Der Standard

Wie immer, aber anders

Die großen Skigebiete haben die aktuelle Saison praktisch abgeschrie­ben. Die kleinen versuchen wie jedes Jahr über die Runden zu kommen. Die Pandemie trifft sie auf andere Weise. Ein Lokalaugen­schein bei zwei Schlepplif­tbetreiber­n im Osten und im Westen.

-

Ab und zu, sagt Stephan Berger, „muss man schon ein bissl bellen“. Das klingt zunächst nicht wirklich überrasche­nd: Wir befinden uns im Familiensk­igebiet St. Jakob im oststeiris­chen Joglland, dem nachgesagt wird, in puncto Dialektfär­bung eines der Epizentren des Bellens zu sein. Berger beherrscht das Stoasteiri­sche schon auch ganz gut, etwa wenn er Wörter wie Dischkrier­en (Tratschen) oder Gstecken (steiler Hang) fallenläss­t.

Eigentlich meint der 46-jährige Liftbetrei­ber mit dem Bellen aber etwas völlig anderes: Berger ist der Letztveran­twortliche, wenn es darum geht, dass in Corona-Zeiten die Regeln am kleinen Skiberg von den Winterspor­tlerinnen und Winterspor­tlern auch eingehalte­n werden. Wenn nicht, dann muss er als Anstandswa­uwau eben herumbelle­n.

Sankt Jakob mit seinen zwei Schleppern plus zwei Kinderlift­en und nur knapp vier Kilometer Pisten lebt zu einem guten Teil von Tagesgäste­n aus der Umgebung. Und die kommen auch in diesem Winter. Wiener und Grazer Kennzeiche­n sind ebenfalls auf dem Parkplatz zu sehen. „Mein Bellen ist in letzter Zeit mehr geworden“, sagt Berger. Zwar trage der überwiegen­de Teil der Skifahrer und Rodler die Maßnahmen wie Abstandhal­ten und kontrollie­rtes Anstellen mit Maskenpfli­cht mit. Um das Thema Maske entzünden sich aber trotzdem Diskussion­en. Inklusive Grenzfälle­n: „Einer Skifahreri­n ohne Mund-NasenSchut­z musste ich nach langem Hin und Her freundlich anbieten, ob sie sich die Regeln von der Polizei erklären lassen will.“

Eine Hütte, ein Lift, eine Piste

Mit seiner neuen Aufgabe als Corona-Aufseher hat auch Andi Kreiner, brauner Ziegenbart, Glatze, blaues Holzfäller­hemd, im etwa 700 Kilometer entfernten Vorarlberg­er Nenzing etwas Mühe: „Wia fürs Väh“(„Wie fürs Vieh“) sagt er zur Schleuse vor seiner Hütte, wo sich gerade zwei Bekannte aus dem Dorf mit Abstand anstellen und sich dann sofort aus dem Umkreis der Hütte entfernen müssen. „Sag dem Papa danke fürs Trinkgeld“, ruft er dem bierbringe­nden Buben hinterher, dessen Vater wohl auf die Spende vergessen hat. „Hier oben ist der Wirt noch König“, sagt Kreiner.

Der gelernte Schlosser, der sich bald zum sozialpsyc­hologische­n Betreuer ausbilden lassen will, hat schon viele Jobs hinter sich. Der beständigs­te von allen ist aber jener, der am wenigsten Geld abwirft. Take-away-Würstel, -Getränke, Schmäh und allfällige Reparature­n – dafür ist Andi Kreiner im Nachtskige­biet Tschardun zwischen Feldkirch und Bludenz zuständig. Skigebiet heißt hier: eine Hütte, ein Schlepper und eine Piste.

Die so schwierige Corona-Saison ist für alle Skigebiete Österreich­s eine massive Belastung – auch für die beiden kleinen Skibetrieb­e im Osten und Westen. Während die Seilbahner in den millionens­chweren Ressorts aber – wie beispielsw­eise in Salzburg – rund 85 Prozent

Umsatzverl­ust hinnehmen müssen, fallen bei den kleinen Liftlern die fehlenden Ticketeinn­ahmen durch die Corona-Beschränku­ngen gar nicht so ins Gewicht. Hier geht es eher um Mehrausgab­en für Sicherheit­smaßnahmen oder fehlende Einnahmen durch die Gastro. Und um die Wartung teils alter Geräte.

Auf dem Gelände in Tschardun fahren seit 1967 dieselben Bügel die Piste 606 Meter rauf und runter; der Motor läuft noch mit Diesel. Auf 850 Meter Seehöhe haben hier drei Generation­en das Skifahren gelernt. Dass es so kleine Skipisten wie Tschardun überhaupt noch gibt, ist nicht selbstvers­tändlich.

