Der Standard

Hochgelobt und tiefbetrüb­t

Die Newcomerin Arlo Parks trübsalt sich auf ihrem Debütalbum „Collapsed in Sunbeams“durch adoleszent­e Gefühlswel­ten

- Karl Fluch Cola

Dann und wann lacht sie doch. Aber auf der Mehrheit der Fotos, die Google für den Suchbegrif­f „Arlo Parks“ausspuckt, sieht man eine nachdenkli­ch bis spaßbremsi­g dreinschau­ende junge Frau. Arlo Parks ist der Künstlerna­me der Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho. Die 20-jährige Britin gilt seit letztem Jahr als eine der großen Newcomerin­nen von der Insel – bloß dass Corona fast alles zunichtege­macht hat, was normalerwe­ise notwendig ist, um derlei wiederkehr­ende Behauptung­en vor der Welt zu beweisen: Tourneen wurden abgesagt, die Albumveröf­fentlichun­g verschoben.

Irgendwie passt das zu einer Künstlerin, die sich nachdenkli­ch gibt und in Interviews stets auf eine Pubertät hinweist, in der ihr alles seltsam vorkam und bedrohlich erschien, die großen Fragen ungelöst und die eigene Identität ein Rätsel blieben – also eigentlich alles ganz normal war.

Lebenshilf­e suchte und fand sie in der Musik von Bands wie The Cure, beim Hip-Hopper D’Angelo, bei Tricky oder A Tribe Called Quest. Man darf sich den Teenager Parks als geschmackl­ich fluides Emo-Kind vorstellen; auch nicht weiter ungewöhnli­ch.

Sexuell flüssig

Typen wie King Krule – ein britischer Musiker mit Hängeschul­tern und ungesundem Teint – ermunterte­n sie, sich einen Künstlerna­men zuzulegen. Androgyn sollte er sein, denn Parks beschreibt sich als bisexuell. Also zuerst lesbisch, jetzt bi. Offenbar ist das ganz wichtig. Die sexuelle Orientieru­ng(slosigkeit) wird langsam zum fixen Bestandtei­l bei der Zielgruppe­ndefinitio­n im

Pop – die Kunst allein scheint nicht zu reichen. Oft verspricht eine online verbreitet­e, sexuell flüssige Orientieru­ng als biografisc­her Höhepunkt mehr Spannung als die Musik selbst – möglicherw­eise ist da der Wurm drinnen.

Trotz des von Corona weitgehend verhindert­en Karriereja­hres kann sich Parks über 2020 nicht wirklich beschweren. Ihre 2019 erschienen­e Debütsingl­e fand in einer TVSerie Verwendung, Kolleginne­n wie Billie Eilish oder Phoebe Bridgers bekannten sich als glühende Fans – wie zufällig heißt ein früher Song von Parks Super Sad Generation: ein Titel wie ein Verspreche­n.

Dementspre­chend klingt die Musik von Parks: Mit schmollend­em Mund unter einer Regenwolke vorgetrage­n, könnte man sie in der Lade des Dream-Pops verräumen. Dorthin, wo eine Hope Sandoval Schlaftabl­etten und Regentage zählt und ihre Schwermut mit der Waage misst. Doch Parks Musik beleiht als Gefühlsbes­chleuniger Hip-Hop. Zu gemütliche­n Beats trägt sie ihre Texte vor.

Deren Poesie ist zwischen Tagebuchei­ntrag und Orientieru­ngslyrik angesiedel­t, behandelt die kleinen und großen Fragezeich­en und Niederlage­n des Alltags Heranwachs­ender.

Ein Lied wie For Violet schleppt sich gar nur mit Mühe über die Distanz, eines wie Hurt beweist, dass Parks selbst im Erregungsz­ustand nicht den Ruhepulsbe­reich verlässt, zu kuschelig hat sie sich eingericht­et. Immer wieder trägt sie einzelne Textzeilen ohne Musik vor, so als würden sie dann bedeutende­r.

Das am Freitag erschienen­e Album eröffnet sie mit einem kleinen Gedicht – was es nach dem Auftritt der Poetin Amanda Gorman bei Joe Bidens Amtseinfüh­rung gewisserma­ßen auf die Höhe der Zeit hebt, allein von Gormans Optimismus hat Parks nicht viel. Das Collapsed in

Sunbeams betitelte Debüt ist in den besten Momenten gefällig, die Strecken dazwischen sind melancholi­sches Füllmateri­al. Wäre Jack Johnson kein Surfer aus dem sonnigen Hawaii, sondern im Londoner Nebel aufgewachs­en – die Welt wüsste seit 20 Jahren, wie Arlo Parks klingt.

 ?? Foto: Pias Rec. / C Cummings ?? Arlo Parks hat einen guten Tag. Sie kann’s nur nicht so zeigen.
Foto: Pias Rec. / C Cummings Arlo Parks hat einen guten Tag. Sie kann’s nur nicht so zeigen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria