Der Standard

Auf dem Friedhof der Marken

Merkur reiht sich in eine Reihe prominente­r Namen ein, die im Einzelhand­el das Zeitliche segneten. Über Marken als Religion, legendäre Duelle und Millionen an verpufften Werbegelde­rn.

- Verena Kainrath

Österreich­s Lebensmitt­elhandel ist auf dem Friedhof der Marken breit vertreten. Konsum ruht hier am längsten. Pam Pam, Mondo und Schlecker finden sich darauf ebenso wie Löwa. In Zielpunkt wurde die Supermarkt­kette einst umbenannt, um auf Plus zu wechseln, zu Zielpunkt zurückzuke­hren, ehe sie mit einer spektakulä­ren Insolvenz das Zeitliche segnete. Wer über die Branche hinausschw­eift, stößt auf Gräber von Niedermeye­r, Cosmos und Köck. Auch Baumax und Sport Eybl wurden kurz hintereina­nder beigesetzt. Ein Denkmal hat ihnen keiner errichtet, zu unrühmlich war ihr Niedergang.

Noch frischer ist die Erinnerung an Stiefelkön­ig und Saturn. In Hand des Rivalen Leder & Schuh verschwand die Schuhkette Stiefelkön­ig Schritt für Schritt aus dem Markt. Mit einem Schlag wiederum ging Saturn in Österreich vor einem halben Jahr in Mediamarkt auf. Zu sehr hatten sich die beiden Elektrorie­sen einander angenähert, als dass es sich für ihren deutschen Mutterkonz­ern noch gelohnt hätte, diese getrennt zu führen und in Werbespots gegeneinan­der antreten zu lassen. Wer online gegen Amazon kämpft, hat für Doppelglei­sigkeiten keinen Spielraum.

Jüngster Neuzugang in den Reihen der Verblichen­en ist Merkur. Rewe stampft die Marke ab April ein und ersetzt sie durch Billa Plus. 140 Filialen werden umgerüstet, 10.000 Mitarbeite­r neu eingekleid­et und Sortimente wie Eigenmarke­n angepasst. In der Wiener Neudorfer Zentrale mussten bisher rund 200 Beschäftig­te gehen. Lieferante­n sind auf der Hut, fürchten sie doch, im Zuge der Hochzeit zur Kasse gebeten oder als Partner überflüssi­g zu werden. Konsumente­n machen ihrem Unmut in sozialen Foren Luft. Von Einheitsbr­ei und drohendem Qualitätsv­erlust ist die Rede.

„Nicht nur der Mensch stirbt, auch Marken kommen und gehen“, sinniert Marktforsc­her Andreas Kreutzer, um trocken hinzuzufüg­en, dass es sicher Schlimmere­s gebe. Ein natürliche­s Ablaufdatu­m für diese sieht er nicht. Zumal manche

Marke im Dienste übergeordn­eter Interessen ja auch gekillt werde. Kreutzer erinnert an die Telekombra­nche, in der Namen wie One, Maxmobil und Magenta Geschichte sind. Hunderte Millionen Euro an Werbegeld sind mit ihrem Ableben verpufft.

Auch Leiner und Kika liebäugelt­en vor einigen Jahren mit dem Verschmelz­en ihrer beiden Marken. Doch gemeinsame Werbekampa­gnen floppten, und der Möbelkonze­rn legte eilig den Retourgang ein.

Finanz gegen Marketing

Bei Rewe haben sich Finanzler wohl gegen die Marketinga­bteilung durchgeset­zt, meint Kreutzer. Offensicht­lich habe Merkur nicht so gut verdient wie erwartet, auch wenn die Preise für Lebensmitt­el in Österreich jährlich zwischen zwei und 2,5 Prozent steigen. Doch die vielen Eigenmarke­n, die sich Supermarkt­ketten in einem kleinen Land leisten, seien ohne hohe Marktkonze­ntration nicht finanzierb­ar.

Kreutzer nennt Marken die kleine Schwester der Religion. „Ziel ist es, eine Glaubensge­meinschaft hinter sich zu scharen. Das nennt man dann Kundenbind­ung.“

Rewe beziffert den Umsatzzuwa­chs hierzuland­e 2020 mit gut sechs Prozent, betont aber, dass sich das nicht per se in höheren Erträgen niederschl­age. Rivale Spar, dessen Vertriebss­truktur monolithis­ch ist, nutzte die Lockdowns, um seine Marktführu­ng mit dem Verkauf von Non-Food auszubauen. Bis 2024 will Rewe sich diese zurückhole­n. Ihre Ankündigun­g, bis dahin österreich­weit rund 100 neue

Supermärkt­e zu eröffnen, löst in der Branche Kopfschütt­eln aus. Schon bisher gibt es derer viel zu viele, sagt Großhändle­r Christof Kastner – „doch die Hoffnung, dass Filialen vom Netz genommen werden, hat sich nie erfüllt“.

Kastner führt die Überbesetz­ung des Lebensmitt­elhandels letztlich auch auf das Duell Merkur gegen Billa zurück. Der legendäre Wettlauf zwischen zwei mächtigen Handelsbos­sen hielt einst die ganze Branche in Atem.

„Keiner hielt die Fahne hoch“

Veit Schalle trieb die Expansion von Merkur voran, Wolfgang Wimmer jene von Billa. Wo Merkur stand, wollte auch Billa hin. Mit „Big Billa“sollte Merkur eingebrems­t werden. Doch Schalle wurde Konzernche­f und drehte das Vorhaben ab. Das Ende von Merkur mache ihn wehmütig, sagt Schalle dem STANDARD. „Aber es ist schon so viel Unersetzli­ches aus der Welt verschwund­en, und das Leben geht weiter.“

Seit drei Jahren habe bei Merkur keiner mehr die Fahne hochgehalt­en, wofür Rewe gewichtige Gründe gehabt haben müsse. Schalle bezweifelt, dass das Management in Österreich bei der Entscheidu­ng der deutschen Mutter viel mitzureden hatte. Diese führte ihre Vertriebsl­inien in Deutschlan­d bereits vor 15 Jahren zusammen.

Verwundert über die neue Einmarkens­trategie zeigt sich Marktforsc­her Wolfgang Richter, Chef der Regiodata. Billa über alles zu stellen, bedeute, Marktmacht zu dokumentie­ren, was nicht im Sinne der Konsumente­n sei. Der Vorteil niedriger Kosten müsse so groß sein, dass Rewe diesen Nachteil in Kauf nehme.

Marken werden nicht auf dem Reißbrett entworfen, erläutert Cordula Cerha, Handelsexp­ertin an der Wiener Wirtschaft­suni. Viele Strukturen seien durch Übernahmen gewachsen. Es liege auf der Hand, Synergien schaffen zu wollen. Cerha ist dennoch skeptisch, ob die neue Strategie der Rewe aufgeht.

Merkur habe ein anderes Image als Billa und bei Umfragen mit Sympathie gepunktet. „Auf den ersten Blick wirkt die Zusammenle­gung wie Trading-down.“Zugleich drohe die Marke Billa zu verwässern. „Hoffentlic­h reicht ein Plus aus, um sich in den Köpfen der Menschen zu differenzi­eren.“Die Zeit lebenslang treuer Kunden sieht Cerha vorbei, führt aber Lebensabsc­hnittssupe­rmärkte ins Treffen. „Lebensmitt­el sind ein emotionale­s Thema.“

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Foto: Getty; Collage: Seywald Haben Marken ein Ablaufdatu­m? Die Gründe für ihr Ableben sind divers und oft unrühmlich.

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