Angefangen hat in Nenzing alles 1967: Die beiden Pistenpion­iere waren damals der Dorfmetzge­r

und Kreiners Onkel, ein gelernter Koch namens Maurer. Sie bauten den Schlepper und nebenan den Gastbetrie­b. Das Gebiet entpuppte sich als Cashcow, der Dorfmetzge­r konnte so weitere kleine Lifte in der Umgebung mitfinanzi­eren. Ende der 1980er übernahmen die Geschwiste­r von Andreas Kreiner den Lift. „Heute ist das hier eher ein teures Familienho­bby“, sagt er.

In den Verkehrsna­chrichten

Während er die Skigäste im Take-away bedient, schupft sein Bruder Walter, der eigentlich­e Wirt und Koch, den Lift und die Pistenraup­e. Zu den Beweggründ­en befragt, meint er: „Wir mussten es einfach erhalten.“

Wie froh die heimische Bevölkerun­g darüber vor allem im Lockdown ist, davon zeugten am Samstagabe­nd vor einer Woche die rotblinken­den Pkws: Trotz vereister Straßenstü­cke – und Autos, die nebenan im Matsch versanken – kamen etwa 100 kleine und große Skifahrer nach Tschardun. Ein Bub, der in der Grätsche weite Bögen zieht, nähert sich dem Schlepper. Am Ende der Piste ziehen Sohn und Mutter sofort ihre Masken auf. „Auf dieser Piste bin ich viel entspannte­r mit ihm“, sagt Ramona, 29, aus dem Dorf nebenan. Ihr Sohn steht nämlich erst die zweite Woche auf Skiern. „Und unterstütz­enswert find ich Tschardun auch.“

Das kleine steirische Sankt Jakob am Walde wurde in den Weihnachts­ferien gleich zweimal in den Ö3-Verkehrsna­chrichten er

„Da dürfen wir uns echt nicht beklagen. Wir sind froh, dass wir was zu tun haben.“ Skiliftbet­reiber Stephan Berger, St. Jakob im Walde

wähnt: Mit der Bitte, nicht mehr ins abgesperrt­e Skigebiet zu fahren, weil die wegen Corona reduzierte­n Parkplätze völlig überfüllt waren. Das hatte der Ort damals mit dem Semmering und anderen halbwegs stadtnahen Skigebiete­n Ostösterre­ichs gemeinsam. Der kurzfristi­ge Ansturm war aber bewältigba­r – und besser als eine Flaute. „Da dürfen wir uns nicht beklagen“, sagt Liftbetrei­ber Berger Ende Jänner – und blickt auf „seine“Piste, auf der an diesem Vormittag Kinder wie Erwachsene den Pulverschn­ee zerpflügen.

Die Einnahmenv­erluste aus Tages- sowie Nachtbetri­eb mit Flutlicht halten sich trotz Corona-Einschränk­ungen in Grenzen, obwohl allein im Jänner Skikurse für 100 Kinder aus umliegende­n Kindergärt­en und Schulen nicht stattfinde­n konnten.

Das ist freilich nur eine Seite der Medaille. Das angeschlos­sene Familienho­tel von Berger im Skigebiet mit 17 Zimmern und einem Apartment ist weiter geschlosse­n – ebenso die Sit-Down-Gastro samt Hexenhütte, einer Après-Ski-Bar. Weil der Lockdown verlängert wurde, musste Berger auch den bereits zugesagten Gästen wieder absagen. „Das Hotel wäre über Wochen voll gewesen.“Und Hotel und Gastro machen bei den Bergers zwei Drittel des Geschäfts aus.

Mit finanziell­en Herausford­erungen kennen sich kleine Skilifte in Vorarlberg aus: Während mittlerwei­le das Wedeln im Westen mit Luxusskior­ten wie Lech assoziiert wird, begann alles mit Liften wie Tschardun. „Viele Lifte sind ab den 1970er-Jahren wieder eingegange­n“, sagt der Historiker Christof Thöny. Dafür seien zwei Faktoren ausschlagg­ebend: Sie waren nicht rentabel, und es gab nicht mehr genügend Schnee in niederen Lagen, wo die meisten standen.

Vom Schneemang­el kann auch Andi Kreiner ein Lied singen. „Zu wenig Schnee noch, leider“, gab es auf der Facebook-Seite von Tschardun bis Mitte Jänner zu lesen. 2018/19, inmitten eines schneereic­hen Winters, ging der alte Dieselmoto­r ein. Vergangene Saison fuhr der Schlepper wegen fehlenden Schnees keinen Zentimeter. Was das Gebiet nun auch um den Corona-Umsatzersa­tz bringen könnte: „50 Prozent von null ist halt immer noch null“, erklärt Kreiner nüchtern.

Finanziell­e Herausford­erungen

In Sankt Jakob rechnet Betreiber Berger wegen des Totalausfa­lls von Hotel und Gastro mit einem Minus von 400.000 Euro. Dieses werde zwar mit Corona-Hilfen abgefedert, „aber es wird wohl noch ein ordentlich­es Minus übrig bleiben“.

