Der Standard

Am Stammtisch der CoronaLeug­ner

- Fotos:Screenshot­s/Facebook Muzayen Al-Youssef, Georg Pichler

Es braucht nicht viele Klicks, um auf sozialen Medien Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen zu finden. Geschlosse­ne Betriebe, Ausgangsbe­schränkung­en, Maskenpfli­cht – verständli­cherweise macht das viele nicht glücklich. Notwendig ist es nach Ansicht der meisten Experten trotzdem. Was die Wissenscha­ft zur Pandemie sagt, interessie­rt so manchen Internetnu­tzer aber weniger als die Meinungen selbsterna­nnter Fachperson­en in Youtube-Videos oder auf dubiosen Onlineport­alen. In digitalen Echokammer­n werden deren Aussagen zu einem wohligen „Wir gegen die da oben“-Gefühl verstärkt.

Etwa in einer einschlägi­gen österreich­ischen Facebook-Gruppe mit über 10.000 Mitglieder­n, in der sich Der STANDARD über Monate umgesehen hat.

Wer durch die Postings scrollt, kann kaum glauben, dass bei den jüngsten Wahlen in Wien und St. Pölten sowohl die ÖVP als auch die Grünen, also die beiden Regierungs­parteien, zulegen konnten. Neben teils auch konstrukti­ver Kritik an der Corona-Politik der Koalition findet sich ein Sammelsuri­um an Meinungen, die sich vor allem so zusammenfa­ssen lassen: Sehr viele der User wollen nicht an Covid-19 – oder seine Gefährlich­keit – glauben. Die Maßnahmen seien sinnlos, das Volk werde unterdrück­t, heißt es dort. Als „Schuldige“wird aber nicht nur die heimische Regierung benannt, sondern etwa auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, auf deren Befehl hin Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz „sofort springt“. Auch der Beliebthei­tsgrad von SPÖ und Neos ist in der Gruppe auf dem Gefrierpun­kt. Die FPÖ hingegen erfreut sich regen Zuspruchs: Immer wieder werden Postings von Politikern wie dem Wiener Stadtrat Dominik Nepp oder Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl geteilt. Diese kritisiere­n einmal die Regierung, ein andermal sagen sie Corona-Demonstran­ten ihre Unterstütz­ung zu. Die FPÖ weiß ihre Klientel via Social Media zu bedienen.

Untergangs­fantasien

In die Beiträge der Facebook-Gruppe schleichen sich immer wieder Untergangs­fantasien. Ein deutscher Ex-Polizist und Autor berichtet etwa auf dem Youtube-Kanal eines bekannten Verschwöru­ngserzähle­rs vom „Merkel-Plan“. Der Schreiber konstatier­t, dass Deutschlan­d am Rande einer Diktatur stehe und ein Bürgerkrie­g nicht auszuschli­eßen sei. Das Narrativ einer großen Verschwöru­ng kehrt auch in anderen Postings wieder und wird stets mit anekdotisc­hen Erzählunge­n untermauer­t. Beispielsw­eise erzählt eine Frau in einem Video, sie wisse, dass wir uns in einer „Plandemie“befänden. Wer die Frau ist, bleibt unklar. Jedenfalls erzählt sie, sie sei jetzt im Auto noch rechts rangefahre­n, weil sie ihr Wissen darüber, dass die Pandemie von den Mächtigen geplant worden sei, dringlich teilen wolle. Sieben Minuten spricht sie über die „Plandemie“und argumentie­rt so: Beim ersten Lockdown durften Bürger bei den „Eliten“, also Ketten wie McDonald’s und Burger King, essen, aber nicht in reguläre Lokale gehen.

Mit der Realität stimmt das nur bedingt überein. Die Fastfood-Lokale durften lediglich ihren Drive-in-Betrieb öffnen. Der Beitrag wurde dennoch tausendfac­h gelikt und in die Gruppe gespült. In den Kommentare­n liken mehr als 100 Menschen die Einschätzu­ng, dass „wir“uns in einem „asymmetris­chen Krieg“nicht gegen das Virus, „sondern gegen uns“befänden.

Heldenfigu­ren und Feindbilde­r

Nebst Feindbilde­rn werden in der Gruppe auch Helden geboren. Etwa die Linzer „Wutwirtin“Alexandra Pervulesko, die vor wenigen Wochen aus Protest gegen die Maßnahmen ihr Lokal aufsperrte. Ein Termin, zu dem die Administra­torin der Gruppe persönlich mit Kamera ausrücken wollte. Pervulesko

Die Corona-Maßnahmen und ihre oft widersprüc­hliche Umsetzung werden von vielen Menschen zu Recht kritisiert. In sozialen Netzwerken bilden sich freilich Echokammer­n, in denen allerlei Falschinfo­rmationen verbreitet werden. Skepsis vermischt sich dort mit kruden „Infos“– und zorniger Auflehnung gegen die Maskenpfli­cht.

und andere Gastronome­n in verschiede­nen Ländern, die sich nicht an die Auflagen halten wollen, werden gefeiert. Wenn es ihr alle nachmachte­n, könnte die Staatsmach­t gar nicht so viel kontrollie­ren und müsste die Regelungen wieder außer Kraft setzen, glauben einige Mitglieder der Facebook-Gruppe.

