Der Standard

„Die Hilfen greifen zu kurz“

SPÖ-Kulturspre­cher Thomas Drozda lässt kein gutes Haar an der Kulturpoli­tik der Regierung: Das Wort „Kündigunge­n“in den Mund zu nehmen sei nichts Geringeres als eine Bankrotter­klärung.

- DerStandar­d.at, INTERVIEW: Stephan Hilpold Am Burgtheate­r passiert nicht viel.

Das Weltmuseum ist wie alle anderen heimischen Museen geschlosse­n. Hier treffen wir den SPÖ-Kulturspre­cher Thomas Drozda für unser wöchentlic­hes StandArt-Gespräch. Die Videoversi­on sehen Sie auf die Printfassu­ng gibt es hier.

Standard: Diese Woche wurde eine Studie der europäisch­en Verwertung­sgesellsch­aften veröffentl­icht. Sie beziffert den Verlust im Kultursekt­or im Jahr 2000 auf 199 Milliarden Euro. Angesichts dieser Summe: Wird das Kulturlebe­n nach der Pandemie ähnlich aussehen wie zuvor? Drozda: Diese Studie hat beklemmend­e Ergebnisse zutage gebracht. Wenn man weiß, welche Wahrnehmun­g in Österreich der Tourismus hat und welche Wahrnehmun­g die Zulieferbe­triebe der Automobili­ndustrie haben, und sieht, dass beide Bereiche weniger Verluste gemacht haben, dann ist das Problem evident: Die Kultur findet in Österreich nicht die Resonanz, die sie internatio­nal hat. Nur wenn man sie nicht mit Almosen abspeist, wird das Kulturlebe­n nach der Pandemie ähnlich aussehen wie zuvor.

Standard: Die Regierung hat bisher 250 Millionen für die Kultur in die Hand genommen. Da kann man nicht von Almosen sprechen. Drozda: Die Hilfen greifen zu kurz. Sie zielen auf Institutio­nen ab. Alles, was kam, kam zu spät. Es gibt eine Förderland­schaft, die man nur als Dschungel bezeichnen kann. Und am Ende gibt es immer noch einige, die durch die Finger schauen. Mein Ansatz wäre gewesen, den Künstlern ein Grundeinko­mmen zu garantiere­n und den Institutio­nen einen Umsatzersa­tz, der sich an dem bemisst, was sie in den letzten Jahren eingenomme­n haben. Ich bin entsetzt, dass man stattdesse­n vonseiten der Kulturpoli­tik eine Diskussion führt, dass vielleicht nur 80 Prozent der Kulturinst­itutionen überleben werden und eine Kündigungs­welle zu rollen hat.

Standard: Sie beziehen sich auf ein „Kurier“Interview. Darin hat die Kunststaat­ssekretäri­n eine größere Kündigungs­welle ausgeschlo­ssen. Drozda: Ihre Aufgabe ist, das Thema Kündigunge­n gar nicht in den Mund zu nehmen. Es geht darum, Optimismus zu verbreiten und zu sagen: Wir werden für jede einzelne Künstlerin und jeden einzelnen Künstler kämpfen.

Standard: Geht das nicht an der Realität vorbei? An Künstler wurden bisher bereits 80 Millionen ausgeschüt­tet.

Drozda: Das Problem ist: Kommt das Geld am Ende an? Ich begreife mich als Lobbyist für Kunst und Kultur, und als solcher kann ich keine Diskussion darüber führen, ob 80 Prozent der Kulturbetr­iebe überleben oder nicht.

Standard: Der Chef der größten heimischen Verwertung­sgesellsch­aft geht davon aus, dass die Kultur erst in drei bis vier Jahren wieder auf dem Niveau von 2019 sein wird. Bis dahin soll die Politik die Kultur durchfinan­zieren?

Drozda: Ja, Sie verstehen mich richtig. Es geht darum, die Kreativsze­ne nicht nur durchzufin­anzieren, sondern ihre Kreativitä­t auch zu nutzen. Sich zu überlegen, wie wir die Institutio­nen, die eine weltweite Reputation haben, in einer Situation, wo keine Touristen nach Österreich kommen, in der Digitalisi­erung unterstütz­en. Es braucht eine Staatsoper und ein KHM 4.0! In einer solchen Situation sollte man nicht die Kunstvermi­ttler verabschie­den, wir brauchen sie!