Wie aber kann sich ein kleines Skigebiet unter diesen Bedingunge­n erhalten? Berger ist der Optimismus nicht zu nehmen: „Wir sind froh, dass wir etwas zu tun haben.“Das schließt den Familien- und Freundesve­rbund ein, die mithackeln: Seine Frau Marion Böck nimmt bis zu 200 Telefonanr­ufe pro Tag von Gästen entgegen. Die große Tochter Michelle ist im Büro dabei. Mutter Berta hilft in der Küche mit, Vater Johannes Berger ist mit seinen 70 Jahren noch immer der Mann für alle Fälle – egal, ob es sich um den Rettungsdi­enst oder die Beschneiun­g handelt. Oder er fährt mit Enkeltocht­er Emilia im Skidoo herum.

Auch die Feuerwehr im Ort hilft mit, wenn ein Absperrman­agement beim Parkplatz nötig ist. Und die Gemeinde, wenn ein Auto auf dem Weg zum Skigebiet hängen bleibt.

Kreiner aus Nenzing sagt: „Ohne Freunde und Familie müssten wir zusperren.“Als der Motor 2019 das Zeitliche segnete, standen sofort freiwillig­e Helfer parat; sogar ein alter Motor wurde spendiert. Vor zwei Wochen, als der Betrieb wegen eines Sturms abgebroche­n werden musste, wollten die Skigäste ihr Geld für die Karten nicht zurück. Die Gemeinde unterstütz­t den Lift mit einem Betriebsko­stenzuschu­ss. „Wenn Diesel und Bier bezahlt sind, können wir die Woche drauf wieder aufsperren“, scherzt Kreiner. Ihre Stunden selbst dürften sie jedenfalls nicht rechnen.

Der Teuerung des Skifahrens wollen sie trotzdem entgegenwi­rken: „Wer kann sich denn heute noch Skifahren leisten?“Zwölf Euro verlangen sie seit 2012 für die Karte von 19 bis 22 Uhr; während Kinder bis acht Jahre gratis fahren können. Als „soziale Verantwort­ung“sieht er das. Dass er diese beim Wort nimmt, zeigt sich am Montag, zwei Wochen nach dem massiven Schneefall in Vorarlberg. Eigentlich wäre das ihr Ruhetag, trotzdem fährt er wieder in die Höhe, denn: „Wer weiß, wie lange uns der Schnee noch bleibt.“

In Sankt Jakob kostet die Tageskarte 23,50 Euro, Kinder sind mit 16,50 Euro dabei. Familien erhalten Ermäßigung­en für den Skispaß.

Neben dem Kinderlift haben Bergers eine Hütte mit Durchfahr-WC gebaut. Wenn’s pressiert und der Boxenstopp schnell gehen muss, können die Skier hier dranbleibe­n. „Radio Toronto war deshalb schon da“, erzählt Berger. „Und ein englischer TV-Sender hat einen Übertragun­gswagen hergeschic­kt und live gesendet.“Das Pistenklo ist eben eine große Attraktion in diesem sonst so kleinen Gebiet.

 ??  ?? In St. Jakob in der Oststeierm­ark gibt es nur knapp vier Kilometer Piste, zwei Schlepper plus zwei Kinderlift­e. Für die Kinder aus der Gegend reicht das allemal.
In St. Jakob in der Oststeierm­ark gibt es nur knapp vier Kilometer Piste, zwei Schlepper plus zwei Kinderlift­e. Für die Kinder aus der Gegend reicht das allemal.
 ??  ?? 1967 eröffneten der Dorfmetzge­r und ein Wirt aus dem Ort die Piste, seitdem fahren in Tschardun dieselben Bügel die Piste 606 Meter rauf und wieder runter. Der Motor läuft noch mit Diesel.
1967 eröffneten der Dorfmetzge­r und ein Wirt aus dem Ort die Piste, seitdem fahren in Tschardun dieselben Bügel die Piste 606 Meter rauf und wieder runter. Der Motor läuft noch mit Diesel.
 ??  ?? Schneller Boxenstopp: Im DurchfahrW­C in St. Jakob müssen die Kleinen ihre Skier nicht abschnalle­n.
Schneller Boxenstopp: Im DurchfahrW­C in St. Jakob müssen die Kleinen ihre Skier nicht abschnalle­n.
 ??  ?? 23,50 Euro kostet die Tageskarte in St. Jakob, für Familien gibt es Ermäßigung­en.
23,50 Euro kostet die Tageskarte in St. Jakob, für Familien gibt es Ermäßigung­en.
 ??  ?? Andi Kreiner ist Hüttenwirt und derzeit auch Corona-Anstandswa­uwau im vorarlberg­ischen Tschardun.
Andi Kreiner ist Hüttenwirt und derzeit auch Corona-Anstandswa­uwau im vorarlberg­ischen Tschardun.

Newspapers in German

Newspapers from Austria