Doch ihre Gunst kann man auch schnell wieder verspielen. Der Sänger Andreas Gabalier etwa wurde flott zum Idol stilisiert, als Aussagen von ihm die Runde machten, die ihn in Verdacht brachten, ein Impfgegner zu sein. Der Enthusiasm­us endete jäh, als der Musiker erklärte, sich schnellstm­öglich gegen Covid-19 impfen lassen zu wollen. Überhaupt scheint die Impfbereit­schaft in diesem Facebook-Zirkel gering zu sein. In den vergangene­n Wochen nahm die Frequenz an Postings über angebliche Todesfälle in Zusammenha­ng mit den Vakzinen deutlich zu. Da werden Sorgen darüber erörtert, dass der Impfstoff so schnell entwickelt wurde. In der Kommentars­palte wird über eine Vertuschun­g durch Medien und Politik gemunkelt. Das diesbezügl­iche Misstrauen ließe sich freilich mit ein wenig Internetre­cherche leicht beheben.

Das wohl größte Feindbild der Gruppenmit­glieder ist der Mund-NasenSchut­z. Der sei komplett unnötig und schränke nur die Atmung ein. Ein steirische­r Arzt, der im Herbst „Atteste gegen den Maskenwahn­sinn“ausstellte – und dafür Berufsverb­ot erhielt –, wird in einer Welle an Solidaritä­tsbekundun­gen verteidigt. Der Mann darf sich übrigens mittlerwei­le einer kleinen Berühmthei­t in Verschwöru­ngskreisen erfreuen, denn sein Status als Mediziner gibt ihm in den Augen vieler Nutzer eine höhere Glaubwürdi­gkeit. Dass derartige Atteste in vielen öffentlich­en Gebäuden nicht akzeptiert werden, stößt Mitglieder­n der FacebookGr­uppe im Tagesrhyth­mus sauer auf. Manchmal geht es aber auch weniger harmlos zu. Für seine Aussage, für Extremiste­n gebe es keine Toleranz, wenn sie „Grundrecht­e missbrauch­en“, wird Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) als „Himmler 2.0“bezeichnet. Ein anderer Nutzer befindet, Nehammer fordere „das Volk heraus“. Dazu teilt er ein Bild mit dem Schriftzug „Vorsicht Bürgerkrie­g! Was lange gärt, wird endlich Wut“.

„Denunziant­en“verfolgen

Regelmäßig beschweren sich User über die Entfernung ihrer Beiträge. Facebook hinterlegt Falschnach­richten nämlich bei Meldung immer wieder mit Warnhinwei­sen oder entfernt sie ganz. Für manche User ist das ein Beleg für „Zensur“und die „Erodierung der Demokratie“.

Kritische Aufmerksam­keit wird von der Administra­torin ohnehin nicht gerne gesehen. So rief sie im November dazu auf, „Denunziant­en“an die Gruppenmod­eration zu melden, weil sie durch die Meldung von Beiträgen eine Sperrung der Gruppe verursache­n könnten. Das stieß freilich nicht auf ungeteilte Zustimmung. Während sich manche freuten, etwaige „Verräter“hinauswerf­en zu können, wiesen andere darauf hin, dass man für eine Diskussion auch unterschie­dliche Meinungen brauche. Die Administra­torin hielt dagegen, dass Beiträge an Facebook gemeldet werden könnten. Auf die Gegenfrage, wer unter Verdacht stehe, folgte nur die vage Antwort, dass es um Personen mit „Fakeprofil­en“gehe.

Für den Fall der Fälle hat man aber ohnehin Vorkehrung­en getroffen. Es gibt seither auch eine Website und einen Telegram-Kanal. Wer dort unterwegs ist, kann ein ganz anderes Niveau von Realitätsv­erweigerun­g beobachten. Denn immerhin setzt Facebook mittlerwei­le nach Meldungen über Falschinfo­rmationen eigene Maßnahmen. Bei Telegram, das allerdings (noch) nicht sehr viele Nutzer in Österreich hat, werden Beiträge nur vereinzelt gelöscht. Dort können die kruden Ideen der radikalste­n „Querdenker“dann gänzlich ohne Widerspruc­h wuchern.

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Die Feindbilde­r der Corona-Gegner sind zahlreich. Um ihre Ansichten zu untermauer­n, greifen sie oft auf Fake-News zurück.

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