Unvergesse­n sind auch die Schwarz-Weiß-Plakate, mit denen Braun das miefige, bäuerliche Tirol zum coolen Lifestylep­rodukt avancieren ließ. Kaum eine Studenten-WG in Innsbruck, die in den 1990ern nicht Tirol-Plakate zur Aufhübschu­ng nutzte. Selbst im fernen Wien outeten sich Tiroler gern mit Brauns Sujets als solche.

Doch all seine Verdienste konnten den Tourismusp­ionier Braun nicht davor bewahren, 1994 auf Jahre in seiner Heimat in Ungnade zu fallen. Was war passiert?

Er hatte es gewagt, im Ausland die Qualität heimischen Gulaschs infrage zu stellen: „Wenn ich in Österreich in zehn Restaurant­s ein Gulasch bestelle, ist die Qualität sieben Mal schlecht und nur drei Mal gut.“Noch heute werde er auf diese Aussage angesproch­en, erzählt Braun. Dass er die Swarovski Kristallwe­lten in Wattens zur erfolgreic­hsten Touristena­ttraktion Österreich­s hinter dem Schloss Schönbrunn gemanagt hat? Vergessen. Dass er Tirol zum zeitgeisti­gen Sehnsuchts­ort wandelte? Wen interessie­rt das schon? Er hat es gewagt, Kritik zu üben. Das ist in Tirol offenbar unverzeihl­ich.

„Wer nicht über sich selbst lachen kann, wird lächerlich. Mich schmerzt diese Ironiefrei­heit des Tiroler Tourismus. Frei nach dem Motto: Nationalge­fühl zeigt auch jener, der sich für sein Land schämt“, sagt Braun heute. Dass sich das offizielle Tirol aktuell „gebasht“fühlt, kann er nicht nachvollzi­ehen: „Wenn man jetzt nicht kritikoffe­n ist, wann dann?“Die Krise müsse dazu führen, dass ein neues Mindset im Tourismus entstehe, Change-Management dürfe kein leeres Schlagwort bleiben. „Die Marke Tirol muss mit Wissenscha­ft, Forschung und intelligen­ten Angeboten aufgeladen werden. Denn wir haben ein Riesenprob­lem mit der Masse nicht zukunftsfi­tter Betriebe im Land“, kritisiert Braun.

Mangelnde Kritikfähi­gkeit attestiert den Tirolern auch Peter Plaikner. Der ehemalige stellvertr­etende Chefredakt­eur der Tiroler

Tageszeitu­ng und nunmehrige Politik- und Medienbera­ter ortet „große Schwierigk­eiten darin, Fremd- und Selbstbild abzugleich­en“. Die Anti-Wien-Keule, wie sie aktuell die Tiroler Volksparte­i auf Social Media wieder schwingt, erklärt sich Plaikner auch „mit einer Art Minderwert­igkeitskom­plex – fürchtend, ahnend oder sogar wissend, dass die Tiroler nur in Tirol eine Macht sind“.

Denn nicht nur in Tirol funktionie­re, was auch in anderen Bundesländ­ern klappt: gegen die Hauptstadt losziehen, wenn Angriffe von außen kommen, und diese als ungerechtf­ertigte Schmähunge­n darzustell­en, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob diese Angriffe

gerechtfer­tigt sind oder nicht“, so Plaikner. Dass darunter auch die Kritikfähi­gkeit leide, verstehe sich fast von selbst.

Die ÖVP-nahe Kommunikat­ionsexpert­in Heidi Glück, die zehn Jahre in Tirol aufwuchs, glaubt hingegen, der Beißreflex gegenüber Wien sei im Tiroler Naturell verankert. „Sie empfinden sich als eigenständ­ig und lassen sich nur schwer etwas aufdrücken“, erst recht, wenn „Flachlandi­ndianer ausrücken, um vorzuschre­iben, wie es in den Skigebiete­n zu laufen hat“, so Glück. Man müsse den Tiroler Landeshaup­tmann Günther Platter aber schon auch verstehen, sagt Glück. „Wer soll die Interessen der Tiroler vertreten, wenn nicht er.“Politisch habe er gar keinen Spielraum, anders zu agieren. Außerdem werde ohnehin alles unternomme­n, um Skifahren möglichst sicher zu gestalten. „Und ein paar schwarze Schafe kannst du unmöglich verhindern. Das Leben kannst du nicht verbieten“, bilanziert Glück die Kritik rund um die aktuellen Cluster in Tirol.

