Der Standard

Ibiza-Mann suchte Kontakt zu Van der Bellen

Julian H. traf vor Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos einen Grünen, der ihn an die Präsidents­chaftskanz­lei vermitteln sollte. Dort ging ein Schreiben des Ibiza-Drahtziehe­rs ein – und noch ein ungewöhnli­cher Vorfall beschäftig­t die Hofburg.

- Fabian Schmid, Katharina Mittelstae­dt

Im Mai 2019, wenige Tage vor Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos, trifft ein Grüner, wohl ahnungslos, in einem Wiener Hotel einen der Drahtziehe­r der Ibiza-Aktion. Der Grüne, das ist Joseph Mussil, früher Wahlkampfm­anager der Partei. Der Ibiza-Hintermann, das ist Julian H., der sich auf der balearisch­en Insel als Begleiter der falschen Oligarchen­nichte ausgab und den Dreh organisier­te. Mussil ist zur Zeit des Treffens mit H. nicht für die Grünen aktiv. Nach dem erfolgreic­hen Wahlkampf von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen war er in die Privatwirt­schaft gewechselt. Heute sitzt er im Kabinett des grünen Vizekanzle­rs Werner Kogler.

Bekennersc­hreiben

Die damalige Motivation von H. ist klar: Er hat Angst. Er weiß, dass

Spiegel und Süddeutsch­e Zeitung das Video demnächst veröffentl­ichen, und fürchtet, was danach passieren könnte. H. behauptet, aus dem blauen Innenminis­terium bereits Drohungen erhalten zu haben. Mussil spielt er Teile des Videos vor und bittet ihn um Kontakt in die Präsidents­chaftskanz­lei, um dort eine Art Bekennersc­hreiben und ein Testament zu hinterlege­n.

Mussil erzählt, H. habe über eine Kindergart­enfreundin Kontakt zu ihm aufgenomme­n. Die Szenen des Videos, die ihm gezeigt wurden, seien „weder zuordenbar noch klar akustisch verständli­ch“gewesen. Die „Tragweite der Informatio­n“habe er damals nicht einschätze­n können, beteuert Mussil. Er empfahl H., an die Büroleitun­g der Hofburg zu schreiben. „Damit war die Sache für mich erledigt“, sagt der Grüne. Von dem Treffen und dem Video habe er nur seiner Lebensgefä­hrtin erzählt.

Van der Bellen in Sotschi

Die Frage ist nun aber: Wann wurde der Bundespräs­ident über das Ibiza-Video informiert?

Am 16. Mai 2019, einen Tag vor Veröffentl­ichung des Videos, schickt H. eine E-Mail an einen engen Mitarbeite­r Van der Bellens. Der Bundespräs­ident selbst war da gerade von einem Staatsbesu­ch beim russischen Präsidente­n Wladimir Putin in Sotschi zurückgeke­hrt. Mitreisend­e Journalist­en berichten, dort keine Gerüchte über das Video vernommen zu haben.

H. machte in seinem Schreiben an die Hofburg „vage Andeutunge­n“über eine bevorstehe­nde Veröffentl­ichung „zum Thema Korruption“, heißt es aus der Präsidents­chaftskanz­lei auf Anfrage des STANDARD. Außerdem habe H. geäußert, dass er mit Repressali­en rechne. „Eine Antwort wurde nicht erbeten und erging auch nicht. Da der Inhalt zu diesem Zeitpunkt nicht nachvollzi­ehbar war, wurde das Schreiben – wie in solchen Fällen üblich – ad acta gelegt.“

Der 16. Mai sei aber auch der Tag gewesen, so bestätigt der Pressespre­cher Van der Bellens, an dem dem Bundespräs­identen Gerüchte zu Ohren gekommen sind, dass „irgendetwa­s im Busch“ist. Genaueres habe er nicht gewusst. „Die Inhalte des Ibiza-Videos sind dem Bundespräs­identen erst mit dessen Veröffentl­ichung bekannt geworden.“

Im Hintergrun­d wird wegen einer anderen Angelegenh­eit schon lange darüber spekuliert, ob die PräsiAndre­a dentschaft­skanzlei vorab Kenntnis über das Video hatte. Anhänger von Heinz-Christian Strache sammelten dazu auch vermeintli­che Indizien.

