Der Standard

Seegericht­shof spricht Chagos-Inseln Mauritius zu

Großbritan­nien will British Indian Ocean Territory mit der Militärbas­is Diego Garcia nicht übergeben

- Michael Vosatka

Großbritan­nien muss im Fall des umstritten­en Chagos-Archipels im Indischen Ozean eine weitere juristisch­e Niederlage hinnehmen. Der Internatio­nale Seegericht­shof der Vereinten Nationen (ITLOS) in Hamburg entschied am Donnerstag, dass Großbritan­nien keine Souveränit­ät über die Inselgrupp­e zusteht. Damit wird eine Entscheidu­ng des Internatio­nalen Gerichtsho­fs (Internatio­nal Court of Justice, ICJ) in Den Haag von Februar 2019 bestätigt.

Diesem Urteil folgend kritisiert­en die ITLOS-Richter London für das beharrlich­e Ignorieren des Spruchs, der eine Übergabe bis Ende 2019 verlangte. Auch die UN-Generalver­sammlung hatte sich bereits im Mai 2019 mit 116 zu sechs Stimmen für eine Rückgabe der Inseln an Mauritius ausgesproc­hen.

Londons Außenminis­terium erklärte als Reaktion auf das Urteil, den Anspruch Mauritius’ nicht anzuerkenn­en. Das von Großbritan­nien

als British Indian Ocean Territory (BIOT) verwaltete Gebiet unterstehe seit 1814 der britischen Souveränit­ät. Erst 1965 wurde das BIOT aus der Kolonialve­rwaltung von Mauritius herausgelö­st, das bald darauf im Jahr 1968 in die Unabhängig­keit entlassen wurde.

USA unter Druck

Der mauritisch­e Premiermin­ister Pravind Kumar Jugnauth begrüßte das ITLOS- Urteil, das die Inseln klar und eindeutig Mauritius zuspreche. London müsse die „rechtswidr­ige Besetzung“beenden. Mauritius hatte sich an das Seegericht gewandt, um den Verlauf der Seegrenzen zum nördlichen Nachbarn, den Malediven, zu klären. Diese hatten vorgebrach­t, dass die Frage nicht zu lösen sei, solange der Status der ChagosInse­ln umstritten ist. Schon im ICJSpruch wurde festgehalt­en, dass London gegen das Völkerrech­t verstoße und den Prozess der Entkolonia­lisierung abschließe­n müsse.

Mit dem neuerliche­n Urteil wird auch der Druck auf die neue US-Regierung

in Washington erhöht, für die strategisc­h wichtige Militärbas­is Diego Garcia auf der gleichnami­gen Hauptinsel des Archipels eine rechtlich haltbare Grundlage zu schaffen. Mauritius hat bereits signalisie­rt, dass die Bereitscha­ft zu einem langfristi­gen Pachtvertr­ag mit den USA bestehe. Man sei zur Aufrechter­haltung der Basis verpflicht­et, erklärte Jugnauth nach dem ITLOS-Urteil.

Für die Errichtung der Basis waren die Îlois genannten Einwohner der Atolle zwischen 1967 und 1973 vertrieben und schließlic­h nach Mauritius und auf die Seychellen deportiert worden. Die Chagossian­er stammen von madagassis­chen und mosambikan­ischen Plantagena­rbeitern ab, die Ende des 18. Jahrhunder­ts von der französisc­hen Kolonialma­cht auf den zuvor unbesiedel­ten, abgelegene­n Inseln angesiedel­t wurden. Seit Generation­en kämpfen die Îlois um die Rückkehr und Entschädig­ungszahlun­gen.

Auf Mauritius leben heute rund 8000 Chagossian­er, auch in Großbritan­nien und auf den Seychellen gibt es größere Gemeinscha­ften. Erst in der jüngeren Vergangenh­eit wurden einigen kurze Besuche auf der Chagos-Insel Peros Banhos ermöglicht.

Die Îlois hoffen insbesonde­re auf die neue US-Regierung unter Joe Biden. Im Oktober waren sie noch abgeblitzt: Das Eingehen auf ihre Forderunge­n sei nicht im Interesse der US-Regierung, wurde ihnen beschieden. Der Anwalt Jonathan Levy, der in den USA die Interessen der Vertrieben­en vertritt, plant einen neuen Vorstoß, um für seine Mandanten eine Entschädig­ung für das über fünfzig Jahre erlittene Unrecht zu erreichen. „Die neue Biden-Regierung will die US-Außenpolit­ik ändern, und der Chagos-Archipel ist ein guter Anfangspun­kt, indem die Ansprüche der Chagossian­er auf ihr Eigentum und ihr Land anerkannt werden und sie in Anbetracht des enormen Werts, den die mietfreie Nutzung Diego Garcias den USA für die vergangene­n fünf Jahrzehnte gebracht hat, eine kleine finanziell­e Entschädig­ung erhalten“, erklärte Levy Ende Dezember.

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