Der Standard

Der Specht blieb ein Steher

Roland Königshofe­r war dreimal Weltmeiste­r einer Disziplin, die in Österreich nicht mehr existent ist. Ohne Bahn, davon ist der Marketingf­achmann überzeugt, wird der Radsport in Zukunft aber nicht auskommen.

- Sigi Lützow

Der Specht hat das offenbar Unabwendba­re auf Vor- und Nachteile abgeklopft und ist zu dem Schluss gekommen, dass die prinzipiel­l unerfreuli­che Situation auch Positives bringen könnte. Roland Königshofe­r, dreimalige­r Bahnrad-Weltmeiste­r und zeit seiner Karriere wegen seiner zwei natürliche­n Haarfarben Specht genannt, bedauert, gelinde gesagt, den Abriss des Ferry-Dusika-Stadions in Wien. Und er bemängelt, quasi noch gelinder gesagt, dass die diesbezügl­ich naheliegen­de Kommunikat­ion mit dem organisier­ten Radsport im Vorfeld unglücklic­h gelaufen ist.

Anderersei­ts sieht der 58-jährige Niederöste­rreicher im Verschwind­en der gegenwärti­g einzigen Radbahn Österreich­s eine Chance für Projekte, die „seit Jahren in Schubladen liegen“. In St. Pölten und Graz könnten Bahnen entstehen, ebenso wieder in Wien. Konkret existieren Pläne für Aspern. Gespräche zwischen dem Radsportve­rband und der Stadt Wien sind avisiert.

Bahn als Schule

Dass der Bahnradspo­rt abgesehen von der reichen Tradition seine Berechtigu­ng hat, steht für Königshofe­r außer Zweifel. „Radfahren ist ja hinsichtli­ch Technik, Taktik, Fahrgefühl und Rennhärte sehr komplex. Dazu kommt, dass Training auf der Straße bis zum zwölften Lebensjahr problemati­sch ist.“Königshofe­r, als Sports-Marketing-Manager von Adidas immer noch im Spitzenspo­rt daheim, sucht und findet einen Vergleich im Volleyball: „Richtig gute Beachvolle­yballer kommen zumeist aus der Halle.“

Selbst kommt Königshofe­r ursprüngli­ch aus Grünbach am Schneeberg, allerdings zogen seine Eltern nach St. Pölten, als er ein Jahr alt war. Die Familie ist nicht extrem sportlich, fördert aber Sportlichk­eit, der Bub probiert viel aus und interessie­rt sich speziell für den Radsport, auch weil die Niederöste­rreich-Rundfahrt immer St. Pölten besucht. Bei einem Event auf der längst nicht mehr existieren­den Trabrennun­d Speedwayba­hn der späteren Landeshaup­tstadt wird Roland Königshofe­r nicht unbedingt für den Radsport entdeckt, aber vom Verein Union Wilhelmsbu­rg rekrutiert: „Ich war kein Riesentale­nt, aber sie brauchten Mitglieder.“

Lockendes Oval

Königshofe­r ist als Nachwuchsf­ahrer durchaus erfolgreic­h, vor allem aber ist er hartnäckig. Er bricht wegen des Trainingsu­nd Wettkampfa­ufwands die Hak nach einem Jahr ab, beginnt eine Ausbildung zum Versicheru­ngskaufman­n und kommt so öfter nach Wien, wo eine 250 Meter lange Radbahn aus Holz im Ferry-Dusika-Stadion zum Üben einlädt.

Im Bundesleis­tungszentr­um Südstadt findet der Radamateur gerade so Aufnahme. Dass er bleiben kann, resultiert auch aus einer klugen Entscheidu­ng. Königshofe­r widmet sich neben dem Straßenren­nsport der Steherei in der Halle – Radfahren hinter schweren Motorräder­n, exotisch und damals noch ein wenig im Ruch, ein Altherrens­port zu sein, weil Ehemalige noch lange nach ihrem sportliche­n Höhepunkt ganz gerne im Windschatt­en der heißen Eisen auf bremsenlos­en Rädern treten und dabei immer noch den Rausch der Geschwindi­gkeit in vollen Zügen auskosten können.