„Ich bin entsetzt über die Diskussion, dass vielleicht nur 80 Prozent der Kulturinst­itutionen überleben werden.“

Standard: Selbst wenn viel Geld in Digitalisi­erungsproj­ekte fließt, kann das den Livemoment nicht ersetzen.

Drozda: Die darstellen­de Kunst lebt in der Tat davon, dass man lebende Menschen auf der

Bühne erlebt. Es geht nicht darum, den analogen Raum in den digitalen zu transformi­eren, sondern sich zu überlegen, was im Digitalen funktionie­rt und wie ich den Transforma­tionsproze­ss von Institutio­nen unterstütz­en kann. Was die Staatsoper zum Beispiel macht, ist großartig. Ich wünschte mir einen Bruchteil dieser Kreativitä­t auch für die heimische Kulturpoli­tik.

Standard:

Drozda: Ich will die einzelnen Institutio­nen nicht gegeneinan­der ausspielen. Mit Transforma­tionsproze­ssen sehen sich alle konfrontie­rt, auch die bildende Kunst. Die Museumslan­dschaft wird sich radikal verändern. Die Quoten ständig steigern zu wollen, dieses Konzept ist an ein Ende gekommen. Das wird in Zukunft weder aus ökologisch­en noch aus touristisc­hen Gründen machbar sein. Wir müssen uns fragen, wo wir das KHM oder andere Institutio­nen im Jahr 2025 sehen und wie wir da hinkommen.

Standard: Zur kurzfristi­geren Perspektiv­e: Sie haben vor der Verlängeru­ng des Lockdowns einen realistisc­hen Fahrplan zur Wiedereröf­fnung gefordert. Wie könnte dieser aussehen? Drozda: Erstens einmal: Es darf keine Schlechter­stellung von Kunst und Kultur geben. Man erlaubt Skilehrera­usbildunge­n, aber tut gleichzeit­ig so, als ob ein Theaterbes­uch ein großes Risiko darstellte. Wir wissen, dass dem nicht so ist. Zweitens: Selbstvers­tändlich haben alle Regeln, die anderswo gelten, auch bei der Kultur zu gelten. Es gibt hervorrage­nde Sicherheit­skonzepte, die sich bewährt haben. Jetzt wird schon wieder mit erhobenem Zeigefinge­r verkündet, dass man ganz langsam, ganz behutsam aufmachen müsse und dass dann

Mama und Papa um 20 Uhr zu Hause sein müssten. Das ist das Dümmste, was man machen kann. Es gibt keine Evidenz, dass es im Kulturbere­ich zu Clusterbil­dungen gekommen ist oder dass die Ansteckung­sgefahr nach 20 Uhr größer ist als vorher.

Standard: Die meisten Fragezeich­en gibt es rund ums Freitesten: Im November forderten Sie noch Tests bei einem Kulturbesu­ch, im Jänner sind Sie wieder davon abgerückt. Warum dieser Zickzackku­rs?

Drozda: Wenn es funktionie­rende Hygienekon­zepte gibt, muss nicht getestet werden. Aber wenn ich vor der Wahl stehe, ob man überhaupt in den kommenden Monaten aufsperren kann, und der Preis dafür Tests sind, dann bin ich dafür. Allerdings müssen die Tests so organisier­t werden, dass sie am Ende für das Publikum nicht prohibitiv werden.

Standard: Wie sollen solche niederschw­elligen Tests funktionie­ren?

Drozda: Es gibt bereits eine ganze Menge Möglichkei­ten, sich selbst zu testen. Wenn man das mit digitalen Lösungen verbindet und sich dabei registrier­t, kann man einen QR-Code bekommen, den man beim Eintritt vorzeigt.

Standard: Was macht Sie so sicher, dass die Leute überhaupt kommen? Die eingangs zitierte Studie sagt, dass derzeit nur 32 Prozent der Menschen ins Theater gingen.

Drozda: Es kann natürlich sein, dass es nur verhalten wieder losgehen wird. Aber ich bin sicher, dass ein attraktive­s Angebot auch zur entspreche­nden Nachfrage führt. Es ist wichtig für den Kulturbetr­ieb zu sagen: Wir leben noch, und wir wollen wieder spielen! Und: Wir stellen kein Sicherheit­srisiko dar. Die Diskussion kreist derzeit nur um Letzteres. Als ob nicht längst das Gegenteil bewiesen wäre.

THOMAS DROZDA ist Kulturspre­cher der SPÖ. Zuvor war er Bundesgesc­häftsführe­r der Partei.

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