Der Standard

Das Beste aus beiden Welten

Die Grünen wurden nicht nur für Umwelt gewählt – jetzt müssen sie sich behaupten

- Katharina Mittelstae­dt

Man mag den Grünen dabei nicht mehr zuhören. Diese plötzliche Empörung, als hätten sie nicht gewusst, worauf sie sich einlassen. Diese Betroffenh­eit, als wären sie nicht selbst Teil jener Regierung, deren Handlungen sie kritisiere­n. Der Innenminis­ter, ein strammer Türkiser, ließ mitten im Lockdown drei Mädchen und ihre Familien abschieben. Vom Vizekanzle­r abwärts bemühten sich alle namhaften Vertreter der Grünen, die Außerlande­sbringung zu verhindern. Gebracht hat das: nichts. „Unmenschli­ch!“, rufen die Grünen jetzt.

Man möchte den Grünen auch nicht mehr zuschauen, wie sie sich demütigen lassen. Laufend werden sie von ihrem übermächti­gen Koalitions­partner vorgeführt, und sie tragen das mit einer Fassung, die selbst viele Grüne fassungslo­s macht. Die ÖVP kann Message-Control, sie stellt einen Kanzler, der ein politische­r Vollprofi ist. Die Türkisen beherrsche­n das Geschäft, kennen die Tricks. Und die Grünen gehen daneben ein – wie eine Pflanze, die ein Jahr lang immer ein bisschen zu viel gegossen wurde, die zwar noch blüht, aber an den Wurzeln zu schimmeln beginnt. „Was sollen wir denn machen?“, fragen sie hilflos. M an darf den Grünen aber ruhig ihren Koalitions­partner vorhalten. Natürlich sind sie gegen Abschiebun­gen, für die Aufnahme von Flüchtling­en aus Moria, für einen menschlich­en Umgang mit allen. Die ÖVP vertritt das Gegenteil, das ist schon klar. Aber jeder wusste, wofür die Volksparte­i steht. Das kann man gut finden oder schlecht, überrascht sein muss wirklich niemand. „Das Beste aus beiden Welten“, erklärte Sebastian Kurz, als er die Einigung mit dem dritten Koalitions­partner seines Lebens verkündete. Er meinte damit: Ihr Grünen, ihr könnt das Klima schützen, und wir, wir schützen die Grenzen. „Das Beste aus beiden Welten“, wiederholt­en die Grünen fromm.

Man muss die Grünen nicht schlechter darstellen, als sie sind. Natürlich bemühen sie sich, selbstvers­tändlich versuchen sie zu überzeugen. Aber die Grünen sollen bitte ehrlich sein: Sie wollen diese Koalition nicht beenden – und die Regierungs­beteiligun­g, das 1-2-3-Ticket, eine ökosoziale Steuerrefo­rm, all die versproche­nen Umweltmaßn­ahmen haben einen hohen Preis. Der lautet bis heute:

In Menschenre­chtsfragen haben die Grünen nichts zu sagen, da können sie noch so laut bitzeln und schreien. Sie haben es ja nicht einmal geschafft, eine Möglichkei­t zu finden, damit schwule Männer Blut spenden können – und mussten selbst bei dieser kleinen Form der Diskrimini­erung im Parlament gegen ihre eigene Forderung stimmen.

Manche Grün-Affine argumentie­ren: Immerhin regiert jetzt jemand mit, dem die Umwelt am Herzen liegt, besser als die FPÖ sind sie doch allemal, es ist Krise, was wollt ihr? Man muss aber auch sagen: Die Grünen haben ein Jahr Koalition

hinter sich. Sie wissen jetzt, wie der Hase läuft. Sie mussten lernen, was Bundesregi­erung bedeutet – gemeinsam mit der ÖVP. Die Schonfrist ist vorbei.

Man kann den Grünen jetzt auch nicht mehr helfen: Sie sind in einer ziemlich ausweglose­n Lage. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als laut zu bleiben und mutiger zu werden. Denn entweder sie gewinnen an Souveränit­ät und besinnen sich auf ihre Kompetenze­n – oder der Schimmel wird, spätestens wenn die Pandemie eingedämmt ist, ihren Stamm befallen. Nur wegen des Umweltschu­tzes hat die Grünen niemand gewählt.

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