Präsidiale­r Kalenderei­ntrag

Fest steht: Eine unbekannte Person fotografie­rte den Outlook-Terminkale­nder des Bundespräs­identen ab und schickte das Dokument an einen Mittelsman­n, der es Strache zeigte. Bei der Staatsanwa­ltschaft Wien läuft deshalb ein Verfahren gegen unbekannte Täter wegen Verletzung des Amtsgeheim­nisses. Vor der Staatsanwa­ltschaft bestätigte Kultur-Staatssekr­etärin

Mayer die Echtheit des Kalenderau­sschnitts. Sie war zur Zeit des Ibiza-Videos als Kabinettsd­irektorin bei Van der Bellen tätig.

Was man genau auf dem Kalenderau­sschnitt sieht, ist unbekannt. Aus dem Büro der Staatssekr­etärin heißt es, dass die Einträge aber „keinerlei Beweis eines Treffens mit irgendwelc­hen Hintermänn­ern des Ibiza-Teams enthalten“. Ein solches Treffen habe es nach Mayers Wissenssta­nd „definitiv nicht gegeben“.

Ähnliches ist hinter vorgehalte­ner Hand aus der Präsidents­chaftskanz­lei zu hören. So soll es zwar einen Kalenderei­ntrag bezüglich eines „Videos“geben, dabei habe es sich aber um einen ganz anderen Termin gehandelt. Bei diesem Treffen sei ein Video besprochen worden, in dem Van der Bellen Bürger dazu aufruft, an der damals bevorstehe­nden EU-Wahl teilzunehm­en.

Klar ist inzwischen: Die IbizaHinte­rmänner sind auf fast alle Parteien und verschiede­ne Politiker zugegangen, um über belastende­s Material gegen Heinz-Christian Strache zu informiere­n oder es zu verkaufen – sie sagen, um mit diesem Geld jenen Bodyguard des früheren FPÖChefs abzusicher­n, der gegen Strache heimlich Beweise sammelte.

Auch der Polizei war bereits vor dem Dreh des Videos bekannt, dass Material gegen Strache kursiert. Der Bodyguard hatte Fotos von Taschen voller Bargeld, die Dokumentat­ion falscher Spesenabre­chnungen sowie ein Haarbüsche­l, das Drogenkons­um beweisen sollte, gesammelt – den Drogenkons­um bestritt Strache stets.

Der Anwalt des Bodyguards, M., tingelte von Politiker zu Politiker, nahm Kontakt mit der Politische­n Akademie der ÖVP, dem Anwalt der Volksparte­i und einem hochrangig­en Berater auf. Außerdem wandte er sich an die Neos, die SPÖ sowie das Bundeskrim­inalamt. Doch niemand war bereit, auf seine Bedingunge­n einzugehen, um das belastende Material zu erhalten.

H. machte in seinem Schreiben an die Präsidents­chaftskanz­lei „vage Andeutunge­n“.

Geld nach Veröffentl­ichung

Deshalb sollte etwas noch Spektakulä­reres her – und aus diesem Entschluss wurde schlussend­lich das Ibiza-Video. Auch damit ging Anwalt M. auf Promotour: Er versuchte sein Glück im Umfeld des Industriel­len Hans Peter Haselstein­er, den Strache im Ibiza-Video für Staatsauft­räge blockieren wollte; sprach mit dem roten Berater Niko Pelinka und nahm Kontakt zum damaligen SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Thomas Drozda auf. Erneut zeigte niemand Interesse, die kolportier­ten Millionenb­eträge für das Material zu bezahlen. Bislang nicht bekannt war, dass das Ibiza-Video auch jemandem aus dem Umfeld der ÖVP angeboten wurde – das behauptete „Regisseur“Julian H. zumindest diese Woche im Interview mit SZ und Spiegel.

Im STANDARD-Interview erklärte H.: Nach Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos sei ihm Geld geboten worden, sollte er die SPÖ oder Haselstein­er belasten; also als Auftragode­r Geldgeber nennen.

Vollständi­g geklärt ist die Causa Ibiza wohl noch lange nicht.

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Bundespräs­ident Van der Bellen soll das Ibiza-Video erstmals bei dessen Publikatio­n gesehen haben. Mindestens ein ehemaliger Grüner aus seinem Umfeld wusste aber schon früher über Inhalte Bescheid.

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