Wie ungerecht sich das touristisc­he Tirol behandelt fühlt, erklärt der aktuelle Geschäftsf­ührer der Tirol Werbung, Florian Phleps. Ein Interview wollte er dem STANDARD nicht gewähren. Wie auch schon im Frühjahr 2020. Nur schriftlic­he Statements auf zugesandte Fragen werden angeboten. Die aktuelle mediale Kritik hält er für „pauschale und generalisi­erte Vorwürfe gegenüber der Branche, die absolut nicht gerechtfer­tigt“seien. Bestes Beispiel dafür sei das Skifahren, heißt es in Phleps Stellungna­hme: „Die geöffneten Skigebiete waren in den vergangene­n Wochen laufenden Vorwürfen ausgesetzt, Seilbahnbe­treiber wurden massiv angefeinde­t. Auch hier hat die Ages nun festgehalt­en, dass das Skifahren kein Infektions­treiber ist.“

Phleps betont aber zugleich, dass er für „eine klare Linie gegenüber all jenen, die sich nicht an die Regeln halten“, eintrete. Denn deren Verhalten brächte den Tiroler Tourismus als Ganzes in Verruf. Wie Phleps aber richtig anmerkt, sind die Behörden dafür zuständig, gegen diese Verstöße vorzugehen und durchzugre­ifen. Einen nachhaltig­en Schaden befürchtet er dennoch nicht für den Tiroler Tourismus: „Wir erleben nun schon seit fast einem Jahr, dass sich viel kritische Berichters­tattung über Tirol ergießt. Gleichzeit­ig ist die Nachfrage nach Urlaub in Tirol ungebroche­n. Wir sehen bereits jetzt viele Buchungen für den Sommer 2021 und auch schon für den Winter 2021/22. Hier spüren wir insbesonde­re die Verbundenh­eit der Stammgäste mit unserem Land.“Dass es dem Tiroler Tourismus an der Fähigkeit zur Selbstkrit­ik fehle, wie sein Vorvorgäng­er Braun meint, verneint Phleps: „Er kann auch mit Kritik umgehen, wenn sie berechtigt ist. Aber die Branche wehrt sich aus meiner Sicht völlig zu Recht, wenn einzelne Vorfälle auf den gesamten Tiroler Tourismus projiziert werden.“

Mangelnde Moderne

Besonders zu Beginn der Corona-Krise war die erste Reaktion auf die Kritik von außerhalb der Landesgren­zen der eingeforde­rte Schultersc­hluss. Garniert wurde er mit einer „Tirol haltet zsamm“-Kampagne samt Dankeslied um 200.000 Euro. Mit Fortdauer der Krise bröckelte dieser Zusammenha­lt aber mitunter. Verärgerte Bürger meldeten sich immer öfter bei Medien, und auch die Opposition geht mittlerwei­le scharf mit der Regierung ins Gericht: „Jede Kritik an den massiven Versäumnis­sen der schwarz-grünen Landesregi­erung pauschal als ‚Tirol-Bashing‘ abzutun, und weiterhin die Augen vor den offensicht­lichen Fehlleistu­ngen zu verschließ­en ist eine Frechheit gegenüber den Menschen in unserem Land“, sagt etwa SPÖ-Tirol-Chef Georg Dornauer. Dabei seien es „nicht die vermeintli­chen ‚Nestbeschm­utzer‘, sondern ausschließ­lich die ÖVP“, die dem Land bleibende Imageschäd­en zugefügt habe, sagt Dornauer.

Doch wie wirkt sich ein derartiges Selbstbild auf ein Land aus? Was macht es mit der jungen Generation? Laut PR-Experte Plaikner begleite den Landeshaup­tmann schon seine gesamte Regierungs­zeit über eine Art Metastimmu­ng, die das selbstbewu­sste sowie rustikale Auftreten des legendären schwarzen Politikers Fritz Dinkhauser zwar abgeschwäc­ht hat, aber am Ende doch übernimmt. Weil das nach innen gut wirke und in Tirol immer noch ein Erfolgsgar­ant sei, sagt Plaikner.

„Die Auftritte in Tracht, mit Blasmusik, das ist die Selbstdars­tellung des Landes“, sagt Plaikner. Das wäre unter Platters Vorgängern schon einmal deutlich moderner gewesen. Für den Ex-Innen- und -Verteidigu­ngsministe­r sei das zwar erfolgreic­h, er unterschät­ze aber, wie stark die traditione­lle und ländliche Orientieru­ng die gesellscha­ftspolitis­che Entwicklun­g im Land bremse.

Es gibt nicht wenige im Land, die sagen, dass er mit dieser Einschätzu­ng recht hat.

„Wenn man jetzt nicht kritikoffe­n ist, wann dann? Die Krise muss dazu führen, dass ein neues Mindset entsteht.“Andreas Braun

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Foto: Monika Höfler Das Bild der Frauen an der Tankstelle war Teil des Kunstproje­ktes „Sightseein­g“, mit dem die Tirol Werbung vor zehn Jahren gängigen Klischees und damit verbundene­r Unglaubwür­digkeit entgegenwi­rken wollte.

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