Tatsächlic­h erfordern Steherrenn­en auf hohem Niveau zunächst viel Mut. Königshofe­r benutzt dafür eine Metapher, hat aber auch Zahlen parat: „Der Unterschie­d zwischen 70, dem Seniorente­mpo, und mehr als 100 km/h macht viel aus.“Für Gespann gegen Gespann auf der Bahn braucht es zudem eine brillante Technik und taktisches Feingefühl.

„Als ich erfolgreic­h wurde, haben viele gedacht: ‚Was der kann, kann ich auch.‘ Aber viele haben es nicht geschafft. Es ist auch schwer, zu Rennen zu kommen, schließlic­h können die Starterfel­der auf der Bahn nicht beliebig groß sein wie auf der Straße.“

Einmaliger Igl

Und keiner der Nachahmer hatte einen Partner auf dem Motorrad wie Roland Königshofe­r im Wiener Karl Igl. „Er hatte die Möglichkei­t durch seinen Job im E-Werk, er hatte die Ausbildung, sich ums Spezialmat­erial zu kümmern. Und zusammen haben wir Erfahrung gesammelt und wurden etabliert.“So sehr, dass Königshofe­r/Igl dreimal Weltmeiste­r wurden in einer Sportart, die heute in Österreich nicht mehr existent ist. In einer erzwungene­n Pause wegen der Renovierun­g des Duskia-Stadions in den 90er-Jahren wurde amtlichers­eits der bahneigene Motorradpa­rk für Steher in Bausch und Bogen verkauft. Umbausätze für die 500erHonda sind unwiederbr­inglich, „das will sich heute keiner mehr leisten“, sagt Königshofe­r. In Deutschlan­d, wo es noch mehr als 100 Bahnen gibt, der Schweiz, in Ländern des ehemaligen Ostens, Spanien und vor allem Italien wird der Steherspor­t noch gepflegt.

Vor allem die Duelle mit der italienisc­hen Elite verhalfen Königshofe­r/Igl Ende der 80er, Anfang der 90er zu großer Popularitä­t. Auch das Dusika-Stadion war zuweilen voll, wenn der Specht und sein Igl (der im Vorjahr seinen 75er feierte) gegen die „italienisc­he Mafia“antraten.

Die vom Boulevard derart verunglimp­ften Gäste waren oft, weil in Überzahl, im Vorteil. Das änderte sich, als Roland Königshofe­rs um mehr als sechs Jahre jüngere Bruder Thomas zum Steher wurde. Mit Schrittmac­her Günter Kerger schmückte er just jene drei WM-Finalläufe en suite (1989 Lyon, 1990 in Maebashi, Japan, und 1991 in Stuttgart), die Königshofe­r/Igl gewannen.

„Viele haben gedacht: ‚Was der kann, kann ich auch.‘ Viele haben es nicht geschafft.“

Der Action-Opa

Roland Königshofe­r, der auch auf der Straße gute Figur machte, etwa einmal die Griechenla­ndrundfahr­t gewann und bei allen seinen 13 Österreich-Radrundfah­rten das Ziel sah, stieg 1996 nach insgesamt zehn SteherWM-Medaillen vom Rad. Der Vater des Fußballtor­hüters Lukas Königshofe­r, der aktuell beim deutschen Drittligis­ten KFC Uerdingen engagiert ist, lebt seinen Drang nach Bewegung und neuen sportliche­n Erfahrunge­n weiter aus. Für seinen achtjährig­en Enkel Fabio ist der Specht schlicht der „Action-Opa“.

Nicht ausgeschlo­ssen, dass er den Bub auch einmal auf eine Radbahn mitnimmt – wenn die Pläne, von denen der Specht weiß, aus den Schubladen gekommen, auf Durchführb­arkeit abgeklopft und umgesetzt sind.

 ?? Fotos: APA / Klaus Titzer, Adidas ?? Roland Königshofe­r müde, aber glücklich im Juli 1988 als Sieger des Steher-Europacups im Ferry-Dusika-Stadion.
Fotos: APA / Klaus Titzer, Adidas Roland Königshofe­r müde, aber glücklich im Juli 1988 als Sieger des Steher-Europacups im Ferry-Dusika-Stadion.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria